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Welt der Wissenschaft | Rückschau ISSW2018: Operationelle Fernerkundung

Was tut sich in der Schneewissenschaft?

von Anselm Köhler 28.11.2019
Beim International Snow Science Workshop (ISSW) kommen alle zwei Jahre Wissenschaftler und Praktiker aus verschiedensten, aber immer schneebezogenen, Themenbereichen zusammen. Unterteilt in verschiedene Themenblöcke – sog. Sessions – werden neue Erkenntnisse und Forschungsergebnisse präsentiert. Wir untergliedern das Ganze nochmal in mehr oder weniger verdauliche Häppchen und fassen alle zwei Wochen Sessions der ISSW2018 für euch zusammen.

Diesmal: Operational remote sensing – application for snow and avalanches (Session 4).

Fernerkundung heißt, dass etwas aus der Ferne erkundet wird – praktische Fernerkundung für Skifahrer wäre zum Beispiel das Spotten einer möglichen Line und das Beobachten des Schneezustandes darin mit einem Fernglas. Weitergehend könnte man in seiner Digitalkamera den Nah-Infrarotfilter entfernen und mit dem Rotkanal der Bilder das Nahinfrarot-Spektrum der Schneeoberfläche auf deren Beschaffenheit interpretieren (siehe Bild, P4.4). Oder aber in den Bildern einfach nur Spuren zählen, sowie ein Forscherteam einen Hang beobachtet hat, um die Geländevorlieben der Freerider in Abhängigkeit der Lawinengefahrenstufe aufzuzeigen (P4.5). Ein interessantes Ergebnis ist die Präferenz zum alleine Skifahren abhängig von der Gefahrenstufe: 66% der Befahrungen beiGefahrenstufe 3, 85% bei einem 2er und nur 93% bei einem 1er fanden in Gruppen statt– Da sage mal noch einer „No friends on powder days“ stimme nicht ...

Fernerkundung umfasst aber noch viel mehr: Kategorisiert werden kann zum Bespiel anhand der „Ferne“ - dem Abstand zum Objekt - oder anhand der Messmethode. In der aktuellen Session sind Fernerkundungs-Anwendungen vertreten, die auf Daten und Beobachtungen basieren, die vom Boden aus (terrestrisches Laserscanning, Time-Lapse Fotographie), von Fluggeräten (aktuellerweise Drohnen, traditionell bemannte Befliegungen) und vor allem - immer wichtiger werdend - von Satelliten aufgenommen werden. Als Messmethoden kommen immer optische Methoden zum Einsatz, aber optisch heißt hier nicht nur Strahlung im sichtbaren Spektrum: von kurzen zu langen Wellenlängen kommen Laser, Nah-Infrarot, sichtbare Wellenlängen, undRadar zum Einsatz. Ferner kann eigentlich immer jede Messmethode aktiv oder auch passiv angewendet werden: Aktiv heißt, dass ein Objekt angestrahlt und dann die Reflektionen gemessen werden. Passiv heißt, dass nur die passiv emittierte Strahlung aufgezeichnet wird.

Gewisse Boden-, Flugzeug- und Satelliten-basierte Fernerkundungsprodukte sind aus unserem täglichen Leben und vor allem aus der täglichen Arbeit der Lawinenwarndienste nicht mehr weg zu denken. Einen Überblick über die aktuelle Wetterlage und ankommende Stürme geben Satelliten Daten. Die Daten von einem Wetterradar zeigen den aktuellen Zustand eines Schneesturmes an. Und nachdem der Powder gefallen ist, gehen wir zwar den Schnee genießen, aber die Lawinenwarndienste bemühen oftmals einen Helikopter Flug, um das Ausmaß der Lawinen zu begutachten. Wäre es nicht anzustreben, all solch Informationen über die flächig verteilte Schneehöhe und Schneeoberflächenbeschaffenheit, über Anzahl und Größe der Lawinenabgänge pro Sturmperiode, über die Menge an Wasser, welche in der winterlichen Schneedecke gespeichert darauf wartet, die Wasserkraftwerke im Sommer anzutreiben, alleinig aus Satelliten-Beobachtungen zu extrahieren?

I‘m gonna send from outta space …

Eines der bemerkenswertesten, großen Satellitenforschungsprogramme für die Schnee- und Lawinenforschung ist die Sentinel Satelliten Serie des Copernicus Erdbeobachtungsprogrammes der EU. Insgesamt drei Sentinel Satelliten wurden durch die ESA in den Orbit geschickt. Sie sind mit unterschiedlichen Sensoren ausgestattet und die Daten sind für jeden frei zugänglich. Sentinel 1 ist ausgestattet mit einem Radar, welches sensibel auf Schneeschmelze reagiert. Sentinel 2 und 3 haben Sensoren im Nahinfrarot bis sichtbaren Wellenlängenbereich, jedoch bieten beide Satelliten ihre Daten in unterschiedlichen räumlichen und zeitlichen Auflösungen. Neben der Sentinel Serie gibt es noch weitere relevante Satelliten, z.B. die LandSat-Serie, EnviSat, RadarSat etc.

Mögliche Probleme mit Satellitendaten ergeben sich aus der räumlichen und zeitlichen Auflösung. So kann etwa Sentinel 3 täglich Daten liefern, die aber nur eine Pixelauflösung von mehreren hundert Metern haben. Sentinel 2 dagegen schafft es, das gleiche Gebiet mit zumindest mehreren Zehnermetern Auflösung alle 6 Tage zu überfliegen. Trotzdem können optische Sensoren und vor allem auch die Radarsensoren Parameter wie Schneehöhe, Dichte und Schmelzraten auf regionalen Skalen liefern (O4.1).

Recht viele der Beträge in der Session behandeln die Auswertung von Satellitendaten. Zum Teil werden operationelle Produkte vorgestellt, die regelmäßig aus den Daten generiert werden. Eine Innsbrucker Firma, bietet zum Beispiel Schneebedeckungskarten oder auch Karten der Schmelze an (O4.12). EinNorwegisches Forscherteam detektiert operationell Lawinenablagerungen (O4.9). Andere Beträge zu Satellitendaten sind eher vorsichtiger und diskutieren als wissenschaftliche Abhandlungen, was alles noch nicht so richtig geht, aber natürlich viel Potenzial hat.

Lawinenablagerung sehen anders aus als Powder

Lawinenvorhersage basiert auf diversen räumlichen Information wie z.B. räumlichen und zeitlichen Änderungen der Schneedecke – z. B. (Neu-)Schneemenge oder dieVerteilung von frühjährlichen Schmelz- und Gefrierzyklen. Zum anderen ist die Anzahl der Lawinenabgänge während eines Sturmes eine große Unbekannte und Lawinen-Detektion hat auf der ISSW einen eigenen Themenblock (vgl. Session 7: „Avalanche detection: Industry and Research“).

Sateliten-basierte Radarmessungen als Disziplin der Fernerkundung können prinzipiell gut den Kontrast zwischen unberührtem Schnee und groben Ablagerungen von zum Beispiel Nassschneelawinen detektieren (P4.9). Jedoch ergeben nur Ablagerungen von genügend großen Lawinen ein Radarsignal, welches sich von dem eh schon recht verrauschtem Mikrowellensignal unterscheidet. Kleine und trockene Lawinen, solche die für Skifahrer am relevantesten sind, können somit (noch) nicht mittels Radar detektiert werden.

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Ein Modell sagt‘s dir schnell

Ein zweiter wichtiger Themenblock ist die sogenannte Datenassimilation. Assi wat? Es geht darum, wie die räumlichen Information von den Satellitenmissionen in räumliche (Schneedecken-) Modelle eingebracht werden können und zum re-initialisieren der Ausgangs- und Randbedingungen benutzt werden. Klassischerweise werden solche Schneedeckenmodelle mit Ergebnissen aus Wettermodellen und von punktuellen Meteostationsdaten gespeist. Die Variabilität und Heterogenität der Schneedecke soll aus den Fernerkundungsdaten hinzukommen.

Die Modelle können auf Basis der Daten somit immer wieder neu gestartet werden, und fortlaufende Fehler werden reduziert.

Entsprechend können Informationen quasi physikalisch-richtig aus der vorhandenen Schneedecke, den aktuellen Wetterbedingungen und den räumlichen Zusatzinformationen von Satellitendaten modelliert werden. Solche Modell-Ketten haben das Potenzial, nicht nur bessere Informationen für die Lawinenvorhersage zu erzeugen (O4.10), sondern sie sind auch für die Hydrologie nützlich, wo es häufig darum geht, den Wassergehalt der kompletten Schneedecke zu quantifizieren (O4.5). Gerade der Wassergehalt (Schneehöhe x Dichte), dessen zeitliche Änderung und entsprechende Schmelzabflüsse sind häufig Index-basierte Vorhersagegrößen, sprich, die aktuelle Situation wird aus vergleichbaren Ereignissen auf ein größeres Gebiete extrapoliert. Obsolche Abschätzungen aus „historischen Ereignissen“ auch für zukünftige Situationen im Laufe des Klimawandels noch richtig und ausreichend sind, hinterfragt der Beitrag (O4.3).

Ein Kombiprodukt aus Fernerkundungsdaten, lokalen Daten und Beobachtungen und Schneedeckenmodellen ist das Projekt www.mysnowmaps.com, vorgestellt in Beitrag (O4.7). Die Website enthält neben der detaillierten, alpenweiten Schneehöhenkarte (siehe Bild) auch ein Portal, in dem eigene Messungen eingetragen werden können. Das Ziel dahinter ist, die Schneehöhenkarte noch besser und genauer zu rechnen, je mehr lokale Absolutwerte bekannt sind. Soweit ich das Überblicken kann, gibt es ein paar gute Preise zu gewinnen und bisher nur recht wenige Daten-liefernde Benutzer – deren Jetztwerte sind quasi komplementär zu den Vorhersagewerten in unserem Schneehöhen-Tippspiel. Wie sich die Karte von den auf PowderGuide bereit gestellten SnowGRID Daten unterscheidet (ISSW 2013), kann ich nicht genau abschätzen, aber mit den Infos aus beiden Karten sollte man eine gute Planungsgrundlage haben.

„Laser und Drohnen“ klingt nach Science-Fiction B-Movie

Ein letzter großer Themenblock der Fernerkundungssession behandelt den Einsatz von terrestrischem Laserscanning- eine lasergestützte Distanzmessung wie auf der Baustelle, und Photogrammetrie mit Drohnen, also das Abbilden von räumlichen Strukturen aus Fotos verschiedener Blickrichtungen („structure from motion“). Beide Methoden sind quasi lokale Fernerkundung. Laser geht bis etwa 5Km Entfernung und Drohnen dürfen nur in Sichtweite geflogen werden. Beide Methoden ergeben nach etwas Datenprozessierung ein digitales Geländemodell, also zu jeder Koordinate ein Höhenwert. Durch Abziehen des schneefreien Zustandes ergibt sich direkt die absolute Schneehöhe im Gelände mit Genauigkeit im Zentimeterbereich. Ein Vergleich der Schneehöhenmessung per Drohne, Laserscan, Satellit und interpolierten manuellen Messungen wird in Beitrag (P4.15) diskutiert. Andere Beiträge sind eher methodischer Natur, entweder wird die Datenprozessierung untersucht (P4.14) oder aber die Wetterabhängigkeit der Lasermessung behandelt.

Eine Zukunftsvision, die zwar nicht in der Session explizit geäussert wurde, aber dennoch nicht all zu fern liegen könnte, ist, dass die in der Freizeit mitgeschleppten Drohnen uns genau solche Schneekarten in Echtzeit liefern könnten. Dann können wir auf unserem Headup-Display in der Skibrille jeden kleinen Shark visualisieren. Wenn dann die Brille auch noch mit Nah-Infrarot Gläsern ausgestattet ist, dann würden wir auch jeden noch so kleinen Pulverrest von Wind- und Schmelzkrusten unterscheiden können – Freeriden mit Science-Fiction, das wär doch was...

Fazit

Abschließend kann man sagen, dass die Fernerkundung eine wichtige interdisziplinäre Mess- und Analysemethode ist. Seit jeher ist Fernerkundung integraler Bestandteil der Geographie, aber seit geraumer Zeit nutzten auch viele andere Wissenschaften die Techniken. Der Stand der Schnee- und Lawinenforschung zeigt sehr deutlich, dass Fernerkundung in vielerlei Hinsicht wichtig ist und an Bedeutung in Zukunft nur zunehmen wird. Insbesondere Satellitendaten werden uns in den kommenden Jahren viele hilfreiche Erkenntnisse über die Schneedecke liefern.

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