Lukas Ruetz:Patrick, wir kennen uns schon seit einigen Jahren. Für mich und sicher auch für viele unserer Leser war/ist es eigenartig, warum du im Bild der Verteilung der Schneedeckenstabilität immer von Krusten sprichst. Sind es doch die weichen Schwachschichten und nicht die harten Krusten, die uns die Probleme machen. Woher kommt dein besonderes Faible für Schmelz- oder Windkrusten und was hat es mit dem Bild für die Schneedeckenstabilität zu tun?
Patrick Nairz: Ganz klar, ohne Schwachschichten gibt es kein Schneebrett. Ebenso ist klar, dass eine Schneebrettauslösung wenig mit Krusten zu tun hat. Aber häufig findet man unmittelbar angrenzend an Krusten persistente, also lang anhaltende, Schwachschichten. Häufig sind diese Schwachschichten dann auch über große Distanzen gleichmäßig beschaffen. Die Folge können wiederum sehr großflächige Lawinenabgänge sein.
Wichtig ist also, dass Krusten einerseits die Bildung von Schwachschichten begünstigen, andererseits verzögern sie die Verbindung der benachbarten Schneeschichten und „schützen“ zudem Schwachschichten vor deren Zerstörung. Insbesondere dann, wenn diese unterhalb der Krusten liegen. Wir beobachten bei Unfallanalysen aber auch die verstärkende Wirkung eines über der Schwachschicht liegenden, weichen Schneebretts aufgrund der Einlagerung von Krusten innerhalb dieses Bretts.
Die Konsequenz daraus: Ein guter Lawinenprognostiker muss über die Existenz und Verteilung von Krusten möglichst gut Bescheid wissen.
LR: Eine Lawine ist bekanntlich immer lebensbedrohlich, egal wie sie zustande kommt. Sind diese Erkenntnisse also ein weiterer Schritt vom reinen „Triebschneewarner“ in den Anfängen der Lawinenwarnung zu einem richtigen Lawinenprognostiker, der alle Probleme erfassen kann und auch kommuniziert?
PN: Nein, diese Erkenntnis hat nichts mit dem über die Jahre diffizileren Prozessdenken und einer leichter verständlichen Kommunikation zu tun. Beides ist die Folge intensiver Beschäftigung mit der Materie und langjähriger Erfahrung. Gleichzeitig gibt es auch sehr gute Entwicklungen innerhalb der europäischen Lawinenwarndienste, insbesondere auch in Hinblick einer besseren Kommunikation. Stichwort: 5 Lawinenprobleme, die europaweit vereinheitlicht wurden.