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Welt der Wissenschaft | RĂĽckschau ISSW2018: Hazard communication and perception

Was tut sich in der Schneewissenschaft?

von Lea Hartl • 26.12.2019
Beim International Snow Science Workshop (ISSW) kommen alle zwei Jahre Wissenschaftler und Praktiker aus verschiedensten, aber immer schneebezogenen, Themenbereichen zusammen. Unterteilt in verschiedene Themenblöcke – sog. Sessions – werden neue Erkenntnisse und Forschungsergebnisse präsentiert. Wir untergliedern das Ganze nochmal in mehr oder weniger verdauliche Häppchen und fassen alle zwei Wochen Sessions der ISSW2018 für euch zusammen. Diesmal: Hazard communication and perception.

Wie sieht ein guter LLB aus?

Der Sinn einer Lawinenprognose ist es, Personen zu informieren und gegebenenfalls zu warnen, die sich in Lawinengelände begeben. Der Inhalt eines Bulletins kann noch so qualitätsvoll und informativ sein – wenn die Leserschaft ihn nicht versteht, nicht liest, oder nicht findet, wurde das Ziel verfehlt. Die inzwischen weitgehend üblichen, einheitlichen Symbole für die Lawinenprobleme haben sich in dieser Hinsicht bewährt. Zu viel Text senkt die Motivation, bis zum Ende zu lesen und erschwert es den Nutzern, wichtiges von weniger wichtigem zu trennen (Engeset et al., P17.4)

Neben konsistenten Begrifflichkeiten ist die Gliederung der Informationen in eine „Informationspyramide“ sinnvoll - das wichtigste steht oben und die Leser können weiter ins Detail vordringen, nachdem sie die Hauptbotschaft wahrgenommen haben. Social Media (wie zB WhatsApp Newsletter, Instagram, Blog) haben sich ebenfalls als nützlich erwiesen, zum Beispiel auch, um gezielt auf komplexe oder besondere Situationen hinzuweisen. Altschneeprobleme sind im Vergleich zu „fetter Dump bei total viel Wind“ oder „Regen bis auf 3000m“ für die Warndienste schwerer zu erfassen und für die Nutzer der Bulletins schwieriger zu verstehen. Über Social Media Kanäle können entsprechende Gefahren einerseits nochmal gesondert kommuniziert werden, andererseits lassen sich damit auch Beobachtungen der Öffentlichkeit einholen, die für das Eingrenzen von Problembereichen hilfreich sind (zB „Wie hoch hat es in deinem Gebiet geregnet?“) (Nairz et al., P17.3)

In Kanada geht man noch einen Schritt weiter: Neben den üblichen LLBs gibt es in bestimmten Fällen zusätzlich sogenannte Special Public Avalanche Warnings – dabei werden Pressemitteilungen ausgesandt und mittels gezielter Medienarbeit teilt man einer breiten Öffentlichkeit mit, dass das Risiko besonders hoch ist. Solche Mitteilungen werden ausdrücklich dann ausgegeben, wenn menschliche Faktoren verstärkt auftreten und mit einer kritischen Lawinensituation zusammen treffen - also beispielsweise am ersten schönen Tag nach Neuschnee, wenn dieser auf ein Wochenende in der Hauptsaison oder den Ferienbeginn fällt. Diese Art von Kommunikation ist nicht ohne Herausforderungen, amplifiziert die Reichweite der Warnungen aber beträchtlich (Clayton & Klassen, O17.10).

Generell sind sich wohl alle mehr oder weniger einig, dass die Tools des modernen Internets heutzutage zum Repertoire der Lawinenwarndienste gehören sollten, auch wenn das vielleicht teilweise noch Neuland darstellt (Ruetz, P17.5).

Grenzen in den Köpfen

Es mag eine einheitliche Gefahrenstufenskala geben und definierte Lawinenprobleme, aber es liegt in der Natur der Sache, beziehungsweise in der Menschlichkeit der Lawinenwarner*innen, dass immer auch ein bisschen Subjektivität in die Gefahren- und Schneedeckenbewertung im Bulletin mit einfließt. Unterschiedliche Lawinenwarner*innen geben teils unterschiedliche Lawinenprobleme an, sowohl in benachbarten Gebieten mit ähnlicher Schneedecke, als auch im gleichen Gebiet, wenn der/die Diensthabende wechselt (Statham et al., O17.1).

Über nationale Grenzen bzw. Zuständigkeitsgrenzen verschiedener Warndienste in den Alpen hinweg stimmen die ausgegebenen Warnstufen nur zu etwa 60% überein. Innerhalb des Zuständigkeitsbereichs einzelner Warndienste sind es hingegen um die 90%. Manche Warndienste neigen konsistent zu höheren bzw. niedrigeren Gefahrenstufen als andere, haben also einen Bias. Am gravierendsten sind die Unterschiede wenn es um die Grenze zwischen Gefahrenstufe 4 und 5 geht (Techel et al., O17.2).

Der inzwischen bewährte Lawinen.Report für Tirol, Südtirol und Trentino ist DAS Paradebeispiel für Grenz- und Warndienst überschreitende Zusammenarbeit zum Nutzen der skifahrenden Anwender. Bei der konzeptionellen Entwicklung und der technischen Umsetzung wurde neben gleichzeitigem Ausgabezeitpunkt und Mehrsprachigkeit insbesondere auf konsistente Gefahrenbewertungen und intuitiv verständliche Darstellung der Regionen (über die Grenzen hinweg!) geachtet (Mitterer et al., O17.8). Das Backend der Seite ist so ausgelegt, dass die Warndienste ihre Daten einfach eingeben und mit jenen der benachbarten Kolleg*innen abgleichen können, sodass der Informationsfluss zwischen Frontend Usern, also den Wintersportlern, und Backend Usern, also den Warndiensten, für beide Seiten möglichst direkt und ohne technische Hürden abläuft (Falkner et al., P17.6).

Auch in Schweden (Wikberg et al., O17.11) und Andorra (Margalef et al., P17.1) nutzt man die Möglichkeiten des Web 2.0 für interaktive Warn- und Ausbildungsplattformen, allerdings bisher nur innerhalb der eigenen Grenzen.

Wie wahrscheinlich ist wahrscheinlich?

Bulletins sprechen häufig von der Auslösewahrscheinlichkeit von Lawinen. Manchmal ist diese hoch, manchmal gering, manchmal sind Lawinenauslösungen „möglich“, es können „in seltenen Fällen“ Lawinen ausgelöst werden, oder „es muss mit spontanen Lawinen gerechnet werden“. Auf Englisch dreht es sich um Wörter wie „certain“, „very likely“, likely“, „possible“. Während sich unterschiedliche Anwender recht einig sind, was „certain“ heißt, wird es bei der Interpretation des Unterschieds zwischen „likely“ und „very likely“ schon deutlich schwammiger. ( Tart, O17.9)

Neben dieser sprachlich-statistischen Schwierigkeit ist dann noch zu beachten, dass die Wahrscheinlichkeit eines Lawinenabgangs sehr hoch sein kann, die Konsequenzen aber gering. Umgekehrt ist es manchmal unwahrscheinlich, dass eine Lawine abgeht – wenn aber doch, sind die Konsequenzen unter Umständen sehr hoch. Diese Diskrepanz in einem LLB darzustellen und irgendwie mit dem Mitteln der Gefahrenstufenskala auszudrücken, ist eine kommunikationstechnische Herausforderung für die Lawinenwarndienste. Erklärende Grafiken, in denen Wahrscheinlichkeit und Konsequenzen in Diagrammen gegeneinander aufgetragen werden, haben sich in den USA gutes Tool erwiesen (Tremper, O17.7). In den Alpen wird eine ähnliche Darstellung meines Wissens bisher nur in Livigno verwendet.

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Wie gefährlich ist erheblich?

Mittlerweile hat sich weitgehend herum gesprochen, dass bei Stufe mäßig (2) und erheblich (3) am meisten passiert. Das liegt in erster Linie daran, dass diese beiden Stufen einerseits am häufigsten Vorkommen und anderseits kaum jemand bei Stufe 4 oder 5 unterwegs ist. Daraus ergibt sich die Frage – die noch ohne Antwort bleibt – warum genau Leute bei „groß“ daheim bleiben, bei „erheblich“ aber nicht, und wie das Wort „erheblich“ genau wahrgenommen wird. (Eyland, O17.4)

Zudem beeinflusst auch der Verlauf der Gefahrenstufe in den Vortagen unsere Wahrnehmung der aktuellen Gefahr. In einer norwegischen Studie schätzten Probanden eine aktuelle Stufe 3-Situation kritischer ein, wenn davor Stufe 4 ausgegeben wurde, und weniger kritisch, wenn es davor einen 2er gab. Diese Ergebnisse sind potentiell auch relevant für Angaben prognostizierter (im Gegensatz zu vergangener) Gefahrenstufenentwicklung. (Hovem et al., P17.2)

Peer to peer #hazcom

Neben allgemeinen Bemühungen um klare, für alle verständliche Bulletins gibt es gesonderte Bemühungen, spezielle Zielgruppen zu erreichen, die traditionelle Kommunikationskanäle der Skitourenwelt unter Umständen weniger wahrnehmen. Das sind beispielsweise Snowmobiler (in den USA und Kanada sehr verbreitet, in den Alpen weitgehend verboten), für die eigene Ausbildungsangebote geschaffen werden, aber auch ganz klassisch „die Freerider“, vor allem die jüngeren, die sich gerüchteweise ausschließlich über Instagram und SnapChat informieren und eventuell ab und zu mal noch einen Skifilm anschauen.

Professionell produzierte Filme wie die von BCA finanzierte „Send and Return" Video Serie zeigen, dass man in Filmen einerseits spektakuläre Ski/SB/Snowmobile Action zeigen und andererseits auch verantwortungsvolle Tourenplanung und Entscheidungsfindung hervorheben kann, ohne dass der Filmspaß dabei verloren geht. (Edgerly, O17.5)

Auch Avalanche Canada arbeitet mit professionellen Athleten zusammen: „Ambassadors“ kennt man sonst als gesponsorte „Markenbotschafter“, die in ihren Instagram-Feeds Produkte bewerben. Seit einigen Jahren hat auch der Kanadische Lawinenwarndienst „Ambassadors“ - Pros, die auf ihren Social Media Kanälen eine mit dem Warndienst abgestimmte „Show, Don't Tell“ Kommunikationsstrategie verfolgen. Die bekannten Rider posten wie gewohnt spektakuläre Actionbilder, teilen aber auch ihre Überlegungen zur Lawinengefahr und Inhalte von Avalanche Canada mit ihren Followern. Lawinenmanagement findet hier also Einzug in das „Pro-Rider shreddet krasse Line“-Instagram Narrativ, und das wohl recht erfolgreich! (Coulter & Helgeson, O17.6)

Eine weitere Zielgruppe stellen Berg- und Skiführer*innen dar, die ihre Gäste sicher durch den Freeride- oder Tourentag führen müssen. Vertreter des Österreichischen Berg- und Skiführerverbands fassten zusammen, wie der LLB die Entscheidungsfindung der Guides beeinflusst, oder auch nicht. Sie nannten drei unterschiedliche Methoden, um Go/No-Go Entscheidungen zu treffen:

  • Strategische Entscheidung mit Hilfe von bekannten „Regeln“ - also 3x3 und Reduktionsmethode, Stop or Go, usw.
  • Analytische Entscheidung auf Basis systematischer Schneedeckenuntersuchungen
  • Intuitive Entscheidung auf Basis langjähriger Erfahrung und Prozessbeobachten, nicht zu verwechseln mit „BauchgefĂĽhl“.

Der LLB ist für die strategischen Methoden unabdingbar, für die analytische oder intuitive Entscheidungsfindung aber nicht zwingend notwendig. Entscheiden die Bergführer intuitiv oder analytisch, beeinflusst der LLB die Entscheidung also wenig oder gar nicht. Wichtig sei in jedem Fall, dass Entscheidungen eindeutig und nachvollziehbar begründet werden können. Das ist besonders relevant, sollte es zu einem Unfall und anschließender Gerichtsverhandlung kommen. Ob die Justiz die drei genannten Entscheidungsmethoden als gleichwertig betrachtet, oder ob hier die regelbasierten, strategischen Methoden präferiert werden, wurde als offene Frage in den Raum gestellt. (The Influence of Avalanche Bulletins to the Decision Making of Mountain Guides, Gleirscher, Leichtfried, O17.3, kein extended abstract).

Fazit

Lawinenbulletins liefern extrem wichtige Informationen zu einem hoch-komplexen Thema für Wintersportler aller Art. Und zwar zusammengefasst in relativ wenigen Worten, für ein bunt gemischtes Publikum, das zwar den Spaß am Schnee gemeinsam hat, aber hinsichtlich genauerer Interessen und Anwendungen manchmal auch nicht mehr als das. Es mag hier und da Luft nach oben heben, aber dass das überhaupt so gut gelingt, ist bewundernswert und dem unermüdlichen Einsatz vieler Lawinenwarner*innen zu verdanken. Moderne Kommunikationskanäle und die Möglichkeiten, die sich durch das Internet eröffnen, werden für die Lawinenwarnung immer wichtiger und viele Warndienste entwickeln sich kontinuierlich weiter und suchen nach neuen Strategien, wie sie sich die Technik im Dienste der Wintersportler*innen zu Nutze machen können. Wir sagen Chapeau und Danke!

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