Kann da die Biologie als Fachgebiet auch eine Rolle spielen?
Gletscherschmelze wird u.a. dadurch definiert wie dunkel eine Oberfläche ist. Bei dunklen Oberflächen kann mehr Energie absorbiert werden. Die Biologie spielt da eine maßgebliche Rolle, die man bisher noch viel zu wenig erforscht hat. Dabei geht es um die sogenannte Bio-Albedo. Das heißt, Organismen auf der Eisoberfläche können diese aktiv verdunkeln. Das führt zu einer Verstärkung der Gletscherschmelze und diese zusätzliche Schmelze führt zu vermehrtem Nährstoffeintrag. Dadurch können sich die Organismen, die die Verdunkelung verursachen, noch besser vermehren. Von Grönland weiß man zum Beispiel, dass diese sogenannten Eisalgen 10-13 Prozent der Gesamtschmelze verursachen. Je wärmer es ist und je kürzer die Schneedecke vorhanden ist, desto mehr können sich diese Algen weiterentwickeln. Da wird einem nochmal klar, dass ein Gletscher kein toter Lebensraum ist, sondern ein aktives Ökosystem.
Eine Symptombekämpfung zur Eindämmung der Gletscherschmelze, die viele von uns bereits kennen, ist das Abdecken der Gletscher im Sommer mit Planen. Du hast gemeinsam mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern jedoch herausgefunden, dass das wohl doch nicht das allerbeste Mittel ist. Wieso nicht?
Die Abdeckung der Gletscher erfolgt ausschließlich in Skigebieten bzw. touristisch genutzten Regionen und diese Maßnahmen haben lokal große Vorteile, da sie bis zu zwei Meter Eis pro Jahr retten können. Wenn wir das auf zehn Jahre aufsummieren, ist das schon ein ganz schöner Höhenunterschied an Schnee und Eis, den man retten kann. Von den Touristikern wird das gern als Gletscherschutz betitelt, es ist aber eigentlich eine Methode, um wirtschaftlichen Nutzen aus dem Gletscher zu ziehen. Gletscherschutz an sich ist es nach unserer Meinung nicht, weil diese Abdeckungen negative Auswirkungen mit sich bringen.
Sie sind z.B. aus Polypropylen, das ist ein Plastik und besteht aus ganz vielen Fasern, ähnlich wie ein Vlies. Die Fasern sind am Gletscher exponiert, weil dort extreme UV-Strahlung, Temperaturunterschiede, sowie Wind herrschen und die Materialien für diese Umgebung nicht ausgelegt sind. Wenn die Vliese wieder eingeholt werden, bzw. auch wenn sie ausgelegt sind, kommt es zu Emissionen von Plastikfasern. Diese Fasern können sich dann in einem sensiblen Ökosystem wie einem Gletscher verbreiten und gelangen schlussendlich über die Gletscherbäche auch in angrenzende Ökosysteme.
Bildlich kann man sich diese Fasern wie einen Teller Spaghetti Bolognese vorstellen. Die Spaghetti sind die einzelnen Plastikfasern und die Sauce sind ganz viele chemische Substanzen, die für die Produktion der Fasern notwendig sind. Teilweise sind hunderte bis tausend verschiedene Chemikalien in solchen Plastikprodukten. So kommt es zu zwei Problemen mit den Abdeckungen: Einerseits die Plastikemission an sich und andererseits die Emission an Chemikalien.
Nach unserer ersten Studie im Jahr 2016 hat aber z.B. der Hersteller der Abdeckungen bereits reagiert und die Schmiermittelmenge, die für die Produktion der Vliese notwendig ist, auf zehn Prozent reduzieren können. Es war schön zu sehen, dass unsere Arbeit einen direkten Impact auf die Industrie hatte und dadurch schon ein großer Schritt geschafft war.
Die Mikroplastik-Problematik kennen die meisten von uns durch Mikroplastikpartikel in Kosmetika oder aus den Überbleibseln von Fleecepullis in der Waschmaschine, die sich dann über den Wasserkreislauf bis in unsere Nahrungskette anreichern können. Finden wir bald das Mikroplastik aus den Geotextilien der Gletscherplanen auch auf unserem Teller?
Die Frage ist natürlich ein bisschen spitz formuliert. Wir wissen ehrlich gesagt noch nicht genau, wie weit sich die Fasern verbreiten. Wir haben in einem Bach unterhalb von einer abgedeckten Skipiste sehr wohl Fasern identifiziert, teilweise auch recht viele. Das hängt aber wieder von sehr vielen Variablen ab, von der Fließgeschwindigkeit über die Morphologie, also Form und Struktur, des Bachbetts, usw. Da fangen wir aber jetzt erst mit unserer Forschung an, um wirklich quantifizieren zu können wie viel in die Bäche eingetragen wird.
Welche Folgen können diese Partikel noch für die Umwelt haben? Haben sie zum Beispiel auch direkt negativen Einfluss auf die Gletscher selbst?
Der Gletscher ist ein sensibles Ökosystem und es gibt auch speziell angepasste Mikroorganismen, die im Gletscher und auf dem Gletscher leben. Der Einfluss auf den Gletscher ist aber auch durch den Eintrag der Partikel in den Gletscherbach gegeben. Der Gletscherbach ist ebenso ein sehr komplexes System, zum einen gibt es Mikroorganismen, zum anderen aber auch Insekten, die dort leben. Durch die Anwesenheit von Mikro- oder Makroplastik kann zum Beispiel die Nahrungsaufnahme dieser Insekten gestört werden – entweder verhindert es die Nahrungsaufnahme oder es wird mit Nahrung verwechselt und aufgenommen. In weiterer Folge kann das bedeuten, dass diese Insekten von Vögeln gefressen werden, etc. Unsere Natur hat so viele verschiedene Stellräder und wenn an einem einzigen geschraubt wird, weiß man noch lange nicht, was das beim nächsten Stellrad bewirkt.