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Interviews

PowderPeople | Dr. Benjamin Walter

Im Gespräch mit Christiane Eggert vom 26. Januar 2024

von Christiane Eggert • 03.02.2024
Dr. Benjamin Walter ist von Beruf Physiker. Er arbeitet beim SLF (Institut für Schnee- und Lawinenforschung) in Davos und beschäftigt sich primär mit Schneephysik, genauer der Veränderung von Schneekristallen durch Windverfrachtungen und daraus resultierenden Risiken für den Schneedeckenaufbau. Christiane Eggert hat ihn für uns interviewt.

Wir beginnen mit einem kurzen Kennenlernen. Vervollständige bitte folgende Sätze:

..meinen ersten Kontakt mit Schnee hatte ich: ich bin auf einem Bauernhof im Schwarzwald aufgewachsen, dort gab es häufig Schnee im Winter. Meine schönste Kindheitserinnerung im Schnee ist, dass wir mit aufgeblasenen LKW-Schläuchen die Hänge runter gerodelt sind.

..nach Feierabend mache ich am liebsten: (lacht) was war Feierabend mit zwei kleinen Kindern nochmals? Spaß bei Seite: wenn es die Zeit zulässt, dann bin ich schon gerne nach einem Tag im Büro draußen und bewege mich z.B. bei einer Nachtskitour oder Eishockey mit Freunden.

…Ski oder Snowobard:  kommt auf die Bedingungen an. Im Frühjahr und harten Bedingungen eher mit den Ski, an Powdertagen nehme ich aber lieber das Snowboard.

..Ski/ Snowboarden bedeutet für mich: Spaß mit Familie und Freunden. Den Kopf vom Alltag freizubekommen.

..das darf nicht auf einer Tour mit dem Snowboard fehlen:  Felle! Im Ernst: kommt häufiger vor, als man denkt.

..nach einem Tag im Schnee gibt es nichts Besseres als: Sauna und Hefeweizen.

..darauf kann ich verzichten: Kapitalismus und Himbeerkerne in der Zahnlücke.

..ich träume heimlich von: in einer kleinen Hütte im Yukon off-the-grid zu leben.  

..am liebsten verbringe ich meine Ferien in: Italien oder Skandinavien. Ich suche in den Ferien eher die Ruhe und verbringe gerne Zeit mit Familie und Freunden.

..bei diesem Essen werde ich schwach: Kaspressknödel vom Knödel- Walter.

..diese Musik höre ich am liebsten: Ich bin Teil einer Surf Rock Band und höre diese Musik privat auch sehr gerne. Mein aktuelles Lieblingsalbum ist das neue Album von „The Hives“, ein richtig gutes Rock'n'Roll-Album.

..ich habe Angst vor: der Klimaerwärmung und die daraus resultierenden Folgen. Ich hoffe, dass unsere Kinder noch auf einer lebenswerten Erde ihr Leben verbringen dürfen. Durch meine Arbeit im Bereich der Umweltwissenschaften bekommt man einen guten Einblick in den Klimawandel und deren Ursachen. Mittlerweile befürchte ich, dass sich das Klima noch schneller verändert, als man bisher angenommen hat.

..in 10 Jahre bin ich: hoffentlich gesund und am Skifahren!

PG: Danke für den Einstieg. Beginnen wir nun mit den Frage. Du bist Schneephysiker. Erzähl doch erstmal, wie es dazu gekommen ist. Wie war dein beruflicher Werdegang?

Als „Bauernhof-Kind“ bin ich in der Natur aufgewachsen. Wald und Schnee haben mich immer fasziniert. In der Schule hatte ich einen guten Physiklehrer und der hat es geschafft, dass ich mich für Physik und Mathematik interessiere. Eigentlich wollte ich immer Förster oder Forstarbeiter werden, aber als mir ein Forstarbeiter davon abgeraten hat, da der Rücken mit 40 Jahren „kaputt“ sei, entschied ich mich doch für ein Physikstudium in Karlsruhe.  Im Studium habe ich mich vor allem im Bereich erneuerbarer Energien, Photovoltaik und Windkraft spezialisiert. Ans SLF (WSL- Institut für Schnee- und Lawinenforschung) kam ich durch meine Doktorarbeit am Windkanal zum Thema Schneeverfrachtung durch Wind, wo ich mich nebenbei auch mit dem Thema „Wasserfluss durch Schnee“ beschäftigt habe.

Anschließend war ich 5 Jahre am Physikalisch Metrologischen Observatorium Davos (PMOD) als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich der Sonnenstrahlungsmessung tätig. Dort war ich an zwei großen Projekten beteiligt: der Entwicklung eines kryogenen Radiometer, der als weltweite Referenz für Sonnenstrahlungsmessungen auf der Erde dient, und eines Space-Radiometer, welches auf einem norwegischen Satelliten die Sonnenstrahlung im Weltraum misst.  

Seit 2019 bin ich wieder am SLF und habe zunächst für ein Jahr in der Gruppe Schneeprozesse gearbeitet, wo ich mit einem RADAR Gerät Schneefahnen an einem Berggrat vermessen habe, bevor ich dann 2020 in die Gruppe Schneephysik gewechselt bin. In der Schneephysik habe ich bisher an der Entstehung von Wechten geforscht, wie Wind die Schneemikrostruktur verändert, und ein optisches Messgerät mit entwickelt, mit dem man die Korngröße und Dichte in einem Schneeprofil messen kann.

 

PG: Hast du dich schon immer fĂĽr Schnee interessiert? Was fasziniert dich an dem Thema?

Ja, schon als kleines Kind habe ich mir die Nase am Fenster plattgedrückt, wenn es draußen geschneit hat. Schnee kann das Landschaftsbild innerhalb von Stunden komplett verändern. Ich mag, dass Schnee alles leiser und ruhiger macht. Schnee ist ein so vielfältiges und komplexes Material, und seine Eigenschaften faszinieren mich immer wieder aufs Neue.

 

PG: Du warst maĂźgeblich bei der Entwicklung des Ringwindkanals beteiligt. Kurze Zusammenfassung fĂĽr unsere Leser: Was genau ist ein Windkanal?

Einen Windkanal kennt man am ehesten aus der Automobilindustrie, um den Luftwiderstand von Fahrzeugen zu messen. In unserem Fall nutzen wir den Windkanal, um den Transport von Schnee durch Wind zu untersuchen. Die Idee mit einem Ringwindkanal entstand bereits 2012. Bis 2017 gab es dann weltweit nur lineare Windkanäle, die für Schneeuntersuchungen genutzt wurden. Das Problem an einem linearen Windkanal liegt darin, dass nur sehr kurze Strecken und Momente bei der Schneeverfrachtung untersucht werden können, da der Schnee nach wenigen Metern wieder aus dem Kanal geblasen wird. In einem Ringwindkanal können wir theoretisch „unendlich“ langen Schneetransport simulieren. Vor etwa drei Jahren haben wir den Ringwindkanal dann ins Kältelabor geholt, was uns zum Beispiel ermöglicht die Fragmentierung von Schneekristallen beim Transport oder die Entstehung von Wechten unter Laborbedingungen zu untersuchen.

PG: FĂĽr die Laien unter uns: Was meinst du mit Fragmentierung?

Wie sich die Schneedecke durch Zersplitterung von Schneekristallen verdichtet. Neuschneekristalle haben meist eine sechseckige Struktur mit feinen, zerbrechlichen Ästchen. Beim Transport mit dem Wind können diese Strukturen brechen, wenn die Kristalle auf dem Boden aufschlagen. Die dadurch entstehenden, kleineren Kristallteile können sich somit dichter anordnen, wenn sie abgelagert werden. Dies bedeutet weniger Porenraum und eine höhere Schneedichte von windverfrachtetem Schnee. Es gibt dann auch mehr Kontaktstellen zwischen den einzelnen Kristallen, wodurch die Schneeschicht härter wird. Fragmentierung ist nur einer von vielen Prozessen, die während der Schneeverfrachtung durch Wind stattfinden, welche wir im Ringwindkanal untersuchen.

PG: Dank deiner Arbeit kann die Dynamik der Schneedecke sehr präzise erforscht sowie im Windkanal simuliert werden. Was bedeutet deine Arbeit für die Forschung/ (Schnee-)Welt?

Die Ergebnisse zur Fragmentierung aus dem Windkanal helfen dabei den Schneedeckenaufbau mit Computermodellen genauer zu simulieren. In unserem speziellen Fall: wie sich die Schneedichte und die Korngröße abhängig von der Windgeschwindigkeit und Temperatur verändern. In unserer Gruppe beschäftigen wir uns aber generell mit Schnee als Material und dessen physikalischen (mechanischen und optischen) Eigenschaften. Für unsere Forschung verwenden wir unterschiedlichste Messtechniken. Zum Beispiel verwenden wir wie im Spital Computertomographie, um die Schneemikrostruktur in 3D zu vermessen und Veränderungen der Struktur aufgrund von Temperatur oder Drucklasten zu untersuchen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Entstehung von Schwachschichten wie Tiefen- oder Oberflächenreif, welche in einer Schneedecke zu kritischen Lawinensituationen führen können. Weiter entwickeln wir auch neue Messtechniken und Methoden, um die Schneemikrostruktur und deren physikalischen Eigenschaften im Feld oder Labor genauer zu untersuchen.

PG: Welche RĂĽckschlĂĽsse deiner Forschung flieĂźen in die Risikovorhersage mit ein?

Unsere Ergebnisse zu den Schwachschichten, Windverfrachtung oder Wechtenbildung werden in Zukunft immer mehr ĂĽber den Weg von Computermodellen in die Risikovorhersage einflieĂźen. Wind zum Beispiel ist allgemein als Baumeister von Lawinen bekannt, da er dazu fĂĽhrt Schnee an Wind abgewandten Bergseiten, Rinnen oder Mulden abzulagern. Wo diese Ablagerungen stattfinden und welche Dichte der Schnee haben wird, beeinflusst die Schneebrettlawinengefahr und ist somit ein wichtiger Baustein fĂĽr die Lawinenwarnung.

 

 

PG: Deine Forschung und Erkenntnisse werden in der Praxis genutzt. Was sind deine nächsten Ziele bzw. woran arbeitest du aktuell?

Aktuell arbeiten wir an einem neuen, optischen Messgerät namens „SnowImager“, welches wir zusammen mit einer lokalen Firma entwickeln. Der SnowImager ist eine schwarze Box, mit der man ein Schneeprofil mit nahinfrarot Licht beleuchten und das reflektierte Licht mit einer speziellen Kamera fotografieren kann. Mit diesem Instrument ist es möglich die Dichte und Korngröße der unterschiedlichen Schichten in einem Schneeprofil zu bestimmen. Zudem sind wir gerade dabei eine Forschungsarbeit zu veröffentlichen, bei der wir zum ersten Mal nachweisen konnten, dass Schneekristalle beim Transport mit dem Wind nicht nur fragmentieren, sondern dass sie auch aufgrund von Verdampfung und wieder Aufdampfen von Wassermolekülen an der Oberfläche der Schneekristalle sogar wachsen können und rundlichere Formen annehmen.

PG: Ist der Klimawandel auch in deiner Forschungsgruppe ein Thema?

Definitiv. Wir haben immer mehr Projekte in den Polarregionen. Der Klimawandel zeigt sich dort leider am stärksten. Ich war einmal auf einer Expedition auf Grönland und konnte mich vor Ort von dem drastischen Rückgang des Eises überzeugen. Wir möchten besser verstehen, wie sich die Schneedecke in diesen Regionen verändert. Wenn man in Zukunft z.B. größere Schneekörner oder mehr Feinstaub auf der Schneeoberfläche haben sollte, vermindert das die Reflexion von Sonnenstrahlung. Dies zusammen mit einer generell stark abnehmenden Schneebedeckung der polaren Regionen ist ein großes Thema. Kurz und bündig: Durch weniger Schneeoberflächen auf der Erde wird mehr Sonnenstrahlung absorbiert, was somit die Erderwärmung noch stärker vorantreibt. Man nennt dies einen positiven Klimaeffekt, auch wenn er so gesehen nicht „positiv = gut“ für das Erdklima ist.

 

PG: Wir sind mit powderguide.com eine Seite für den Wintersport. Lass uns da mal ein bisschen noch über dich persönlich sprechen. Du siehst nicht gerade aus wie ein Nerd. Bist du selbst auch viel unterwegs in den Bergen?

Ich kann aber manchmal schon recht nerdig sein, frag mal meine Kollegen (lacht). Ich finde Nerd-Sein nicht generell negativ, fĂĽr mich bedeutet es auch mit Herzblut bei der Arbeit zu sein oder sich fĂĽr etwas sehr zu interessieren. NatĂĽrlich bin ich aber auch gerne in den Bergen unterwegs, doch mit zwei kleinen Kindern habe ich einfach weniger Zeit dafĂĽr. GlĂĽcklicherweise lebe ich in Davos und habe die Berge vor der HaustĂĽre, dann sind es eben manchmal auch nur 2 StĂĽndchen.

 

PG: Wo trifft man dich an? On- oder Offpiste?

Beides. Mittlerweile habe ich aber nicht mehr so Lust auf groĂźe Menschenmengen, daher bin ich lieber Offpiste unterwegs, am besten tief und unverspurt (lacht).

 

PG: Was sind denn deine „Tools“ für den Schnee? Welche Ausrüstung ist immer mit dabei?

Im Laufe der Jahre entwickelt man einige „Marotten“. Ich bin zum Beispiel absoluter Verfechter von Softboots mit normalen Schnürsenkeln. Zudem habe ich immer Gaffa-Tape, Kabelbinder sowie ein Buff-Tuch dabei.

 

PG: Bist du durch deinen Beruf und Wissen ĂĽber Schnee eher defensiv unterwegs?

Ich würde sagen ja. Ich sehe den Schneedeckenaufbau auch immer mit „beruflichen“ Augen. Das lässt sich nicht mehr trennen.

 

PG: Wie verhältst du dich in einer Gruppe beim Touren? Wird von dir erwartet, dass du die Verhältnisse beurteilst?

Seit ich nicht mehr so viel am Berg unterwegs bin wie früher stufe ich mich mittlerweile eher als mittelmäßig erfahrener Tourengeher ein. Es fehlt die letzten Jahre einfach die Entwicklung eines Gespürs für die Bedingungen. Daher halte ich mich in der Gruppe eher zurück, was Empfehlungen angeht, wenn deutlich erfahrenere Kollegen dabei sind.

 

PG: Hast Du selbst schon Bekanntschaft mit Lawinen gemacht?

Ja, mit kleineren Schneebrettern durfte ich schon Bekanntschaft machen, wurde aber nie verschĂĽttet. Leider musste ich mal einen Kollegen ausgraben, welcher mit etwas Sluff in einer schmalen Rinne mitgerissen wurde, als er ungĂĽnstig ĂĽber einen Felsen gestĂĽrzt ist. Die Ski haben glĂĽcklicherweise noch herausgeschaut. Es hat aber 10 lange Minuten gedauert, bei ihm zu sein und ihn auszugraben. Es ist alles nochmal gut gegangen, war aber eine heftige und lehrreiche Erfahrung.

 

PG: Benni, vielen Dank für das Gespräch.

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