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Abenteuer & Reisen

Winter Backcountry-Abenteuer-Trip Norwegen [Teil I]

Backcountry-Abenteuer-Trip Norwegen

von Martin Böhm 26.11.2010
Dumpf dringt Stefans Stimme zu mir: "Martin, du musst aufstehen! Ich bekomme den Schnee nicht mehr vom Zelt!" Oh je, aber wenn wir nicht unter einem Schneeberg für immer einschlafen möchten, müssen wir raus. Mitten in der Nacht, weit von der Zivilisation entfernt und bei arktischen Verhältnissen ist das alles andere als angenehm. Um unser kleines Kuppelzelt wütet ein Schneesturm und die Temperaturen bewegen sich im Bereich der heimischen Tiefkühltruhe.


                        Schnee, Einsamkeit und noch mehr Schnee?

Dumpf dringt Stefans Stimme zu mir: "Martin, du musst aufstehen! Ich bekomme den Schnee nicht mehr vom Zelt!" Oh je, aber wenn wir nicht unter einem Schneeberg für immer einschlafen möchten, müssen wir raus. Mitten in der Nacht, weit von der Zivilisation entfernt und bei arktischen Verhältnissen ist das alles andere als angenehm. Um unser kleines Kuppelzelt wütet ein Schneesturm und die Temperaturen bewegen sich im Bereich der heimischen Tiefkühltruhe.

Schuhe und Schnürsenkel sind steinhart gefroren und es kostet viel Überwindung die Füße hinein zu zwängen. Draußen geht die Sicht gegen Null und die Eiskristalle, die mit weit über hundert Stundenkilometer waagerecht durch die Luft geschleudert werden, schmerzen wie Nadelstiche auf jeder freien Hautstelle. Eine Stunde benötigen wir, um das Zelt frei zu schaufeln und den Schutzwall aufzustocken. Dann legen wir uns wieder in unsere Hülle aus Daune und Kunstfaser und schlafen weiter…

WARUM?

Mal wieder so RICHTIG RAUS, die Stille und Weite spüren, nichts als den eigenen Herzschlag hören, Snowboard-Erstbefahrungen, keine Lifte, keine Motorschlitten, keine Helikopter – und dem Körper zeigen, dass es nicht nur Schreibtischstuhl und Computer gibt.

DARUM!

Hardangervidda, das größte Hochplateau Europas

Da wir nicht um die halbe Welt fliegen wollten, kamen wir nach kurzer Recherche auf Norwegen. Dort liegt mit 8.000 Quadratkilometer Größe, die größte Hochebene Europas mit einer Gebirgsregion im Westen: Die Hardangervidda. Durch die Nähe zum Meer sehr schneereich und oft arktische Verhältnisse aufweisend, hat sich diese Region als Trainingsplatz für Arktis- und Antarktisexpeditionen bewährt. Bereits Roald Amundsen, der als erster Mensch den Südpol erreicht hat, hat sich hier vorbereitet. Heute durchzieht ein Netz von Wegen den Nationalpark und in den Sommermonaten ist von einem regelrechten Touristenansturm die Rede. Auch im Winter gibt es markierte Hauptrouten mit in Tagesetappen zu erreichenden Hütten. Wer sich aber abseits dieser bewegt oder in die schwer zugängigen gebirgigen Teile vordringt, findet im Februar und März eine einsame und extreme Winterlandschaft.

Der Wind lässt nach und die Sicht erlaubt einen Tagestrip über zugefrorene Seen und leicht kupiertes Gelände. Ein GPS dabei zu haben ist keine schlechte Idee, da die Orientierung je nach Region und Verhältnissen nicht ganz einfach ist. Gegen Abend besteige ich noch unseren Hausberg und kann einige schöne Hänge in der Gegend unsicher machen. Die Dämmerung setzt ein und die ersten Sterne sind am Himmel zu sehen. Das Barometer klettert von Stunde zu Stunde und wir können uns allem Anschein nach auf einen sonnigen nächsten Tag freuen. Es gibt noch eine Doppelpackung Expeditionsnahrung aus der Tüte und einen sogenannten „Nuocierten“ (Tee mit einer Nuoce Rum). Wobei wir schnell feststellen, das offensichtlich unser Geschmackssinn nachlässt und so wird daraus schnell ein „ordentlicher Tee mit Rum“…

Die Nacht verläuft angenehm, kein Wind, nicht zu kalt (-15 Grad im Zelt) und endet mit einem herrlichen Sonnaufgang. Wir beschließen einen der großen Gipfel in der Umgebung zu erklimmen.

Großer Berg, ganz großes Panorama


                        Einsamer gehts kaum?

Mit Fotoausrüstung und Tagesverpflegung im Rucksack ziehen wir einige Kilometer leicht ansteigend in Richtung Berg. Langsam nimmt die Steigung zu. Die Sonnenintensität ist enorm, unsere jetzt schon verbrannten Nasen schützen wir durch nicht gerade designpreis-verdächtige Klebebandkonstruktionen. Der Schweiß rinnt in Strömen. Kurz vor dem Gipfel werden die Ski deponiert und der Rest per Pedes in Angriff genommen. Wieder Mal stelle ich fest: Gipfel sind der Gipfel! Atemberaubendes Panorama, das Gefühl oben angekommen zu sein und natürlich die Gipfelrast – das s-ind die Momente, die schwer zu toppen sind. Mit dem Teleobjektiv ist gerade noch unser von Bergen und Einsamkeit umrahmtes Lager auszumachen und der stahlblaue Himmel setzt der Szenerie im wahrsten Sinne die Krone auf. Wieder am Zelt angekommen, wird es Zeit die Kocher auf Hochtouren zu bringen, auch heute gibt es einen wohlschmeckenden Tee und wir versinken tief und fest im Reich der Träume.

Mit 60 kg schweren Gepäckschlitten zum Basislager

Vor einigen Tagen haben wir uns von unserem Ausgangspunkt Haukeliseter über steile Hänge, hügelige Regionen und zugefrorene Seen mit Ski, Schneeschuhen und 60 kg schweren Gepäckschlitten in die Berge aufgemacht, um nach einigen Tagesetappen ein Basislager zu errichten. Von hier geht es nun, wenn es das Wetter zulässt jeden Tag auf einen einladenden Gipfel oder einfach mit leichtem Gepäck in verschieden Täler und durch die verschneite Traumwelt. Im Idealfall werden wir am Morgen durch die Sonnenstrahlen, die das Zelt leicht erwärmen geweckt. Heute ist das nicht der Fall. Obwohl wir nachts das Zelt freigeschaufelt haben, ist morgens dasselbe Prozedere notwendig. Deshalb gibt es noch im Schlafsack eine ordentliche Portion Energieriegel. – Nein, nicht „himmlisch yogurt leicht“ schmeckende, sondern vor Fett, Zucker, Eiweiß und Kohlehydraten strotzende Barren, die mal eben schnell 1500 Kalorien liefern.

Einige Meter vom Zelt entfernt haben wir uns eine kleine Küchenecke und eine Schneehöhle eingerichtet. Die Spuren dort hin sind unter dem vielen Neuschnee verschwunden und wir müssen auch hier alles Freischaufeln. Dann beginnt das übliche Ritual: Wassergewinnung. Unsere Kocher laufen täglich mehrere Stunden, um genügend Schnee zu schmelzen, damit der Flüssigkeitshaushalt im Gleichgewicht bleibt. In der mit gemütlichen Sitzplätzen ausgestatteten Schneehöhle gibt es dann sogar „richtiges Frühstück“: Vollkornbrot, Müsli, Salami, Margarine und Kaffee aus einer Titankaffeepresse.

 


                        Feudale Liege mit Mega-Panorama: Die sog. Chill-Out-Zone

Tags darauf steht ein „Ruhetag“ auf dem Programm. Ich nutze den Tag um Fotos zu machen, kleinere Abfahrten in der Umgebung zu unternehmen. Stefan hat sich ein besonderes Projekt vorgenommen: eine „chill-out-zone“. Diese ca. 20 m2 große Ruhezone im Schnee wird uns noch viel Spaß bringen. In dreistündiger harter Arbeit shapt er zwei Betten mit ergonomischer Nackenstütze und Windschutzwall. Somit steht entspanntem Sonnenbaden nichts mehr im Wege! An den folgenden Tagen nehmen wir hier in fürstlichem Ambiente das Frühstück ein …

Pannenreicher Rückmarsch

Ziemlich wehmütig bauen wir unser Basislager ab, beladen die Pulkas und ziehen wieder los, zurück zur Zivilisation. Da sich der Schnee gesetzt hat und wir einiges an Gewicht aus den Schlitten „weggefuttert“ haben ist die Strecke nicht mehr so anstrengend wie zu Beginn. Kurz vor Erreichen unseres Ausgangspunktes wird der Wind nochmals garstig, sodass wir unsere Gesichter zum letzten Mal komplett vermummen müssen. Am vorletzten Tag bricht mir dann auch noch die Bindung aus der Verankerung im Ski. Die verbleibende Strecke lege ich auf Schneeschuhen zurück. Auch einige Traversen entlang von steilen Hängen machen uns bzw. den Gepäckschlitten zu schaffen. Unsere „Anhänger“ müssen mehrere Überschläge aushalten. Ein Kilometer bevor wir unseren Ausgangspunkt erreichen, bricht bei einem solchen Vorfall der Befestigungsmechanismus an meinem Zuggestänge. Leicht lädiert erreichen wir wieder Haukeliseter und gönnen uns im dortigen Restaurant große Fjällburger. Der Rotwein entfaltet seine wohlige Wirkung und wir ziehen uns ins Massenlager zum Schlaf zurück. Gefühlt mitten in der Nacht, in Realität aber schon morgens höre ich wieder Stefans Stimme dumpf zu mir durchdringen: „Martin, Du musst aufwachen, die Rückreise steht an!“

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