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Schnee von morgen

Schnee von morgen | Fotograf Christoph Jorda über die Folgen des Klimawandels und die Zukunft des Winters

"Diese gleichzeitige Ungerechtigkeit in unserer Welt, ist das was mich so wahnsinnig macht."

07.03.2022 von Lisa Amenda
PowderGuide Autorin Lisa hat sich auf die Suche nach neuen Blickwinkeln auf den Schnee von morgen begeben. Dazu hat sie mit Fotograf Christoph Jorda, den viele vielleicht auch durch das Buch Bergmenschen kennen, über die Folgen des Klimawandels gesprochen, welche Rolle unser Konsum dabei spielt und darüber, warum ein nachhaltigeres Leben immer mit dem Bewusstsein der Einzelnen anfängt.

Eigentlich würde hier jetzt direkt das Interview mit Christoph starten. Eigentlich. Aber mir ist es wichtig euch noch zu sagen, dass wir das Interview am 21. Februar 2022 geführt haben. Drei Tage  bevor die Situation in der Ukraine eskaliert und Russland einmarschiert ist. Als wir das Gespräch geführt haben, haben wir uns nicht ausmalen können, dass die Szenen die Christoph von seinen Reisen beschreibt auch hier in unserer Nachbarschaft Wirklichkeit werden können. Deswegen gehen wir im Gespräch auch nicht auf dieses Thema ein.

Trotz allem möchten wir euch das Interview mit Christoph natürlich nicht vorenthalten.

Viel Spaß beim Lesen.

Du bist als Outdoorsportfotograf, aber auch als Fotojournalist in Krisenregionen unterwegs. Was bedeutet die Fotografie für dich?

Du stellst Fragen (lacht). Das klingt jetzt abgedroschen, aber es ist für mich der Schlüssel zu einem erfüllten Leben. Es ist natürlich ein Privileg, dass du mit deiner Arbeit etwas bewirken kannst und da wir zunehmend in einer medialen Welt leben, habe ich als Medienfuzzi eine gewisse Macht. Und ich finde mit dieser Macht, kommt auch die Verantwortung, dass du mit deinem Talent etwas Vernünftiges machst. Deswegen gehe ich jetzt nicht nur raus und fotografiere für Auftraggeber XY, sondern mache auch das worauf ich Bock habe – sei es in der Gletscherhöhle zu fotografieren oder Krisenregionen zu dokumentieren.

Für viele ist die Fotografie ja auch ein Mittel um Momente festzuhalten und die Vergänglichkeit aufzuhalten.

Ja, auf jeden Fall. Ich bin fest davon überzeugt, dass du irgendwann mal an einen Punkt in deinem Leben kommst, wo die Erinnerung das Wertvollste ist, was du hast. Und wenn wir jetzt wieder zu den Gletschern kommen, diese Vergänglichkeit, das ist ja auch ein Grund warum ich das mache, mit den Jungs da hoch fahre und alles auf meine eigene Kappe nehme, weil die Gletscher sind halt dann weg. Und wenn du jetzt wie wir seit sechs Jahren jedes Jahr an die gleiche Stelle fährst, dann siehst du erst einmal was da passiert. Das ist schon krass.

Was macht das mit dir, wenn du siehst wie sich die Natur vor deinen Augen verändert?

Ich sag mal, bis vor sechs Jahren hat mich das gar nicht so tangiert. Da gab es immer schon mal schlechte Winter und da gings eher um powdern gehen und raus. Wir haben das ja vor der Tür, da war das eine Selbstverständlichkeit. Ich habe dann das Bild von meinem Bruder aufgenommen, wo er am Pitztaler Gletscher eine große Eishöhle nach vorne runterspringt. Alle fanden das Bild geil, nur mein Bruder war nicht so zufrieden. Da haben wir gesagt: „Gut, dann fahren wir da wieder hin!“ Wir sind dann im Februar wieder hin, sechs Wochen später, und das Ding war weg. Am Gletscher. Fast auf 3.000 Meter. Und wir stehen da und denken: „Fuck, was ist denn hier los?!“ Das war wirklich ein Schlag in unser Gesicht und wir haben gemerkt, okay, das ist echt ernst, wenn im Februar auf fast 3.000 Meter eine Gletscherhöhle wegschmilzt. Ich weiß auch, meine Kinder werden das nicht mehr sehen. Bei jeder Location da oben wissen wir wenn wir gehen, das war einmalig. Wir werden es so nie wieder vorfinden. Das ist schon tiefbewegend und extrem traurig.

Aber die Gletscherschmelze ist das eine, ich habe auch gesehen, was weltweit abgeht durch den Klimawandel. Die Snowsports-Community weint immer um ihre Gletscher, aber dass wegen dem Klimawandel Leute sterben und Völker ihr Land verlassen müssen, das ist nochmal eine ganz andere Dimension. Momentan sind circa 60-70 Millionen Menschen auf der Flucht und je nach Quelle kann man sagen, dass zwei Drittel aufgrund des Klimawandels flüchten. Und die können ja nichts dafür, wir sind das ja, die das machen. Die Industriestaaten.

Wir leben hier wahrscheinlich auch viel zu sehr in einer Blase. Die Folgen des Klimawandels sind oft nicht direkt greifbar, wenn z.B. eine Dürreperiode in Afrika ist, interessiert das hier vor Ort wenige Menschen. Wenn jetzt etwas passiert wie die Hochwasser im Sommer 2021 in Deutschland, dann sind die Folgen des Klimawandels für viele plötzlich ganz nah.

Ja, der Mensch macht halt erst was, wenn er selbst etwas merkt und wenn es eigentlich schon zu spät ist. Anschnallgurte, Airbags, Helm aufziehen, du machst halt immer erst was, wenn es weh tut. Und so ist es jetzt bei uns auch. Jetzt checken es die Leute und ich finde es gerade geil, dass es die jungen Leute sind, die sagen „Hey, Moment mal!“ Man muss es sich aber natürlich auch leisten können. Da lebt man hier in der First World Problem-Blase und vergisst oft den Rest außen rum.

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Bei dem Bild von deinem Bruder in der Eishöhle hast du auf Instagram geschrieben: „We are the problem and the solution“. Glaubst du, dass wir das Ruder mit dem Klimawandel noch rumreißen können?

Nee, ich glaube nicht. Vor allem wenn Deutschland das allein rumreißt, ist das ein Furz. Klar, wir als Deutsche bzw. als westliche Welt haben den Konsum und wenn du achtsamer damit umgehst, dann bringt das auf jeden Fall etwas. Was mir ein bisschen Hoffnung gibt ist, dass eben die jungen Leute sagen, dass wir was tun müssen. Aber das ist so ein langsamer Prozess, selbst wenn wir in den nächsten Jahren klimaneutral werden, dann geht es trotzdem bergab. Ich glaube man muss sich darauf einstellen, dass sich die Welt ändert. Wir haben das einfach abgefuckt.

Was glaubst du, was wäre noch nötig, was die Politik oder auch andere Verantwortliche tun könnten oder auch wir selbst, wenn man die Möglichkeit dazu hat?

Ich glaube alles fängt mit einem Bewusstsein an. Und wenn die Menschen ein Bewusstsein dafür entwickeln, was ihr Handeln auslöst – egal ob positiv oder negativ – ich glaube dann ist schon sehr, sehr viel erreicht. Das ist so ein bisschen der Hoffnungskeim, den ich habe, dass die Leute anfangen die Auswirkungen ihres Handelns auch global zu sehen. Den einzigen Hebel, den wir in der westlichen Welt haben, ist unser Konsum. Und den müssen wir ausnutzen. Der, der es sich leisten kann. Jetzt haben es ja schon durch den grünen Trend und den Konsum der Menschen die Firmen verstanden und machen Reparaturevents und und und. Die machen das ja nicht nur, weil sie da Bock drauf haben, sondern weil es auch von den Menschen gefordert wird.

Ich habe es oben bereits angesprochen: Du arbeitest als Outdoorsportfotograf und bist für Fotoreportagen in vielen Krisenregionen unterwegs. Wie kam es zu den Fotoreportagen?

Das fand ich schon immer mega interessant und es war für mich schon immer die Champions League Reportagen zu machen. Ich habe nie gewusst, wie ich das eigentlich anfangen soll, bis mich ein Freund von mir gefragt hat, ob ich Gründungsmitglied seiner Hilfsorganisation ZimRelief für Simbabwe sein möchte. Da habe ich nur gesagt „Logisch“ und war dann 2008 mit ihm zum ersten Mal in Simbabwe. Das war eine mega krasse Zeit und genau da, wo Wahlen waren, alle Weißen bereits aus dem Land geflohen sind, auch alle Hilfsorganisationen. Wir waren die Einzigen und durften dann im Haus der deutschen Entwicklungshilfe bleiben und haben uns dort versteckt. Dort habe ich Fotos gemacht soweit es mir irgendwie möglich war. Darauf gab es so eine große positive Resonanz. Eine Journalistin hat für die Stuttgarter Zeitung eine Reportage über Simbabwe geschrieben, die den European Newspaper Award gewonnen hat. Und dann ging es los und ich habe gesagt, dass ich minimum einmal im Jahr etwas in diese Richtung machen möchte. Dann war ich unter anderem viel in den Müllstädten in Kairo unterwegs. Das ist durch die Kinder und meine Buchprojekte ein bisschen eingeschlafen, aber jetzt im April geht es wieder los. Wohin genau, wissen wir aber noch nicht.

Vielen ist wahrscheinlich gar nicht bewusst, dass der Klimawandel auch viele humanitäre Katastrophen nach sich ziehen wird. Du siehst sowas auf deinen Reisen mit eigenen Augen vor Ort. Haben deine Reisen in solche Regionen deine Sicht auf die Welt verändert? Dich etwas gelehrt?

Ja klar, das ist auch ein Grund, warum ich das mache. Du bist ja selbst im Allgäu aufgewachsen und ich vergleiche das immer mit einem Eisberg: Zwei Drittel der weltweiten Bevölkerung sind unter Wasser, ein anderer Teil ist geradeso oben drüber und wir Allgäuer sind die alleroberste Schneeflocke. Und seit ich in Simbabwe war und das gesehen habe: Das macht ganz viel mit dir und du weißt dein eigenes Leben ganz anders zu schätzen. Ich behaupte, dass ich ganz anders aufstehe wie die meisten Deutschen und danke sage, dass ich gesund bin, zwei gesunde Kinder habe und dass bei mir der Kühlschrank voll ist und die Bude warm. Auch das was wir als selbstverständlich annehmen, dass wir Frieden haben, Freiheit und Menschenrechte und du dann vor Ort mit Menschen sprichst, die ihr Leben für sich und ihre Kinder riskieren, damit sie das haben, was wir jeden Tag als selbstverständlich ansehen. Boa, ich kriege gleich Gänsehaut, wenn ich an die Gespräche denke.

So ist es halt auch mit dem Klimawandel. Ich relativiere immer die Ausmaße bei uns mit dem was ich gesehen habe. Bei uns kommt der Staat und hilft und im Rest der Welt passiert gar nichts, da bist du auf dich allein gestellt. Und da passiert das jeden Tag. Da sterben Menschen, Familien, Kinder, weil sich das Klima ändert. Und das ist halt wegen uns, wegen den Industriestaaten. Das ist schon harter Tobak. Und diese gleichzeitige Ungerechtigkeit in unserer Welt, ist das was mich so wahnsinnig macht. Warum dürfen meine zwei Kinder hier im Paradies aufwachsen und andere nicht? Die sind nicht besser oder schlechter und du bist auch kein besserer Mensch, wie jemand im Kongo.

Da geht es eigentlich um die fundamentale Ungerechtigkeit, dass wir das Glück haben hier geboren zu sein und andere hatten das unglaubliche Pech, woanders auf der Welt geboren zu sein.

Genau, wir haben das unverschämte Glück zur richtigen Zeit am richtigen Ort in der richtigen Familie geboren worden zu sein. Das miterlebt und das gesehen zu haben, lässt mich wie gesagt, jeden Tag dankbar ins Bett gehen.

Willst du dieses Bewusstsein auch den Leuten mitgeben, denen du in Vorträgen oder Ausstellungen die Bilder von deinen Reisen zeigst?

Das ist natürlich ein Grund. Wenn ich einen Vortrag halte oder eine Ausstellung mache und diese Geschichten erzählen kann, dann gehen die Leute, wenigstens für eine kurze Zeit anders raus wie sie rein gekommen sind. Da sind wir wieder beim Bewusstsein.

Kommt es dir dann manchmal banal vor, wenn in der Wintersportindustrie diskutiert wird, ob die neuesten Skijacken aus recyceltem Polyester sind oder eben nicht?

Nee, das finde ich eigentlich cool. Wie gesagt, das geht ja alles in die richtige Richtung. Global gesehen ist das ja nicht mal ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber es ist ein Anfang. Es schafft vor allem für die, die es anziehen ein Bewusstsein. Jeder kleine Furz hilft und da finde ich es auch gut, dass Firmen wie Picture oder Patagonia oder wie sie sonst heißen Vorreiter sind, das einfach machen und dadurch auch inspirieren. Nicht nur die Leute, die es tragen, sondern die ganze Industrie.

Du hast in einem Interview gesagt, dass du auch in deiner Freizeit eigentlich immer draußen unterwegs bist. Was gibt dir die Natur und der Outdoorsport?

Alles. Sie ist Tankstelle, Kirche und Sporthalle. Alles was du brauchst, findest du draußen.

Können wir über den Outdoorsport auch Menschen dafür begeistern sich für den Schutz der Natur einzusetzen?

Hoffentlich. Aber ich glaube schon. Weil jeder Mensch, der draußen ist und die Augen aufmacht, sieht ja was los ist.

Je öfter du draußen bist, desto mehr Bewusstsein hast du wahrscheinlich auch für deine Umgebung.

Genau, wenn du zweimal die Woche durch den Englischen Garten joggst, dann merkst du es wahrscheinlich nicht so, wie wenn du siehst dass die Gletscherhöhle wegschmilzt. Das ist natürlich eindrucksvoller und viel mehr eine Watschen ins Gesicht. Aber jeder der draußen ist, muss checken was abgeht und wird dadurch ein Bewusstsein entwickeln.

Kommen wir zurück zum Skifahren: Wie sieht deiner Meinung nach der Wintersport der Zukunft aus?

Der wird nur noch in den Gletscherskigebieten stattfinden. Traurig wie es ist, aber ich glaube, die kleinen Gebiete werden alle sterben. Und der Skisport wird mega elitär werden. Es ist ja jetzt schon unbezahlbar, wenn du Ausrüstung, Fahrt rechnest, vielleicht noch etwas zu Essen und Lifttickets. Das finde ich echt traurig. Früher war Skifahren ein Breitensport und jetzt ist es ein elitärer Sport. Der Schnee wird immer weiter hoch wandern, es wird immer aufwendiger, dass man überhaupt fahren kann und es wird immer mehr in die Landschaft eingegriffen. Ganze Täler werden trocken gelegt, nur damit man genügend Wasser für die Schneekanonen hat. Aber wo das hinführt, keine Ahnung. Ich glaube auch nicht, dass viele auf Skitouren umsteigen werden, weil Skitourengehen nicht für den Otto-Normal-Skifahrer gemacht ist.

Was wünschst du dir für den Schnee von morgen?

Dass du das weitermachst (lacht). Du hast wahrscheinlich den größeren Kontext bei deiner Frage im Sinn. Deswegen: Dass der Schnee aufhört zu schmelzen. Dass er so kommt wie in unserer Kindheit. Und dass wir es irgendwie schaffen, das zu retten, was es noch zu retten gibt. Und dass jeder seinen Teil dazu beiträgt, dass Natur, Tiere, Menschen genügend Zeit haben sich anzupassen.

Vielen Dank für deine Zeit und das Gespräch, Christoph.

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