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Interviews

Interview | Lukas Ruetz über IFALP

Initiative für eine alpenweit einheitliche Lawinenprognose

12.10.2020 von Eliane Droemer
Die Initiative für eine alpenweit einheitliche Lawinenprognose - IFALP - wünscht sich, dass Lageberichte nicht mehr an den Landesgrenzen aufhören. PG-Kolumnist Lukas Ruetz engagiert sich für IFALP und wir haben die Gelegenheit genutzt, genauer nachzufragen, wie es zu IFALP kam und was die Initiatoren sich für die Zukunft der Lawinenwarnung in den Alpen wünschen. Ein Interview von Eliane Droemer:

ED: Wie ist Eure Initiative IFALP entstanden? 

LR: Unsere Initiative ist tatsächlich am Biertisch entstanden. Das war zunächst ein loses Blogger-Treffen, das Markus Stadler organisiert hat.

Markus Stadler, der die Facebook Gruppe „Lawinen“ moderiert?

Ja, genau. Er ist ein bekannter Autor von Führerliteratur aus Rosenheim und er hat ein Treffen von Wintersportbloggern und Alpinjournalisten organisiert. Wir haben ein nettes Wochenende verbracht samt Ideenfindung, wo es Synergien gibt oder was man zusammen für Projekte starten könnte.

Wann war das?

Das war im April 2019. Wir haben gleich Nägel mit Köpfen gemacht. Wir haben überlegt, wie man die Website aufbauen könnte, wie man das Wording macht oder was eine richtige Herangehensweise ist, wie zum Beispiel: „Wir wünschen uns mehr Zusammenarbeit in der Lawinenwarnung“ statt „Wir fordern...“.

Der gemeinsame Lawinenreport des Euregio-Projekts Tirol - Südtirol -Trentino ist ja sehr gut angekommen. Es gibt durchaus Regionen, die Interesse haben, sich anzuschließen. Andere wiederum wollen lieber weiter auf eigene Faust ihren Lawinenlagebericht modernisieren. Das Ganze scheint hochpolitisch und sehr arbeitsaufwendig zu sein. Wie kann das funktionieren?

Die Grundidee ist: Politik und Bevölkerung darauf aufmerksam zu machen, dass es Verbesserungspotenzial gibt. Denn wir glauben, dass sich der normale Skitourengeher und Freerider  bewusst ist, dass es große Unterschiede auch in der Qualität gibt. Aber, dass er nicht selbst aktiv auf die Idee kommt, auf die Dringlichkeit dieses Problems hinzuweisen und so Druck aufzubauen, damit hier Verbesserungen vorgenommen werden können.

Wir möchten nicht explizit vorgeben, wie es ausschauen könnte. Auch wenn der neue Euregio-Lawinenreport meiner Meinung nach der neue Benchmark ist. Das System ist Open Source. Dem könnten sich alle relativ einfach anschließen und keinem fällt dabei ein Stein aus der Krone. Wir sagen: Arbeitet besser zusammen. Das wäre unser Wunsch!

Wir möchten vor allem auch der Politik den Anstoß geben, mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Sie kann nur so erkennen, dass ein großer Teil der sportlichen Bevölkerung dahinter steht und endlich stärkere Fortschritte in einer eigentlich so einfachen Problemstellung sehen will. In einem Europa, das schon so auf so vielen Ebenen zusammenarbeitet...

Derzeit werden nämlich noch teilweise ziemlich eigene Süppchen gekocht. In Italien gibt es zum Beispiel für eine Region zwei verschiedene Lageberichte. Einmal von der AINEVA, einmal von der Meteomont/Carabinieri. Die geben am gleichen Tag für die gleiche Region verschiedene Berichte mit zum Teil verschiedenen Stufen aus!

Deshalb ist es ganz wichtig, dass jeder Skitourengeher drüber spricht. Und wenn er sich damit identifizieren kann, die Initiative unterstützt. 

Die EAWS, also die Europäische Arbeitsgemeinschaft der Lawinenwarndienste ist hier das ausführende Organ. Die Lawinenwarndienste wissen genau wo es hapert oder wo es Entwicklungspotential gibt. Der Wille zur Zusammenarbeit ist ja größtenteils da. Es scheitert weniger daran, dass manche ihr eigenes Ding durchziehen wollen. Es scheitert hauptsächlich daran, dass Geld und Personal fehlen. In Kärnten zum Beispiel gibt es einen (!) Lawinenwarner, der mehr oder weniger auf sich allein gestellt ist. Für ein Gebiet im Hochgebirge mit tausenden von aktiven Wintersportlern und Gästen. Wenn er mal ausfällt, was dann?

Für das Euregio-Projekt ist von der EU eine große Summe zur Verfügung gestellt worden, um Infrastruktur und IT auf die Beine zu stellen und gute Mitarbeiter zu finden. Vergleich' mal die Internetseiten verschiedener Lawinenwarndienste. Viele sind für das Jahr 2020 nicht nur veraltet, sondern eine Antiquität.

Also wollt Ihr eher eine Art Druck von unten entstehen lassen, der zunächst zu einer Bewusstseinswerdung und dann hoffentlich auch zur Aktivität der Verantwortlichen führt?

Genau. Ein sanfter Druck, der dazu führt, dass die Wintersport-Community geschlossen sagt: Wir wünschen uns das, bitte setzt das besser um. So, dass der sanfte Druck konstruktive Arbeit entstehen lassen kann. Deswegen ist das Ganze auf mehrere Jahre ausgelegt. Wir sind uns aber bewusst, dass auch nix draus werden und alles im Sand verlaufen könnte. 

Obwohl sich alle europäischen Warndienste auf die sogenannte Europäische Gefahrenskala beziehen, gibt es trotzdem markante Unterschiede in der Anwendung, heißt es auf der IFALP Website. Kannst Du da ein Beispiel nennen?

Hierzu gibt es ein sehr gutes Beispiel, das wissenschaftlich fundiert ist. Eine Studie unter Leitung von Frank Techel vom Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF. Die Studie ist 2018 beim ISSW (Anm. d. Red. International Snow Science Workshop) in Innsbruck veröffentlicht worden. Über mehrere Jahre wurden die Lageberichte vom ganzen Alpenbogen ausgewertet. Zum Beispiel, wie oft welche Warnstufe vergeben worden ist oder was die durchschnittliche Warnstufe ist. Beim Vergleich mit sehr ähnlichen geographischen, klimatologischen Ausgangsbedingungen, allen voran an der französisch-schweizerisch-italienischen Grenze, wurde festgestellt, dass die Franzosen wesentlich öfter Lawinenwarnstufe 4 und 5 vergeben haben, wo es bei den anderen ein 3er war. Und umgekehrt, dass sehr selten eine 1 vergeben wurde, wenn wir Lawinenwarnstufe 1 hatten. Dabei sind die Vergabekriterien definiert. Das zeigt deutlich, wie unterschiedlich die Definition  ausgelegt wird.

Was meint Ihr mit Eurer Forderung nach „ähnlichen Prozessen bei der Erzeugung der Lawinenprognose“?

Damit ist gemeint, wie der Lawinenlagebericht konkret entsteht und wie die Lawinenwarndienste die Warnstufe vergeben. In weiten Teilen ähneln sich die Prozesse, in manchen unterscheiden sie sich auch stark. Die Lawinenwarner gehen unterschiedlich vor. Einige kommen zum Beispiel praktisch nie ins Gelände und graben so gut wie keine Schneeprofile! Ich denke, ein LWD sollte je nach Situation mindestens einmal pro Woche aktuelle Schneeprofile aus seinen Beurteilungsgebieten aufnehmen können oder zur Verfügung haben. Wenn alle wenigstens ähnlich vorgehen, dann wird das noch konsistenter. Jeder Warner sollte beispielsweise gezwungen sein, die EAWS-Matrix für jede Gefahrenstufenfestlegung verwenden zu müssen. Und bei der Geländearbeit sind wir wieder bei den Ressourcen: Den meisten LWDs mangelt es einfach an Zeit und Geld, um regelmäßige und adäquate Geländearbeit durchzuführen.

Gibt es konkrete nächste Schritte, die Ihr angehen wollt, um den „sanften Druck“ von unten zu verstärken?

Vor allem mit Frankreich und Italien sind wir noch nicht so gut vernetzt. Da brauchen wir noch Unterstützung. Das Ganze ist aus der DACH-Region entstanden (Anm. d. Red., Deutschland, Österreich, Schweiz).
Um die Masse zu erreichen, sind große Player wie Alpenvereine wichtig. Mit diesen sind wir bereits im Gespräch. Man muss dabei sehr überlegt vorgehen. Denn es soll als positive Unterstützung und nicht als Kritik an den Lawinenwarndiensten wahrgenommen werden. Wir als Wintersportler wollen Druck bei der Politik aufbauen mit dem Augenmerk: Wir brauchen bessere Ressourcen und eine bessere Zusammenarbeit, um die Zahl der Toten weiter zu reduzieren. Bis jetzt war das Feedback der Warndienste, die ich persönlich kenne: „Das wird schwierig. Aber cool, dass Ihr das auf die Beine gestellt habt“.

Auf der IFALP Website findet man auch die anschauliche Informationspyramide, nach der im Lagebericht die wichtigsten Informationen zuerst dargestellt werden sollen. Welche der sechs Stufen der Pyramide sollte sich der Tourengeher besonders merken?

Lesen sollte jeder immer alles, um sich an die Termini zu gewöhnen, vom kompletten Neuling bis zum Profi. Am Anfang ist es wie eine Fremdsprache. Neulingen empfehle ich, zur Risikoabschätzung vor Ort eine Strategie zu verwenden, wie Stop or Go oder das Lawinenmantra. Sobald man das Grundwissen hat und damit umgehen lernt, kann man wesentlich besser mit den Beschreibungen arbeiten. 

Vielen Dank und weiterhin viel Spaß im Schnee!

Lukas (27) aus dem Tiroler Sellrain ist Beobachter vom Lawinenwarndienst Tirol, Mitglied der Lawinenkommission und ausgesprochener Schneemaulwurf mit an die 140 Skitouren pro Saison und fast ebenso vielen gegrabenen Profilen. Auf seinem Blog lukasruetz.at, in der Kolumne „SchneeGestöber“ auf Powderguide.com und besonders bei seinen Vorträgen lernt man anschaulich und praxisnah über Lawinenkunde. Wer unauffällig Tourentipps von ihm absahnen will, steigt im Berggasthof Ruetz in St. Sigmund ab. 

Exkurs Beobachter vom LWD:

In Tirol gibt es etwa 30 Beobachter des Lawinenwarndienstes. Zum einen die stationären, die täglich die statistische Weiterführung der Daten seit Jahrzehnten verantworten. Andere wie Lukas, aber auch Bergführer oder Mitarbeiter von Skigebieten melden Lawinenabgänge, graben Schneeprofile und machen Unfallanalysen. Mehr zum Thema, wie ein LWD arbeitet, am Beispiel Tirol, könnt ihr hier nachlesen.

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