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Interviews

PowderPeople | Stephan Siegrist

Professioneller Schweizer BergfĂĽhrer und Bergsteiger seit 30 Jahren. Skifahren tut er am liebsten runter.

von Johanna Korte • 26.12.2024
Stephan Siegrist ist länger in den Bergen unterwegs als die meisten von uns. In diesem Interview erzählt er von seinen Anfängen, teilt seine Einschätzungen zu den aktuellen Veränderungen in den Bergen im Winter und den daraus entstehenden Gefahren.

„Geboren wurde Stephan Siegrist 1972. Aufgewachsen ist er in Meikirch in der Schweiz. Ein Dorf im Berner Mittelland, von dem aus man bei gutem Wetter eine tolle Aussicht auf die Berner Alpenlandschaft hat. Auf den Schulabschluss folgte zunächst eine Ausbildung als Zimmermann (Stephan Siegrist Webseite)“. Seine Webseite lädt dazu ein, in einer beeindruckenden Sammlung von Erstbegehungen, Expeditionen und Kletterchroniken zu stöbern.

Kürzlich kehrte er von einer Expedition in Nepal zurück – mehr dazu später.

Umso mehr freut es uns, ihn fĂĽr ein kurzes Interview treffen zu dĂĽrfen

J: Hallo Stef. Schön, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast. Lass uns direkt starten. Was hat dich dazu inspiriert, mit dem Bergsteigen anzufangen?

S: Das war lustigerweise eine Skitour, die mich ehrlicherweise aber nicht wirklich begeistert hat, weil ich fand, dass der Aufwand und der Ertrag nicht wirklich im Verhältnis standen. Es hat mich aber dann natürlich weiter ins Gebirge gebracht und mit 18 bin ich, während einer Skitour, dann das erste Mal zum Klettern und zum Abseilen gekommen und das hat mir dann gefallen. Also war es am Ende eher das Technische, was mir am Bergsteigen gefallen hat.

J: Kannst du dich noch an den Moment erinnern, als du beschlossen hast Bergsteigen zu deinem Beruf zu machen?

S: Nein, das hat sich über die Jahre eher so entwickelt, weil es war schon mein Traum, aber ich hätte es mir nie träumen lassen. Vor 30 Jahren war die Sportindustrie noch gar nicht so weit, dass sie überhaupt jemanden finanziell hätten unterstützen können.

Ich weiß aber noch, ich war in der technischen Vorbereitung für meinen Beruf in der Schule und das hat mich dann ziemlich «angegurgt» und irgendwie hab ich mir dann gedacht: «Du musst deinem Herz folgen». Wobei mir alle gesagt haben: «Du hast keine Chance, das geht eh nicht, funktioniert eh nicht». Und ich muss auch sagen, ich habe wirklich sehr spartanisch gelebt, habe einfach mein Zeug im Gebirge gemacht und dann hat sich das ein oder andere so entwickelt, auch dank Fotografen, die dann Bilder gemacht haben. Dann wurden Sachen publiziert, Begehungen publiziert und so bin ich eigentlich hineingewachsen und es war nicht eine Entscheidung von heute auf morgen.

J: Faszinierend. Zurück zum Skifahren. Wo und wie bewegst du dich hauptsächlich?

S: Es ist witzig, auch das hat sich verändert. Ich fahre sehr gerne Ski, am Anfang hätte man denken können, ich fahre nicht gerne Ski, aber ich fahre vor allem gerne runter. Ich habe früh angefangen, mit 3 Jahren, und witziger Weise ist es eigentlich das, was ich heute führe als Bergführer. Ich habe seit 30 Jahren eine Familie, mit denen ich unterwegs sein darf und die gehen nur zum Skifahren, also im Sommer sind sie, zum Glück, nicht am Berg unterwegs. Und deshalb führe ich viel im Winter auf den Ski.

J: Wie gehst du mit den Gegebenheiten am Berg um, vor allem im Winter?

S: Ja also die Anpassungen auf die Veränderungen und die Vorbereitungen, vor allem wenn du noch Gäste hast, die warten, ist extrem mühsam. Mit den heutigen Erwärmungen ist es auf Höhen zwischen 1000 und 1500 Metern häufig so, dass Regen in die Schneedecke eindringt. Gleichzeitig gibt es auf über 3000 Metern oft starken Westwind, der es schwierig macht, wirklich guten Schnee zu finden.

Das macht die Situation im Vergleich zu früher deutlich anspruchsvoller, insbesondere wenn man es mit SkifahrerInnen zu tun hat, die eher unsicher sind oder nur bei perfekten Schneeverhältnissen fahren wollen.

J: Also so wie wir alle (lacht).

S: Ja, schon, aber das Problem ist, dass viele einfach keinen schlechten Schnee fahren können. Sie sind oft keine wirklich guten Skifahrer, und da steht man manchmal schon vor Herausforderungen. Das hat sich wirklich stark verändert.

Zum Glück hat es dieses Jahr schon ein bisschen Schnee gegeben. Aber in den letzten Jahren war es oft so, dass es zwar im November ein bisschen Schnee gab, aber nicht genug. Ich denke, es braucht ein Umdenken. Die Leute sollten flexibel sein und dann Skifahren gehen, wenn die Bedingungen gut sind, statt einen festen Termin zu setzen und dann perfekte Verhältnisse zu erwarten. So kann es schon auch passieren, dass alles grün ist.

J: Hat sich deine Risikobereitschaft über die letzten Jahre mit den Veränderungen im Gebirge und mit Familie verändert? Würdest du sagen, du bist jetzt entspannter geworden?

S: Ja. Nein, gestresster (lacht). Aber im Ernst, ich habe immer versucht, möglichst sichere Linien zu wählen, so gut es eben geht – also eher auf Erhebungen, Graten oder Rippen. Wenn man zurückblickt, ist Shivling vielleicht ein schlechtes Beispiel, aber ansonsten wähle ich oft Pfeiler im Hochgebirge, weil man dort in der Regel deutlich sicherer unterwegs ist. Oder große Wände, bei denen du weißt, dass der Fels sehr kompakt ist, weil man es schon von weit unten erkennen kann. Naja, das war aufs Bergsteigen bezogen.

Im Winter war ich eigentlich immer sehr defensiv unterwegs, weil ich schon als Junge gesehen habe, wie es knallen kann. Man versucht das Gelände bestmöglich einzuschätzen, aber es halt versteckte Minen, und wenn du auf solche stößt, dann ballert es, oder? Ein perfekter Powdertag kann dann schnell in einer Tragödie enden, und deshalb gehe ich im Winter besonders vorsichtig vor.

Also natürlich muss man auch unterscheiden, ob man selber unterwegs ist, also privat oder mit Gästen. Mit Gästen bin ich wirklich immer noch einen Schritt vorsichtiger. Und am Ende des Tages spielt es weniger eine Rolle, ob man jetzt diesen Steilhang gefahren ist oder nicht, aber was eine Rolle spielt, wenn es geballert hat, dass noch alle da sind.

J: Apropos Shivling. Da hat sich ja einiges verändert in den letzten drei Jahren. Wollt ihr es noch einmal mal in Angriff nehmen?

Hintergrundinfo: «Im November dieses Jahres reisten Stephan Siegrist, Kaspar Grossniklaus, Hugo Beguin und Jonas Schild gemeinsam in den Garhwal Himalaya nach Indien, um den dritten Versuch der Erstbegehung der Südwand des Shivling (6543 m.ü.M.) zu unternehmen. Der erste Versuch im Jahr 2021 musste wegen Höhenkrankheit abgebrochen werden, der zweite Versuch scheiterte an schlechten Wetterbedingungen und der dritte Versuch scheiterte abermals an Höhenkrankheit. Mehr über die spannende Expedition hier.»

S: Nein, die Veränderungen sind wirklich zu groß, und mit der Veränderung kommt auch die Gefahr. Es ist für mich einfach zu gefährlich geworden, und nicht nur für mich, sondern auch für Jonas (Schild).

Uns war sogar schon dort klar, wir gehen genau noch einmal rein, entweder funktioniert es oder es funktioniert eben nicht. Wir hätten die Zeit und das Wetter gehabt, um es sogar ein zweites oder drittes Mal zu versuchen, aber es ist einfach nicht mehr verantwortbar für uns. Wir hatten bisher Glück, dass uns bei den bisherigen Versuchen niemand durch einen Steinschlag zu Schaden gekommen ist. Ja, den Rest kennst du ja.

Hintergrundinfo: «Am 8. Oktober 2024 meisterten die Mammut Athleten Jonas Schild und Stephan Siegrist, zusammen mit ihren Seilschaftspartnern Kaspar Grossniklaus und Hugo Beguin, die wohl erste Besteigung des Südwestgrats des Sechstausenders Bhagirathi III in Indien. Ihr Bericht zeigt, wie aus einem Plan B eine herausragende alpinistische Leistung wurde.» Dies ist ein Auszug aus der Presse Mitteilung von Mammut, wo ihr noch mehr spannende Insider Infos findet.

J: Gab es irgendwann mal einen Moment, jetzt nicht unbedingt am Shiviling, wo du dir dachtest: «Ich lass’ den Mist jetzt!»?

S: Boah na, ich würde nicht generell sagen «ich lass’ den Mist jetzt». Also jetzt lass’ ich es vielleicht, ich lass’ die Wand, die Route, aber nicht das Bergsteigen.

J: Aufhören war also nie eine Option?

S: Also ich habe mich eher gefragt, was haben wir falsch gemacht, dass wir jetzt hier drin stehen? Und das sicher als Junge noch mehr. Da gab es ein paar Mal Momente, bei denen es leicht anders hätte ausgehen können. Aber man lernt natürlich mit jedem Fast-Unfall oder sollte zumindest etwas lernen, sonst macht man etwas falsch. Das gibt dir einen großen Rucksack voll Wissen, den du dann eigentlich wieder einsetzen kannst – oder zumindest solltest

J: Welcher Bergsport ist aus deiner Sicht der gefährlichste?

S: Ehrlich gesagt, finde ich Skifahren am gefährlichsten. Besonders, wenn es um steiles Skifahren geht. Das ist meiner Meinung nach ganz weit oben, wenn nicht sogar das Gefährlichste. Wenn der Schneedeckenaufbau nicht klar ist und sich Altschnee in der Schicht befindet, kann es überall zu Lawinen kommen, auch wenn man denkt, man ist eigentlich in einem sicheren Gebiet – logischerweise über 30°... Aber so vom Grundgedanke, ich reduzier’ das jetzt mal auf das Führen: Ich bin viel sicherer mit Gästen unterwegs im Sommer als im Winter.

J: Also siehst du die Hauptgefahr bei Lawinen im Winter?

S: Ja. Es gibt natürlich diese objektiven Gefahren, die teilweise auch subjektiv sind, insbesondere im Winter. Beim Bergsteigen hast du auch objektive Gefahren wie Stein- und Eisschlag, die man nie wirklich voraussagen kann, das ist klar. Aber im Winter finde ich, sind diese Risiken teilweise noch schwieriger einzuschätzen.

J: Was wĂĽrdest du Leuten empfehlen, die viel im Winter in den Bergen unterwegs sein wollen?

S: Airbag, Sicherheitsequipment und so weiter. Wie man sucht, wie man alarmiert, wie man sich im Ernsthall verhalten muss. Ein Lawinenkurs bietet sich auf jeden Fall an. Und dann sich nicht verleiten lassen von den geilen Videos, sondern sich möglichst selbst einschätzen können. Was weiß ich über Lawinen? Was kann ich riskieren? Und im Zweifelsfall auf jeden Fall immer unterwegs sein.

J: Du hast es fast geschafft und ich konnte dich sogar verstehen trotz dem Schweizerdeutsch (lacht). Eine letzte Frage: Mit welchem Ski bist du am meisten am Weg?

S: Haha, ja nur, weil es nebenher auf Englisch ĂĽbersetzt wurde (lacht). Mit dem Scott Pure Tour.

J: Vielen Dank fĂĽr das Interview.

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