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Bergwissen

Welt der Wissenschaft | Schneeklimaklassifikation

Wie das Schneeklima das Bewusstsein für mögliche Lawinenprobleme schaffen kann

von Lydia Knappe 05.12.2024
Die Euphorie und der Spaß, den Skifahren bei vielen auslöst, sind immer verbunden mit den Gefahren, die dieser Sport gerade im freien Gelände mit sich bringt.

In der Schnee- und Lawinenforschung wird permanent an neuen Techniken, Modellen und Verifikationsmöglichkeiten geforscht, um die Warnsysteme und Vorhersagen zu verbessern und akkurater zu gestalten. Um Erfahrungen und Sachkenntnisse vergleichen sowie Resultate verallgemeinern zu können, kann eine grobe Einordnung, der in der Region typisch auftretenden Schneecharakteristika herangezogen werden. Diese können auf bestimmte Lawinenprobleme hinweisen. Vereinfacht gesagt: gibt es Regionen in denen bestimmte Schneecharakteristika typischerweise auftreten? Wenn ja, wie können sie abgegrenzt und bezeichnet werden, was heißt „typischerweise“ und welche Daten werden genutzt?

Vorwerggenommen: In der Tat gibt es Regionen, in denen bestimmte Lawinenprobleme häufiger auftreten als andere. Dies lässt sich durch eine Klassifikation meteorologischer Daten erreichen. Die Analyse dieser Daten ermöglicht eine systematische Einordnung und ein tieferes Verständnis regionaler Schneeverhältnisse und deren Dynamik.

Begriffe wie "typischerweise," "generell," oder "normalerweise" implizieren dabei eine statistische Grundlage, die auf langfristigen Beobachtungen basiert. In der Meteorologie und Klimatologie hat sich ein Betrachtungszeitraum von 30 Jahren etabliert, um robuste Aussagen über Klimaverhältnisse zu ermöglichen und typische Muster herauszuarbeiten. Diese langfristige Datenbasis ist unerlässlich, um zu erkennen, welche meteorologischen Bedingungen in einer bestimmten Region zur Bildung spezifischer Lawinenprobleme führen und wie sich diese im Vergleich zu anderen Regionen verhalten. Wie genau das Auftreten von bestimmten Lawinenproblemen durch Schnee bestimmt werden kann, soll im Folgenden genauer erläutert werden.

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Lawinen stellen nicht nur für Schneesportenthusiasten, sondern auch für Gemeinden, Infrastrukturen und die alltägliche Gesellschaft eine Gefahr dar. Die Lawinenaktivität wird vor allem durch zwei Faktoren bestimmt: die Permanenten und die Variablen. Unter den permanenten Faktoren versteht man hauptsächlich die Topografie, wie die Geländeneigung, die Rauigkeit der Oberfläche, die Ausrichtung, etc., welche sich nur sehr langsam verändern, bzw. nicht verändern. Zu den variablen Faktoren gehören vor allem meteorologische Variablen wie Schneefall, Regen, Wind oder Temperatur. Diese meteorologischen Variablen beeinflussen durch ihr spezifisches, dynamisches Wechselwirken den Aufbau der Schneedecke und die Schneeverhältnisse. Bestimmte Schneeschichtungen können dabei zu Schwachschichten innerhalb der Schneedecke führen, die Lawinenabgänge zur Folge haben können. Diese kritischen Schneedecken können in fünf Klassen (in Europa fünf, in den USA und Kanada sechs, dort wird noch zwischen einem tief in der Schneedecke liegendem Altschneeproblem und einem weiter oben liegendem Altschneeproblem unterschieden) eingeordnet und als Lawinenprobleme bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um das Neu-, Trieb-, Alt-, Gleit- und Nassschneeproblem (Zum genaueren nachlesen: https://www.slf.ch/de/lawinenbulletin-und-schneesituation/wissen-zum-lawinenbulletin/typische-lawinenprobleme/).

Diese dienen vor allem den NutzerInnen einen Überblick und Einschätzung der Lawinengefahr zu vermitteln, welche sich jedoch nur auf einen kurzfristigen und begrenzten Zeitraum, meistens einen Tag, beziehen. Ein kurzfristiger und begrenzter Zeitraum, da Schnee sich ständig unter dem Einfluss von Wetterveränderungen oder Tag/Nachtzyklen wandelt, andere Eigenschaften annimmt und sich demnach die Lawinengefahr verändert. Um generelle Aussagen (das typischer-, normalerweise) zu treffen, bzw. einen Gesamteindruck zu bekommen, welche Regionen potenziell häufiger von bestimmten Lawinenproblemen betroffen sind als andere, ist es sinnvoll, mehrere Jahre zu betrachten. In der Meteorologie werden für solche Analysen (also z.B. ob es in einer Region tendenziell mehr regnet oder wärmer ist als in einer anderen) wie bereits erwähnt Zeiträume von 30 Jahren oder mehr beobachtet, deren Ergebnisse dann als Klima bezeichnet werden. Ähnliches gilt für die Trendanalyse von Schnee- und Lawinenverhältnissen. Da das Klima als statistisches Mittel von Wetterserien definiert werden kann, dient es als Grundlage für die Charakterisierung von Schneeverhältnissen. In den USA und Kanada wurde in den 1990er Jahren bzw. Anfang der 2000er eine Klassifizierung von Schneeklimata entwickelt. Schneeklimata sind demnach über einen Zeitraum von etwa 30 Jahren gemittelte Schneeverhältnisse für einen bestimmten Ort oder eine Region und sollen einen Gesamtüberblick über die Beschaffenheiten vermitteln.  Auch in Europa gab es ähnliche Bestrebungen, jedoch existiert heute im Vergleich zu den USA, noch keine flächendeckende Schneeklimaklassifizierung. Doch in den letzten drei bis vier Jahren wurde ein in den USA etabliertes Schema auch für die französischen Alpen angewendet.

Aber weshalb ist es hilfreich eine Schneeklimaklassifikation zu haben?

Wie bereits erwähnt, schreiben sich meteorologische Verhältnisse in die Schneedeckenbeschaffenheit ein, welche die Lawinenaktivität und deren Charakter bestimmen. Wenn es zum Beispiel im Frühwinter viel schneit ist der Temperaturgradient zwischen Boden und Schneeoberfläche sehr groß, was dazu führt, dass sich innerhalb der Schneedecke kantige Kristalle bilden, welche eine kritische Schwachschicht darstellen, die mitunter bis in den Hochwinter, bzw. Frühling präsent bleiben kann. Bestimmte Schneeverhältnisse sind daher mit bestimmten Schwachschichten bzw. der Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Schwachschicht verknüpft. Ein Beispiel: In einer Region mit häufig sehr kalten Temperaturen und geringer Niederschlagsmenge, die zu einer dünnen Schneedecke führt, ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Altschneeproblemen höher, da diese Bedingungen einen größeren Temperaturgradienten innerhalb der Schneedecke oder einzelnen Schichten begünstigen. Dieser wiederum fördert die Bildung von kantigen Kristallen, die die Stabilität der Schneedecke reduzieren und eine auslösbare Schwachschicht darstellen können. Im Gegensatz dazu ist in Regionen, in denen regelmäßig wärmere Temperaturen auftreten, viel Schnee fällt und gelegentlich Regen auftritt, das Risiko für Altschneeprobleme deutlich geringer. Achtung hier: in Regionen mit mehr Niederschlag (als Regen und/oder Schnee) dominieren dann andere Lawinenprobleme.

Mit diesem Wissen kann somit ein genereller Überblick über Schneeverhältnisse und die damit verbundenen Lawinenprobleme innerhalb einer Region ermittelt werden. Dieser kann als Grundlage für das Bewusstsein eines Lawinenproblems innerhalb einer Region dienen. Zudem können anhand einer existierenden Klassifikationen Veränderungen bezüglich des Klimawandels festgestellt werden.

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Wie werden solche Klimatypen bestimmt?

In der Schweiz gibt es 128 automatische Schneestationen, die meteorologische Variablen, wie Schneehöhe, Temperatur, relative Feuchte, Wind, reflektierte kurzwellige Strahlung und Schneetemperaturen aufzeichnen. Die Stationen befinden sich überwiegend in einer Höhe von 1900 bis 2700 Metern über Meereshöhe. Der Median der Stationen liegt auf 2300 Metern, was der typischen Höhenalge von Lawinenanrissen in den Schweizer Alpen entspricht. Dadurch repräsentieren die sogenannten IMIS-Stationen Areale potenzieller Lawinenanrissgebiete. Die Aufzeichnungen dieser Stationen werden in ein numerisches Modell eingespeist, das die Schneedecke mit ihren Schichten für eine gesamte Wintersaison simuliert. Jeden Tag wird auf Basis der gemessenen, bzw. simulierten Daten ein Schneeprofil ermittelt – und das über die gesamte Saison hinweg. Es ist jedoch zu beachten, dass es sich um Simulationen handelt. Diese simulierten meteorologischen Daten dienen als Grundlage für die Schneeklimaklassifikation.

Anhand eines Klassifikationsmodells, das von Mock & Birkeland (1) etabliert wurde, werden die simulierten Daten ausgewählter Variablen mit festgelegten Schwellenwerten verglichen und anschließend einer von drei möglichen Klassen zugeordnet. Für jede Station kann danach die Häufigkeit des Auftretens der jeweiligen Klasse ermittelt werden. Die Klassen sind „Maritim“, „Transitional“ und „Kontinental“. Jede Klasse ist mit spezifischen Schneecharakteristika verbunden, die sich hinsichtlich Niederschlags (in fester oder flüssiger Form, also Schnee oder Regen), Temperatur, Schneedeckentemperaturgradienten und dem Wassergehalt im Schnee unterscheiden.

Maritim:

  • Milde Temperaturen

  • Reichlicher und kontinuierlicher Schneefall

  • Dichte Schneedecke

  • Geringe Temperaturgradienten innerhalb der Schneedecke

Kontinental:

  • Kalte Temperaturen

  • Geringer Schneefall

  • Schneedecke mit geringer Mächtigkeit

  • Starke Temperaturgradienten innerhalb der Schneedecke. Dieser macht die Bildung von kantigen Kristallen wahrscheinlicher (Anhaltspunkt: Bei einem Temperaturgradienten von mehr als 10 °C innerhalb der Schneedecke ist die Bildung von kantigen Kristallen, bzw. Becherkristallen relativ wahrscheinlich)

Transitional:

  • Mittlere Eigenschaften zwischen „maritim“ und „kontinental“ 

  • Einerseits determiniert durch beträchtlichen Schneefall, andererseits durch Schwachschichten in denen kantige Kristalle auftreten

Die Ergebnisse der Schneeklimaklassifikation

Die Klassifizierung hat gezeigt, dass in den Schweizer Alpen zu 45 % ein transitionales, zu 34 % ein maritimes und zu 21 % ein kontinentales Klima vorherrscht. Diese drei Klimatypen zeichnen sich auch geographisch ab: Am Alpennordhang dominiert das maritime Klima, das auch am Alpensüdhang ausgeprägt ist. Dazwischen kommt vor allem das transitionale Klima vor. In Teilen des Wallis und im Engadin spiegelt sich der abschattende Effekt der inneralpinen Trockentäler gegenüber Niederschlägen wider, was zu einer vorherrschenden kontinentalen Klassifikation führt.

Es ist anzumerken, dass für die meisten Stationen mehr als ein Klimatyp zugeordnet werden konnte. Das bedeutet, dass zum Beispiel für die Station Simplon Wänghorn von 22 Saisons die Mehrheit, nämlich 17 als transitional, 3 als maritim, und 2 Jahre als kontinental eingeordnet wurden. Diese Variabilität lässt sich auf kleinräumige Einflüsse wie die bereits erwähnten orographischen Merkmale, zurückführen. Die beobachteten regionalen Unterschiede spiegeln zu einem guten Teil die bekannten Muster der Niederschlagsverteilung der Schweizer Alpen wieder. Angesichts der geringen Größe der Schweiz (etwa 100 km in Nord-Süd- und 300 km in West-Ost-Ausdehnung) ist es erstaunlich, dass sich solch differenzierte Unterschiede in den Schneeklimatas herausbilden.

Ausblick:

Für die französischen Alpen wurde, wie bereits eingangs erwähnt, das beschriebene Klassifikationsmuster bereits angewandt, zudem wurden Lawinenklimata mithilfe einer anderen Methode ermittelt (2). Hierbei wurden anhand eines numerischen Modells für jeden Tag die möglichen Lawinenprobleme prognostiziert und zudem abgeschätzt, wie kritisch das Problem ist. Dabei wurde u.a. die Lawinenprobleme (Neuschnee, Triebschnee, Altschnee, und Nassschnee) und die Art der Auslösung (spontan oder durch SkifahrerIn) unterschieden. Anschließend wird für jede Region die typische Kombination der Lawinenprobleme ermittelt. Für eine bestimmte Region ergibt sich somit eine spezifische Kombination aus Neuschnee, Triebschnee und anderen Lawinenproblemen.

Anhand dieser Kombinationen lassen sich Regionen mit ähnlichen Mustern identifizieren, die in vier Klassen (Voralpen, nördliche und südliche Alpen, und inneralpin) eingeteilt und geographisch verortet werden können. Diese Klassifizierung erweitert die bisherige Schneeklassifizierung, da sie sich direkt auf Lawinenprobleme bezieht und nicht nur auf meteorologische Daten, die mit dem Auftreten bestimmter Lawinenprobleme assoziiert sind.

Dieser Ansatz ergänzt die Schneeklimaklassifikation durch die vorherrschenden Lawinenprobleme, was auch für die Schweizer Alpen interessant wäre.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es Regionen gibt, die durch ähnliche Schneeverhältnisse charakterisiert sind und infolgedessen ähnliche Lawinenprobleme aufweisen. Die Einteilung dieser Regionen nach ihren typischen Schneeklimata ist vor allem in der wissenschaftlichen Analyse und im internationalen Vergleich, beispielsweise mit Ländern wie den USA oder Kanada, von Bedeutung.

Es muss jedoch betont werden, dass die aktuelle Situation entscheidend ist und in der Lawinenvorhersage die unmittelbaren Wetter- und Schneebedingungen im Vordergrund stehen, denn auch in einer schneereichen generell maritimen Region, kann einmal ein Altschneeproblem auftreten.

Die Kenntnis der Schneeklimata bietet dennoch wertvolle Einblicke und fördert das Verständnis darüber, wie sich Schneedecken in unterschiedlichen Regionen verhalten. Zudem kann dieses Wissen die Planung unterstützen, da es ermöglicht, gezielter auf spezifische Bedingungen zu reagieren. Es kann beispielsweise helfen, ungefähr einzuschätzen, welche Regionen ähnliche Schneeverhältnisse aufweisen, wenn man in eine neue, noch unbekannte Region kommt.

Diese Vergleichsmöglichkeiten erweitern das Wissen im Umgang mit Lawinengefahren und tragen zur internationalen Zusammenarbeit und zum Erfahrungsaustausch bei.

Weitere Verweise:

Die Klassifikation wurde im Zuge eines Praktikums am WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos unter der Aufsicht von Prof. Dr. Jürg Schweizer erstellt. Die verwendeten Daten wurden ebenfalls vom SLF zur Verfügung gestellt.

Für die Schneeklimaklassifikation:

1: Mock, C. J., Birkeland, K. W. (2000). Snow Avalanche Climatology of the Western United States Mountain Ranges. Bulletin of the American Meteorological Society, 81(10), 2367–2392. doi: 10.1175/15200477(2000)081¡2367: SACOTW¿2.3.CO;2.

Für die Lawinenklassifikation:

2: Reuter B, Hagenmuller P, Eckert N (2023). Snow and avalanche climates in the French Alps using avalanche problem frequencies. Journal of Glaciology 69(277), 1292–1304. https://doi.org/10.1017/jog.2023.23.

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