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Interviews

PowderPeople | Martin Engler

Suchtfaktor Tiefschnee – Der Allgäuer Lawinenexperte im Interview

von Roland Wiedemann • 26.02.2009
Was geht in einem Experten vor, wenn Ski- oder Snowboardfahrer bei Lawinenwarnstufe vier in 40 Grad steile Tiefschneehänge fahren? Martin Engler: Da bleibt mir zunächst einmal die Luft weg. Ich war vergangene Woche am Riedbergerhorn mit Tourenski unterwegs und habe mit dem Fernglas Leute am Fellbühl, einem bei Freeridern beliebten Gebiet oberhalb von Riezlern, gesehen. Es waren nicht ein paar Einzelne, sondern viele unterwegs. Und das bei Warnstufe vier. Der Hang ist im oberen Bereich über 40 Grad steil. Ich bin ganz klar gegen die Verteufelung des Tiefschneefahrens und gegen Verbote. Aber wenn ich so etwas sehe, dann graust es mir.

Freeriden, also das Skifahren im freien Gelände, liegt voll im Trend. Damit steigt wohl die Gefahr solcher Unglücke wie am Hochgrat vom 18.2.09. 

Martin Engler: In der Tat gibt es immer mehr gute Skifahrer, die abseits der Pisten ihren Spaß haben wollen. Das technische Können ist deutlich gestiegen. Man kann inzwischen von einem wahren Wettlauf sprechen. Jeder will als Erster unberührte Hänge befahren. Dem Schnee wird nicht genug Zeit gegeben, sich zu setzen. Wenn ich ein, zwei Tage warte, bis die Verhältnisse sicherer sind, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass ich verspurtes Gelände vorfinde.

Mir ist aufgefallen, dass sich in den vergangenen Tagen Tourengeher stark zurückgehalten haben. Im krassen Gegensatz zu den Variantenfahrern. Außenstehenden ist absolut unverständlich, wie man sich wegen einer Tiefschneeabfahrt in Lebensgefahr begeben kann. 

Martin Engler: Das Ganze hat auf jeden Fall einen hohen Suchtfaktor, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Der Lustgewinn bei einer Abfahrt in frischem Pulverschnee ist sehr groß, der Verzicht ist mit einem starken inneren Konflikt verbunden. 

Ich kann ein Lied davon singen. Was empfehlen Sie suchtgefährdeten Mitmenschen?

Martin Engler: Man muss sein Verhalten ganz bewusst reduzieren. Man spricht von Risikomanagement. Das fängt schon bei der Auswahl des Skigebiets an. Ich suche mir bei prekären Verhältnissen, wie sie in der letzten Zeit häufig herrschten, Hänge aus, die nicht so steil und nicht so lang sind. Und wichtig ist die Frage, ob das Gelände regelmäßig und viel befahren wird. Letzteres wirkt sich positiv auf den Schneedeckenaufbau aus. Es gibt Hänge, die auch bei Lawinenwarnstufe vier unbedenklich sind und in denen man seinen Spaß haben kann.

Gibt es eine Grundregel, ab welcher Neigung man Hänge bei bestimmten Konstellationen meiden soll?

Martin Engler: Leuten, ohne tiefergehende lawinenkundliche Kenntnisse kann man folgende Faustregel an die Hand geben: Bei Lawinenwarnstufe drei gilt ab 35 Grad Verzicht, bei Warnstufe vier liegt bei 30 Grad die Grenze. Das Problem ist, dass viele Variantenfahrer die Hangneigung nicht einschätzen können. Das muss geübt werden, zum Beispiel mit der Snowcard. Grundsätzlich kann man sagen, dass es häufig am lawinenkundlichen Wissen fehlt.

Ich habe manchmal den Eindruck, dass manche Skifahrer und Snowboarder gar nicht so viel über die Risiken hören wollen, weil das ihnen sonst den Spaß verderben könnte. Immer wieder geraten auch erfahrene Skifahrer in Lawinen. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Martin Engler: Scheinbar handelt es sich ja auch bei dem Toten am Hochgrat um einen Skifahrer, der viel im freien Gelände unterwegs war. Mit vielen Befahrungen von sehr steilen Hängen wächst die Risikobereitschaft. Je mehr man dort fährt, ohne dass etwas passiert ist, desto sicherer fühlt man sich. Man gewöhnt sich sozusagen an das Risiko. Ich muss gestehen, dass ich auch schon Abfahrten gemacht habe, wo ich hinterher gedacht habe, das war über dem Vernünftigen. Man muss dann sein Verhalten kritisch hinterfragen und daraus für die Zukunft seine Lehren ziehen.

Zur Person 

Martin Engler ist 46 Jahre alt und lebt in Untermaiselstein bei Immenstadt. Der staatlich geprüfte Berg- und Skiführer hat sich seit seiner Kindheit mit dem Thema Schneelawinen intensiv beschäftigt und gibt heute sein Wissen in Kursen und Vorträgen weiter. Der Vater zweier Kinder ist zudem Heilpraktiker mit Schwerpunkt Psychologie. Seit vielen Jahren arbeitet Engler an Entscheidungsstrategien für das Verhalten im alpinen Gelände. Er entwickelte in diesem Zusammenhang die so genannte Snowcard und schrieb das Buch "Die weiße Gefahr". Letzteres zählt zu den Standardwerken der Lawinenkunde.

Die Fragen stellte Roland Wiedemann von der Allgäuer Zeitung

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