Zusätzlich zum physikalischen Schneedeckenmodell SNOWPACK, das anhand von Wetterdaten die Schichtung der Schneedecke an einem bestimmten Punkt berechnet, werden am SLF drei Machine Learning (“KI”) Modelle eingesetzt. Diese Modelle haben anhand von Trainingsdatensätzen statistische Zusammenhänge zwischen Schneedeckensimulationen, Wetterdaten und Lawinenbeobachtungen oder Gefahrenstufen “gelernt”. Die erlernten Zusammenhänge werden genutzt, um relevante Lawinenparameter (Auslösewahrscheinlichkeit, Gefahrenstufe) ohne Zutun menschlicher PrognostikerInnen vorherzusagen.
PG: In deinen Publikationen schreibst du, dass der Trend in der Schweizer Lawinenwarnung weg geht von einem reinen “expert based approach” und hin zu einem “data and model-driven Approach”. Ist das ein grundsätzliches Ziel bei euch?
FT: Ich weiss nicht, ob ein reiner Daten- und Modell-getriebener Ansatz wirklich das Ziel ist, aber ich sehe ein stärkeres Eingehen von immer besser werdenden Modellen in den Prognoseprozess als eine logische Entwicklung. Bis vor ungefähr fünf Jahren hatten wir in der Lawinenwarnung eigentlich nur die Beobachtung von heute, Messwerte von heute und eine Wettervorhersage für den Folgetag. Wir hatten auch schon das Schneedeckenmodell SNOWPACK, es wurde bei uns aber wenig genutzt. Wettermodelle waren also die einzigen Modelle, die wirklich eine Rolle gespielt haben. Den ganzen Rest haben die Lawinenwarnerinnen und -warner mit ihrer Erfahrung, ihrem Wissen, ihrem Bauchgefühl gemacht. Das meine ich mit Expert Based Approach.
Seit ein paar Jahren haben wir viel mehr Modelldaten zur Verfügung. Zum einen SNOWPACK, das wir zunehmend auch prognostisch benutzen, und zum anderen die Machine Learning Modelle, die quasi auf SNOWPACK oben drauf kommen. Da hat sich viel getan, seit der letzte PowderGuide Artikel zu dem Thema erschienen ist. Damals hatten wir die Modellketten schon teilweise getestet, aber mittlerweile läuft das sehr stabil und ist operationell im Einsatz. Neben der ganzen Programmierarbeit, die dafür nötig war, ist auch die Schulung der Lawinenwarner und -warnerinnen mega wichtig. Wir müssen alle lernen, was die Modelle können und vor allem, was sie nicht können.
Nimmst du in Nachbarländern auch diesen Trend wahr, hin zu Modellen und weg von rein menschlichem Expertentum?
Ja. Wenn ich mit Kollegen in Tirol spreche, oder in Norwegen oder Kanada, ist eigentlich allen klar, dass Modelle eine große Chance bieten. Da rede ich nicht von KI, sondern von allen Modellen. Es ist sicher noch viel Umsetzungsarbeit nötig, genauso wie Forschung, aber Modelle haben großes Potential, die Lawinenwarnung zu verbessern. Ich versuche diesen Transfer voranzutreiben - dass die Modelle wirklich von der Forschung zu uns in die Lawinenvorhersage kommen.
Wie sieht der “model-driven approach” im laufenden Betrieb aus?
Ich weiss nicht, ob ich schon von einem model-driven approach sprechen würde. Aber die Modelle bieten jetzt schon eine wertvolle zweite Meinung, wie die vorhandenen Daten interpretiert werden können. Wenn ich also eine Prognose erstelle, dann mache ich mir weiterhin genau die gleichen Überlegungen wie vor ein paar Jahren, aber ich habe auch ein Modell, das mir zum Beispiel etwas zur Wahrscheinlichkeit von Spontanlawinen sagt.