Zum Inhalt springen

Cookies 🍪

Diese Website verwendet Cookies, die Ihre Zustimmung brauchen.

Details finden Sie in unserer Datenschutzerklärung

This page is also available in English.

Zur Powderguide-Startseite Zur Powderguide-Startseite
Bergwissen

Safety | Super-Spürnasen

Ausbildung der Lawinenhundestaffel Tirol

von Johannes Wolf 10.04.2016
Lawinenhunde retten Leben und das dank ihres guten Riechers: Trotz moderner Technik sind sie deshalb immer noch unersetzlich. Die Bergrettung Tirol bildet wie andere Bergwachten die Spürnasen aus. PG war vor Ort dabei und staunte, wie tief die Vierbeiner Gerüche erstöbern können.

Es gibt Momente, in denen die Bedingungen für eine Verschüttetensuche besonders schlecht sind. Heute ist so ein Tag. Kein Luftzug fegt über den Berghang. Für Baghira wird es schwer werden, den Geruch des Verschütteten im Lawinenkegel zu wittern. Sie scheint dennoch etwas gerochen zu haben - und rennt los.

Baghira muss sich an diesem warmen Frühlingstag im April beweisen: Die zweijährige Golden Retriever Hündin wird in der Hundestaffel der Bergrettung Tirol zum Lawinenhund ausgebildet. Jeder Hund muss vor Einsätzen mit seinem Besitzer zwei Ausbildungen absolvieren - erst den sogenannten A-Kurs. In dem lernte Baghira vor einem Jahr, Verschüttete im Schnee aufzustöbern. Seitdem übte sie mit ihrem Hundeführer Christian Michelitsch unaufhörlich, darin schneller und konzentrierter zu werden. Nun ist es soweit: Baghira und Michelitsch absolvieren den zweiten Kurs im Kühtai. Eine Woche lang müssen die beiden tagsüber im Schnee üben und Michelitsch abends Theorie pauken. Am Ende der Ausbildungswoche steht eine Prüfung bevor. Wenn Baghira die schafft, kommen sie und Michelitsch auf die Einsatzliste und müssen bei Lawinenunfällen anrücken. Davor soll Baghira jetzt jedoch zuerst zeigen, dass sie über das letzte Jahr hinweg nichts verlernt hat. Klappt das nicht, müssen die beiden den ersten Kurs noch einmal wiederholen.

Die Lawinenhundestaffel der Bergrettung Tirol ist etwas besonderes: Wo in anderen Gebieten immer weniger Freiwillige Lawinenhundeführer werden wollen, steigt hier sogar die Zahl der Anwärter. Etwa 60 Ehrenamtliche und ihre vierbeinigen Gefährten gibt es aktuell. Die sind gleichzeitig auch als normale Bergretter in deren Ortsstellen aktiv. Insgesamt kann Tirol auf 4300 Bergretter zurückgreifen - alle arbeiten ehrenamtlich. Einer davon ist Stefan Hochstaffl, der Ausbildungsleiter der Hundestaffel. Kaum jemand verfügt über so viel Erfahrung wie der 40-Jährige. Mit 17 wurde er Lawinenhundeführer, seit elf Jahren bildet er selbst aus.

Bergwissen
presented by

Zahlreiche Hunde und ihre Begleiter hat Hochstaffl in den letzten Jahren auf die Suche in Lawinen vorbereitet. Das ist dringend notwendig: 72 Einsätze hatte die Lawinenhundestaffel allein im letzten Winter. An extremen Tagen mussten die Retter und ihre Vierbeiner zu zehn Einsätzen ausrücken. Obwohl die meisten Tourengeher inzwischen mit LVS-Gerät unterwegs sind, bleiben die Spürnasen unverzichtbar. Gerade wenn Skifahrer ohne Notfallausrüstung die gesicherten Pisten verlassen und von einer Lawine verschüttet werden, sind die Vierbeiner meist die schnellste Möglichkeit, um die Opfer zu finden. In diesem Winter schaffte ein Hund nach einem Lawinenabgang im Pitztal etwas, das den Männern und ihren Hunden nur sehr selten gegönnt ist: Nach nur fünf Minuten stöberte er ein verschüttetes Mädchen ohne LVS-Gerät unter den Schneemassen auf - es überlebte. Wäre der Lawinenhund nicht so schnell gewesen, hätten die Sondierteams der Bergrettung die Verschüttete vermutlich nicht mehr rechtzeitig gefunden. Tatsächlich sind Lebendbergungen äußerst selten. Etwa eine gibt es in Tirol pro Jahr. Hochstaffl hatte in seinen 23 Jahren bei der Lawinenhundestaffel schon zweimal diesen "Riesenerfolg", wie er ihn nennt. "Jeder Hundeführer arbeitet, um am Schluss den Menschen lebend aus der Lawine zu ziehen. Das ist für uns das Größte."


Der Alltag sieht anders aus. Deshalb kann sich jeder Hundeführer - wie alle anderen Bergretter auch - psychologische Betreuung zusichern. Hochstaffl hat über die Jahre noch einen anderen Weg gefunden, damit umzugehen. Zusammen mit seinem Hund "Sam" begibt er sich nach einem Unfall häufig auf Skitour. "Ich muss immer analysieren, warum das passiert ist. In den Bergen kann ich darüber nachdenken. Es ist unglaublich wichtig, damit abzuschließen."

Früh am Morgen sind nun die Anwärter, darunter auch Michelitsch und seine Hündin, im Kühtai an der Hochalterbahn aufgestiegen. Einige Meter neben der Piste haben Pistenraupen den Schnee zu einem Übungsfeld zusammengeschoben. Die Schneedecke ist hart wie nach einer echten Lawine. Normalerweise üben die Anwärter auf einem bereits abgegangenen Lawinenkegel . Doch heute ist es dafür zu gefährlich. Der Lawinenlagebericht sagt für diesen warmen Frühlingstag die dritte Warnstufe voraus. Baghira muss auf dem Übungsfeld dennoch ihre Spürnase anstrengen. Männer aus der Ausbildungsgruppe haben über das gesamte Feld 70 Zentimeter tiefe Löcher gegraben, in einem davon kauert nun einer der Hundeführer. Den muss die Golden Retriever Hündin finden. Michelitsch führt sie an den "Lawinenkegel" heran. Als er die Leine von Baghira entfernt, rennt sie sofort los. Stefan Hochstaffl verfolgt dabei konzentriert die beiden. Es dauert keine Minute, bis Baghira das richtige Loch im Schnee gefunden hat. Sie schaut sich nach ihrem Hundeführer um. Der konnte bei dem Tempo seiner Hündin kaum mithalten. Baghira fängt an zu buddeln. Dann erreicht sie die Öffnung und verschwindet blitzschnell unter der Schneedecke. In dem Loch bekommt sie nun das, was sie eigentlich will: spielen. Der Bergretter, der sich versteckt hat, rauft mit ihr um eine Beißwurst, dann kriechen die beiden aus dem Loch. "So merkt sich der Hund: Jedes Mal, wenn ich in das Loch hinein krieche, spielt jemand mit mir. Der Spieltrieb steigert sich", erklärt Hochstaffl.
Die meisten Bergretter holen sich einen Welpen, wenn er etwa acht Wochen alt ist. Die Rasse ist dabei eher unwichtig. Neben der Golden Retriever Hündin Baghira schnüffeln auch Border Collies, Schäferhunde, Labradore und viele Mischlinge über die Übungsfelder. Nach wenigen Wochen zu Hause beginnt spielerisch die Ausbildung: Die zukünftigen Lawinenhunde müssen ihre Futterschüsseln suchen. Mit der Zeit verstecken die Hundeführer die dann in kleinen Löchern, schütten sie später auch zu. Zusätzlich muss jeder der Hunde in die Hundeschule und eine Prüfung bestehen. Erst dann darf er, wenn er etwa ein Jahr alt ist, die Ausbildung als Lawinenhund beginnen.

Baghira hat ihre Aufgabe nun geschafft - vorerst. Bald muss sie mit Michelitsch zwei Verschüttete suchen.
Die Ausbildung von Baghira und anderen neuen Lawinenhunden ist auch deshalb nötig, weil nach jedem Lawinenunfall normalerweise auch immer ein Hund und sein Begleiter vor Ort sein sollen. Dafür braucht es überall in Tirol Lawinenhundeführer. Nur so ist es möglich, lediglich etwa 15 Minuten nach einem Abgang mit den Spürnasen am Unfallort zu sein. Interessant ist: Die Hunde können fremde Gerüche bis zu vier Metern Tiefe wahrnehmen. Umso kompakter und dichter der Schnee jedoch ist, umso schwerer fällt es den Hunden. Einen Verschütteten unter einer lockeren Schneebrettlawine aufzustöbern, ist also für die Spürnasen ein geringeres Problem als unter einer durchfeuchteten Schneedecke. Je nach Schneeart braucht es zudem etwa 15 Minuten, bis der Geruch eines Menschen an die Oberfläche dringt. Wäre ein Lawinenhund zufällig nach einem Abgang sofort vor Ort, würde ihm die Suche eventuell sogar schwerer fallen, als erst 15 Minuten danach zu beginnen.

Durchschnittlich zwei Lawinenhunde suchen bei einem Einsatz- je nach Größe des Lawinenkegels und der Anzahl der Verschütteten. Auf der Ausbildung müssen die Spürnasen nun deshalb auch gleichzeitig arbeiten,damit sie sich später bei einem echten Einsatz nicht gegenseitig ablenken.

Auf den gegenüberliegenden Berghängen zeigen kleine Punkte weitere Übungsgruppen. Insgesamt 50 Hundeführer und ihre Vierbeiner sind bei dieser Ausbildungswoche im Kühtai dabei, unterteilt in sechs Gruppen - darunter auch zwei Frauen. Bisher hat die Tiroler Lawinenhundestaffel nur eine Hundeführerin. Erst seit den 90'er Jahren dürfen Frauen überhaupt zur Bergwacht. Sigrid Vogl und ihre Hündin Najari stehen wie Michelitsch und Baghira kurz vor der großen Prüfung. Vogl ist Tierärztin. Schon vor Jahren behandelte sie zahlreiche Lawinenhunde. Oft hatten die Vierbeiner sich an Skiern geschnitten. Dann wurde Vogl selbst neugierig. Bei Najari hat sie nun festgestellt: Das Verhältnis zu dieser Hündin ist durch die intensive Ausbildung mit ihr viel enger als zuvor mit ihren vorherigen Hunden geworden.

Auch Michelitsch und seine Baghira, die "nach dem Panther aus dem Dschungelbuch" benannt ist, verbringen fast 24 Stunden zusammen. Der Werkstättenleiter einer Baufirma hat das große Glück, seine Hündin mit zur Arbeit nehmen zu können. Und: Sein Chef hat Verständnis, wenn Michelitsch später auf Einsätze muss. Baghira und Michelitsch haben auch schon den Helikopter kennengelernt. Zuerst beschnupperte die Hündin das Fluggerät, sprang hinein und wieder heraus, gewöhnte sich an die Rotorblätter und deren Lärm. Inzwischen liebt sie das Fliegen - unter einer Bedingung: Sie besteht auf einen Fensterplatz.

Fotogalerie

Ähnliche Artikel

Kommentare

Bergwissen
presented by