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Schnee von morgen

Schnee von Morgen | Frauen in den Bergen, die ihren Platz in einer zutiefst geschlechtsspezifischen Umgebung finden

Frauen (endlich) im Rampenlicht: "Femmes en Montagne", ein Festival in den französischen Alpen

von Lauréane Giroud-Lemaître 30.12.2024
Denk an die Zeit zurück, als du die Berge zum ersten Mal kennengelernt hast, an deine letzten Gruppenausflüge, an die Filmfestivals, die dich so begeistert haben, und an die Expeditionsberichte, die du verschlungen hast. Hast du dort Frauen getroffen? Gab es viele von ihnen? Wie viele Frauen haben diese Bücher geschrieben oder diese Filme gedreht? Wie viele waren die Protagonistinnen? Und welchen Platz nehmen sie in deinen Praxisgruppen tatsächlich ein? In der von Männern dominierten Welt der Berge, in der körperliche Stärke, Risiko und Gefahr im Vordergrund stehen, sind Frauen nur schwach vertreten und haben es schwer, ihren Platz zu finden. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist die Professionalisierung der französischen BergführerInnen: Nur 2% von ihnen sind Frauen – das sind gerade einmal 30 von 1.500! Es ist an der Zeit, die Aktivitäten von Frauen in den Bergen bis hinauf zu den Gipfeln ins Rampenlicht zu rücken!

"Die Frauen in den Bergen ins Rampenlicht stellen und ihre Erfolge und inspirierenden Karrierewege bekannt machen" ist das unveränderte Ziel der fünften Ausgabe des Festivals "Femmes en Montagne", das in Annecy (Frankreich) stattfindet. Es steht für ein bahnbrechendes Ereignis, das die zutiefst geschlechtsspezifische Welt der Berge erschüttert!

Seit 2019 hat dieses Festival fast 4.000 ZuschauerInnen an vier Tagen rund um die Werte des Sports, der Geschlechtervielfalt und der Inklusion zusammengebracht. Während viele Bergfilmfestivals jedes Jahr ein paar Wochen vor den ersten großen Schneefällen stattfinden um die Begeisterung der EnthusiastInnen anheizen, versucht das Festival "Femmes en Montagne" einen anderen Weg zu gehen. Mit einem Wettbewerb für internationale Filme und Kurzfilme sowie mit Diskussionsrunden und Workshops konzentrieren sich die OrganisatorInnen auf das Bergkino der Frauen, auf Inklusion, Zugänglichkeit und ökologisches Engagement. Es geht nicht mehr nur um Performance, sondern auch um Lebensgeschichten und tiefere Reflexionen über unsere Auswirkungen in den Bergen.

Man sollte jedoch nicht annehmen, dass Frauen und Berge nicht zwangsläufig mit Leistung und Überschreitung der eigenen Grenzen einhergehen! Nehmen wir als Beispiel die britische Läuferin Jasmin Paris, die in diesem Jahr den Barkley-Marathon (160 Kilometer und 18.000 Höhenmeter) in 59h 58min 21s absolvierte und damit als erste Frau eines der schwierigsten Rennen der Welt beendete. Oder die Amerikanerin Hillary Gerardi, die letztes Jahr den Frauenrekord bei der Besteigung des Mont Blanc in 7h 25min gebrochen hat. Wer kann behaupten, dass Frauen nicht den Gipfel erreichen können? Wer kann behaupten, dass Frauen nicht in der Lage sind, Großes zu leisten?

Nach dem Vorbild des Festivals "Femmes en Montagne" sind in den letzten Jahren zahlreiche nicht gemischte Bergsportorganisationen entstanden, die den Wunsch nach einer Feminisierung des Sports erkennen lassen. Die gemischtgeschlechtlichen Gruppen scheinen die Erwartungen der Sportlerinnen nicht ausreichend zu erfüllen. In der französischen Region Auvergne-Rhône-Alpes wurden zwischen 2015 und 2020 sechs Gruppen und Organisationen gegründet: "Cool adventures make happy girls", "Féder'elles", "Women's Mountain Club", "Lead The Climb", "Femmes en Montagne", "Groupe Alpinisme Féminin 74" (GAF) und "Girls to the Top". Abgesehen von der Entschlossenheit der Frauen, gemeinsam Bergsport zu betreiben, werfen diese Organisationen reale Fragen zur Ungleichheit der Geschlechter im Sport auf. Warum haben so viele Frauen das Bedürfnis, gemeinsam Bergsport zu treiben?

Gipfeleroberungen und risikoreiche Bergsportarten: Männer, immer wieder Männer.

Seit ihren Anfängen sind die Bergsportarten von Männern dominiert worden. Das Bergsteigen ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür. Cécile Ottogali-Mazzacavallo, Lehrerin und Forscherin an der Universität Lyon (Frankreich), erklärt, dass "die Geschichte des Bergsteigens im Namen seiner männlichen Helden spricht."

Seit den ersten Eroberungen der Gipfel bis zum heutigen Tag werden die Berge von Männern beherrscht, und zwar von einem sehr heroischen Ideal. Frauen werden dadurch unsichtbar gemacht, was zu einer Form der Ausgrenzung führt. Dabei waren Frauen von Anfang an ebenso im Bergsport vertreten. In Frankreich widersetzten sich Bergsteigerinnen wie Marie Paradis und Henriette d'Angeville den gesellschaftlichen Normen und bestiegen 1808 bzw. 1838 den Mont Blanc. In einer Zeit, in der Frauen auf häusliche Aufgaben beschränkt waren, war der Aufstieg auf das Dach Europas eine bemerkenswerte Leistung. 

Auf breiterer Ebene werden risikoreiche Sportarten gesellschaftlich als eine männliche Praxis dargestellt. Nicolas Penin, Dozent für Soziologie an der Universität von Artois (Frankreich), bezeichnet Bergsportgebiete als "Terrain für den Ausdruck männlicher Werte" und "Hochburg der Männlichkeit". Die stereotypen Werte, die traditionell mit der Weiblichkeit assoziiert werden, wie Sanftheit, Sicherheit und Rücksichtnahme auf andere, scheinen in diesem Umfeld unangemessen zu sein. Das Imaginäre der Berge ist also männlich. Laut Christine Mennesson, Soziologin und Spezialistin für die Konstruktion von Geschlecht in der Welt des Sports, wird dieses geschlechtsspezifische System der männlichen Dominanz von den Frauen verinnerlicht. Die Profi-Bergsteigerin Marion Poitevin erklärt:

"Lange Zeit dachte ich, ich sei vor der Ungleichheit der Geschlechter (oder dem Patriarchat) geschützt, weil ich oben in den Bergen lebte, weit weg von der Welt ‘da unten’. Mit dem Gesicht zur Wand befinden wir uns alle in der gleichen Lage. Aber wir sind in der Tat durch diese Ungleichheiten konditioniert und geprägt. Sie sind das Fundament unserer Gesellschaft. Und wir tragen sie überall mit uns herum. Es ist eine große Aufgabe, sie zu beseitigen. Auch auf den Gipfeln."

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Von Kindheit an werden EntdeckerInnen und Führungspersönlichkeiten in erster Linie als Männer dargestellt und prägen die kindliche Wahrnehmung der Welt durch Bücher, Geschichten und tägliche Erfahrungen. Ob es nun darum geht, dass Entdecker als Männer dargestellt werden, Jungs Gruppen anführen oder über alltägliche sexistische Witze lachen (oder auch nicht)... Dies sind nur einige Beispiele, die auf den sozialen Raum der Berge einwirken und Frauen dazu veranlassen, diese Ungleichheiten so tief zu verinnerlichen, dass sie sie schließlich als selbstverständlich betrachten – wie zuvor von Marion Poitevin veranschaulicht. Dieser von den Frauen verinnerlichte Prozess der Ungleichheit trägt zu einer geschlechtsspezifischen Hierarchisierung der Aktivitäten in den Bergen bei. 

Es ist unbestreitbar, dass einige Frauen mit ihren Leistungen ins Rampenlicht geraten. Sie werden oft als "ausgefallene Frauen" bezeichnet. Doch diese Verherrlichung des Außergewöhnlichen macht die Identifikation der Frauen mit diesen Vorbildern komplexer.

Cécile Ottogali-Mazzacavallo fügt hinzu, dass die Qualifizierung von "Ausnahmefrauen" sie auf ihren Zustand als Frau in einem männlichen Umfeld reduziert. Vielen Frauen fehlt das Selbstvertrauen ihrer männlichen Kollegen, sie werden durch mentale Barrieren zurückgehalten. Denk daran, du musst nicht auf dem Niveau von Catherine Destivelle, einer der bekanntesten Bergsteigerinnen Frankreichs, sein, um eine Ausbildung als Bergführerin zu machen! Viel wichtiger ist, dass die Berge ein wirklich inklusiver Raum werden, in dem Frauen aller Könnensstufen willkommen sind.

Vorreiterin im Bergsteigen: eine nicht unbedeutende Position

Obwohl Frauen seit dem 18. Jahrhundert den Bergsport betreiben, sind sie nur sehr selten in der Position des Hauptkletterers. Sie werden zwar in die Besteigungen einbezogen, aber meistens spielen sie nur eine untergeordnete Rolle, stehen im Schatten. Durch die geschlechtsspezifische Sozialisierung sehen sich Frauen nämlich als weniger legitimiert, an ihre Fähigkeit zu glauben, etwas zu unternehmen und über sich hinauszuwachsen. Wenn man das durchschnittliche Alter der Frauen, die ihre Zertifizierung als Bergführerin erlangen betrachtet, wird deutlich, dass das Alter, in dem Frauen in bestimmte Bergsportarten und Berufe eintreten, höher ist als bei ihren männlichen Kollegen. Das starke Aufkommen von nicht gemischten Verbänden zeugt von dieser Situation, die bis heute anhält. So hat zum Beispiel "Lead the Climb" eine Praxisgruppe gegründet, deren Ziel es ist, Frauen zu "Autonomen" sowie zu "Bergführerinnen" zu machen.

Frauen werden oft von Männern in die Welt des Bergsteigens eingeführt oder verbessern ihre Fähigkeiten, indem sie an der Seite von Männern trainieren. Das Selbstvertrauen in Frauengruppen wird somit zum Eckpfeiler für die Förderung einer größeren Autonomie der Frauen und ermutigt sie, sich allein in die Berge zu wagen. Gemischtgeschlechtliche Gruppen können zwar einen Raum bieten, sie können aber auch zu einem Unterdrückungsraum werden. Sexistische Äußerungen, frauenfeindliche Witze und regelmäßige Diskriminierung schüren Befürchtungen. Die französische Bergsteigerin Marion Poitevin, die erste Frau, die in die französische “Groupe Militaire de Haute Montagne” aufgenommen wurde und Gründerin der gemischtgeschlechtlichen Vereinigung "Lead The Climb" ist, veröffentlichte 2022 ihr Buch Briser Le Plafond de Glace ("Die Eisdecke durchbrechen"). Ihr Buch sorgte in der Bergszene für viel Aufsehen. In einem ergreifenden Bericht erzählt die Bergführerin von ihrer Reise und ihren Erkenntnissen. Dabei beleuchtet sie das Tabuthema der Diskriminierung und der alltäglichen sexuellen Gewalt, die eine Frau mit hohen Ansprüchen in einem männerdominierten Umfeld erleidet.

Frauen in den Bergen als Mittel zur Ermächtigung 

Als Reaktion auf diese Realität sind Vereine und Gruppen entstanden, die das Bergsteigen für Frauen durch Aktivitäten nur für Frauen fördern. Indem sie in einem nicht gemischten Umfeld agieren, wollen diese Initiativen Frauen ermutigen, sich in die Berge zu wagen und Bergsteigen mit Vertrauen zu betreiben.

Die Nichtmischung hat ihren Ursprung in den Frauenrechtsbewegungen in Spanien und verbreitete sich mit der Durchsetzung der feministischen Bewegungen in den 1970er Jahren. Béatrice Barbusse, Sportsoziologin und die erste Frau in Frankreich, die den Vorsitz eines Profisportvereins für Männer innehatte, erklärt, dass "angesichts des Sexismus die Nichtmischung zunächst der einzige Weg ist, um die sportlichen Aktivitäten der Frauen zu entwickeln". Angesichts “der Invisibilisierung oder Stigmatisierung bestimmter Kategorien hilft das Zusammenkommen auf der Basis gemeinsamer Erfahrungen, kollektive Identitäten aufzubauen. [...] Die Bündelung individueller Erfahrungen mit Ungleichheit verdeutlicht auch deren strukturellen Charakter". Die wachsende Bedeutung dieser Frauengruppen verdeutlicht die Unzufriedenheit der Frauen mit gemischten geschlechtsspezifischen Praktiken. Nicht gemischte Gruppen sind daher ein Instrument, um geschlechtsspezifische Ungleichheiten und den Wunsch der Frauen nach Emanzipation im Bergsport zu thematisieren.

Der Verein "Lead The Climb" bietet jedes Jahr über 200 Trainingskurse für Frauen an. Die abschließenden Worte auf der Website des Vereins geben uns eine ziemlich klare Vorstellung von ihrer Sichtweise: "In den Bergen zählt nicht die Kraft, sondern das Können. Und in dieser Hinsicht haben Frauen und Männer die gleiche Fähigkeit, zu lernen und sich weiterzuentwickeln."

Dank der laufenden Bemühungen um die Förderung von Frauen im Bergsport werden diese Aktivitäten heute allmählich integrativer und repräsentativer für Frauen.

Im Jahr 2024 teilte die "Fédération Française des Clubs Alpins de Montagne" (FFCAM) mit, dass 40% ihrer 110.000 Mitglieder Frauen sind. Auch die Bergsteigerwettbewerbe sind ein guter Indikator für den Stellenwert der Frauen in diesem Sport. Der “Grand Parcours Alpinisme de Chamonix”, ein Amateurrennen, verdeutlicht ebenfalls die Feminisierung des Sports. Bertrand Sanglard, Verantwortlicher für die Entwicklung der FFCAM, berichtet, dass 43% der Teilnehmenden Frauen sind. Das endgültige Ziel besteht jedoch darin, die Feminisierung nicht nur im Amateursport, sondern auch in der Professionalisierung des Bergsports und in den Führungsgremien zu fördern, wo die Zahl der Frauen nach wie vor gering ist.

Wie sieht die Zukunft aus?

Das Bergsteigen ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen im Bereich des Bergsports. Es wird oft als der Höhepunkt des Bergsports in Bezug auf Risikobereitschaft, Kraft und Mut angesehen und bietet eine einzigartige Möglichkeit, die Rolle und Darstellung von Frauen zu hinterfragen. Die Geschichte neigt dazu, Frauen auszulöschen, wobei die Erzählungen Geschlechterstereotype bevorzugen und männliche Ideale verherrlichen.

Das Bewusstsein schärfen, eine Dynamik des Wandels schaffen, mentale Barrieren abbauen, den Menschen das Rüstzeug für die Ausübung des Bergsports an die Hand geben und künftige Generationen inspirieren - das sind einige der Ziele, die sich nicht gemischte Gruppen gesetzt haben. Mit der Unterstützung von Bergfilmfestivals wie Femmes En Montagnes öffnet sich in den Berge allmählich einem integrativer Raum. Vor allem aber soll die Geschlechtervielfalt im Bergsport gefördert werden.

Die jüngeren Generationen beginnen, die Regeln zu ändern. Die französische Freeride World Tour Snowboarderin Noémie Equy, 23, geht mit gutem Beispiel voran. Schon früh erkannte sie die Hindernisse, mit denen sich Frauen in der Welt des Sports konfrontiert sehen. Daher rief Noémie 2024 das Projekt "Sister's Camp" ins Leben, mit dem Ziel, "den Spitzensport aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und die Codes zu brechen". Athletinnen wie Anna Martinez, die Dritte der Freeride World Tour 2024, und Isabeau Coudurier, dreifache Weltmeisterin im Enduro-MTB, zeigten ihr Interesse an der Teilnahme an diesem Programm. Durch fünf rrTage körperliche Vorbereitung und Workshops gibt die erste Ausgabe ihres Projekts dem, was Frauen anstreben, eine echte Sichtbarkeit: den Platz einzunehmen, der ihnen zusteht.

Obwohl sich internationale Forscherinnen zunehmend für dieses Thema interessieren, besteht die größte Herausforderung darin, eine breitere Gemeinschaft von Bergbegeisterten zu sensibilisieren, um ein tieferes Verständnis für geschlechtsspezifische Fragen zu wecken.  

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