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Welt der Wissenschaft | Rückschau ISSW2018: Lawinendetektion – Industrie und Wissenschaft

Was tut sich in der Schneewissenschaft?

von Anselm Köhler 06.02.2020
Beim International Snow Science Workshop (ISSW) kommen alle zwei Jahre Wissenschaftler und Praktiker aus verschiedensten, aber immer schneebezogenen, Themenbereichen zusammen. Unterteilt in verschiedene Themenblöcke – sog. Sessions – werden neue Erkenntnisse und Forschungsergebnisse präsentiert. Wir untergliedern das Ganze nochmal in mehr oder weniger verdauliche Häppchen und fassen alle zwei Wochen Sessions der ISSW2018 für euch zusammen.

Diesmal: Avalanche detection – Industry and research

Wann, wo und was für eine Lawine abgegangen ist, ist eine wichtige Information für viele Institutionen in den Gebirgsregionen. Offensichtlich benutzen die Lawinenwarndienste diese Informationen um ihre Vorhersage zu machen, zu validieren und auch zu verbessern – jede Lawine die gemeldet wird, hilft somit auch allen anderen. Eine etwas andere Nutzung von Lawinendetektions-Systemen ist eng verbunden mit künstlichen Auslösevorrichtungen. Häufig ist es den Sicherungsdiensten von Piste und Straße nur schwer möglich, den Erfolg einer künstlichen Auslösung direkt abzuschätzen: Zwar hört man die Explosion, jedoch sieht man die Lawine nicht bei Nacht oder Nebel.

Detektion spielt auch bei natürlichen Schadlawinen eine wichtige Rolle. Nicht jeder Lawinenpfad kann mit einer Galerie, einem Tunnel oder Stützbauwerken im Anriss verbaut werden, aber es können möglicherweise Alarm- und Warnsysteme installiert werden. Der Unterschied dieser zwei Systeme ist im Falle des Alarmsystems die direkte Schaltung von Massnahmen wie Gleissperrung und Ampelschaltung bei einer erfolgreichen Detektion einer Lawine. Und ein Warnsystem zeichnet sich dadurch aus, dass es sogar schon vor dem Lawinenabgang eine Meldung gibt.

Genau ein solches Warnsystem wird in Beitrag P7.6 vorgestellt. Der Weissmies und dessen steile Eiswände werden zuerst mit einem Radar beobachtet, das sehr sensibel auf Oberflächenänderungen im Zentimeter-Bereich reagiert (Interferometrisches Radar), später nur noch mit einer Hoch-Auflösenden Kamera und „image correlation analysis“. Mit einer erhöhten Deformation bzw. Bewegung der Eismassen geht eine Warnung vor einer Eislawine bei den Behörden ein. So geschehen zum Beispiel im September 2017 als etwa 300.000m³ Eis beschleunigten. Die Behörden evakuierten die betroffenen Einwohner aus Saas Grund und keine 24 Stunden später löste sich die Eislawinen in mehreren Schüben, so dass sie nicht das Dorf erreichte und auch keine Schäden verursachte.

Die Macht der Wellen

Alle vorgestellten Detektionssysteme basieren auf Verfahren, die unterschiedliche Wellen und Schwingungen benutzen: Radar, Seismik und Infrasound. Bei Radar wird eine elektromagnetische Welle (wie sichtbares Licht, aber langwelliger) ausgesendet, von der Schneedecke bzw. Lawine reflektiert und wieder empfangen. Häufig wird die Frequenzverschiebung durch den Doppler-Effekt (typische Tonhöhenänderung eines vorbeifahrenden Krankwagens) genutzt, um die ruhende Schneedecke von der sich bewegenden Lawine zu unterscheiden. Seismische Detektionsverfahren benutzen charakteristische Bodenbewegungen, die nicht durch Erdbeben sondern durch Lawinen erzeugt werden. Infrasound misst die „Geräusche“ von Lawinen, welche über Schwingung der Luft übertragen werden. Dabei bezeichnet Infra die niedrige Tonhöhe, die unterhalb des menschlichen Hörspektrums liegt.

Somit unterscheiden sich diese drei Hauptverfahren darin, wie sie die Lawinen detektieren, aber vor allem auch darin, wo sie sinnvoll eingesetzt werden können. Radar benötigt direkte Sichtverbindung zum Lawinenpfad. Seismik braucht eine Umgebung, die möglichst frei von anthropogenen Störungen ist und die Lawinen müssen eine gewisse Größe erreichen. Zudem hat Infrasound noch gewisse Anforderungen an die Topographie (Echo, Schallschatten) und auch eine feste, tiefe Schneedecke über den Sensoren schluckt förmlich jeden Ton. Einen guten Überblick über die verschiedenen Detektionsverfahren und deren Limitationen gibt Beitrag O7.9 anhand eines Lawinenpfades im Unterengadin, welcher mit allen drei Methoden ausgestattet ist.

Beim Radar ist es vor allem eine Schweizer Firma, die ihre unterschiedlichen Systeme vorstellt: Beitrag O7.1 zeigt die Anwendung von einem Kamera-basiertem Warnsystem in Kombination mit einem Radar-Alarmsystem am Bisgletscher, welches betroffene Verkehrsrouten automatisch schließt. Beitrag O7.3 berichtet über ein sehr ähnliches Radar-Alarmsystem, das eine Dorfstraße an einem Fjord in der langen Polarnacht Nord-Norwegens unabhängig von den Sicht- und Lichtverhältnissen schützt. Und in Beitrag P7.11 wird ein Radar zur Personendetektion im Zermatter Skigebiet eingesetzt, um bei Sicherheitssprengung keine Menschen wie z.B. Pisten-Tourengeher in betroffenen Gebieten zu haben. Eine Österreichische Firma stellt im Beitrag O7.12 ihr Radarsystem zur Lawinendetektion anhand von verschiedenen Beispiel-Installationsorten vor.

Forscher wollen mehr als nur binäre Messungen

Die Forschung benutzt Radarsysteme nicht nur zu Detektion (Ja/Nein ist ein binäres Ergebnis), sondern vor allem die Charakterisierung der Fleißeigenschaften verschiedener Lawinenformen ist die typische Wissenschaftsanwendung. Prominent ist die Radarforschung in dem Schweizer Lawinentestgelände „Vallée de la Sionne“ im Wallis. Gleich drei Beträge stellen einen Überblick über die Messungen der letzten Jahre vor: P7.1 über die Doppler Radar Messungen, P7.7 über ein Radar, welches in hoher Auflösung die Position einer Lawine aufzeichnet, und O7.4 vergleicht das hoch-auflösende Radar mit seismischen Messungen, die direkt im Boden des Lawinenpfades aufgezeichnet werden.

Der volle Informationsgehalt in den seismischen Daten lässt sich nur schwer extrahieren, zu „chaotisch“ wirken die einzelnen Stöße der Lawine, welche auf den Boden und somit die Geophone im Lawinenpfad einwirken. Nichtsdestotrotz schafft Beitrag O7.5 anhand der Amplitude, der Stoßfrequenzen und vor allem aus dem Signal der ankommenden Lawine wichtige Kenngrößen über Typ und Größe der Lawine zu gewinnen.

Wie oben erwähnt, ist eine Schwierigkeit von seismischen Daten die vielen Störquellen, sodass eine sichere Detektion von Lawinen in den kontinuierlichen Daten schwierig zu automatisieren ist. Computer Algorithmen ähnlich von Spracherkennungsmethoden wendet Beitrag O7.10 an, und ermöglicht somit in Zukunft die operationelle Lawinendetektion mit seismischen Sensoren im Umkreis von bis zu 4 Km. Eine operationelle Seismikanwendung stellt Beitrag O7.11 vor: Die Sensoren werden in den Anrissgebieten von potenziellen Lawinenpfaden installiert.

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Vier Beiträge behandeln die Detektion mit Infrasound Sensoren. Beitrag O7.6, O7.7 und O7.8 vergleichen die Detektionsrate anhand von manuellen Lawinenbeobachtungen und visuellen Aufzeichnungen mit zum Beispiel Panoramakameras. Sie kommen jeweils zum ähnlichen Ergebnis, dass Lawinen mit mehr als 500m Länge (Größe 3 und größer) relativ gut in einem Radius von 3km um die Station detektiert werden können. Beitrag O7.2 berichtet über Low-Cost Infrasound Sensoren basierend auf Arduino Mikrocontrollern, welche einfach und mobil eingesetzt werden können.

Überraschend gibt es in der Session nur einen Beitrag, P7.2, der aus Satellitendaten Signaturen von Lawinenabgängen extrahiert. Dafür verwenden sie die Algorithmen von den Norwegischen Forschern, die auf dem Gebiet führend sind und viele Beiträge in der operationellen Fernerkundungs Session vorgestellt haben.

Nicht Lawinendetektion sondern nicht-invasive Schneedeckenuntersuchung Ein weiterer Themenblock in der Session befasst sich etwas fehl am Platz mit Geräten und Sensoren zu Schneedeckenuntersuchen, ähnlich dem neulich auf der ISPO vorgestelltem AvyScanner. Die Ergebnisse von den Beiträgen sind jedoch noch recht weit von den Werbeversprechungen des angekündigten Sicherheitstools entfernt. So benutzt Beitrag P7.3 ein Radar mit 24 Ghz, welches normalerweise im Bereich des autonomen Autos verwendet wird. Jedoch ist es anscheinend damit schon schwierig, nur den Schnee-Boden-Übergang zu erfassen, und sie behelfen sich vorübergehend mit Eisenplatten am Grund der Schneedecke.

Beitrag P7.4 verwendet halb so hohe Frequenzen, um damit den Flüssigwassergehalt der Schneedecke zu vermessen und auch Schmelzfronten zu verfolgen, jedoch können sie nur bis zur ersten feuchten Schicht in die Schneedecke schauen. Anscheinend sind noch viel tiefere Frequenzen notwendig, um den vollständigen Flüssigwassergehalt zu messen, wie Beitrag P7.8 zeigt. Um zügig eine flächige Messung der Schneehöhe durchzuführen, wurde in Beitrag P7.9 das Gewicht eines Radarsensors reduziert und unter eine Drohne geschnallt. Da das Radar einen sehr großen Frequenzbereich abdeckt, kann die Schneehöhe auch bei bis zu 3% Wassergehalt mit 80%iger Genauigkeit bestimmt werden. Eine weitere Radarentwicklung zu Schneehöhen- und Dichtemessung wird in Beitrag P7.14 vorgestellt.

Fazit

Diese Session der ISSW2018 ist quasi das Paradebeispiel für das Motto „merging theory and practice“, da ungefähr gleich viele Beiträge aus der Detektionsindutrie und aus der Forschung an den Detektionsmethoden vertreten sind. Radar, Seismik und Infrasound haben je Vor- und Nachteile für Detektionszwecke, und bis diese ausgemerzt oder durch die Kombination von Methoden umgangen werden, wird die manuelle Beobachtung und Rückmeldung nach wie vor wichtig für Lawinenwarner und Lawinenkommissionen bleiben. Für uns Wintersportler heisst das: Meldet Lawinenaktivität vor allem nach Sturmperioden oder aus abgelegenen Gebieten an die lokalen Lawinenwarndienste.

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