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Schnee von morgen

Schnee von morgen | Permafrost im Klimawandel

Es taut: Die Alpen bröckeln!

von Tobias Hipp • 28.02.2022
Permafrost – dauerhaft und durchgehend gefrorener Boden. Direkte Assoziation: die weiten Tundraflächen in Sibirien, wo Häuser deswegen auf "Stelzen" stehen, die nordkanadische Wildnis oder die klirrendkalte Arktis – alles richtig weit weg. Was aber Kitzsteinhorn, Zugspitze, Gemsstock oder Aiguille du Midi damit zu tun haben und warum ein 40° steiler Nordhang nicht nur was mit Tourenplanung und Lawinenlage zu tun hat, erfahrt ihr in dieser Ausgabe von "Schnee von morgen".

Unsichtbarer Klimazeiger

Die sich zurückziehenden Gletscherzungen sind eindeutige und mit dem bloßen Auge erkennbare Anzeichen dafür, dass sich das Klima in den Alpen viel zu schnell erwärmt – mehr als +2 °C seit Ende des 19. Jahrhunderts sind es schon. Ein weiterer signifikanter Klimazeiger ist der (alpine) Permafrost: Er versteckt sich unscheinbar unter der Erdoberfläche in Böden, Schuttflächen oder Felswänden – seine Bedeutung und vor allem die Auswirkungen, wenn er taut, sind aber alles andere als unscheinbar.

Bleibt Boden- oder Felsmaterial mindestens zwei Jahre hintereinander dauerhaft unter 0 °C, spricht man von Permafrost – also dauerhaft gefrorenes Material, unabhängig davon ob Eis vorhanden ist oder nicht. Die oberste Bodenschicht taut zwar jeden Sommer bis in eine bestimmte Tiefe auf, die sogenannte Auftauschicht, aber unterhalb dieser Schicht übersteigt die Boden- oder Felstemperatur nie den Gefrierpunkt – und das ist seit mehr als 10.000 Jahren seit dem Ende der letzten Eiszeit der Fall.

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Eiskalter Flickenteppich

Permafrost kann sich in Klimaregionen bilden, wo die Jahresmitteltemperatur im Bereich von -6 bis -8 °C oder darunter liegt. So ist in der Arktis (Sibirien, Kanada) der Boden über tausende von Quadratkilometern flächendeckend bis in Tiefen von 900 m oder mehr gefroren – man spricht von kontinuierlichem Permafrost. In den Alpen und allen Hochgebirgen der Welt zeigt sich ein anderes Bild: je höher wir hinaufgehen, desto näher sind wir an den Klimaverhältnissen der Arktis (Jahresmittel Zugspitze, 2962 m: -4 °C) und Nordhänge sind deutlich kälter als Südhänge. Daher findet man in den Alpen Permafrost oberhalb von etwa 2.500 m in schattigen Expositionen und nordseitigen Felswänden, südseitig liegt die Untergrenze von Permafrost deutlich höher.

Und noch ein Phänomen begünstigt alpinen Permafrost: größere Schuttflächen bzw. -hänge halten die kalte Luft aus dem Winter in den Zwischenräumen quasi gefangen und kühlen den Boden um bis zu 4 °C im Vergleich zur umgebenden Lufttemperatur herunter. Unterhalb solcher Schutt- und Moränenflächen kann sich Permafrost also auch in deutlich niedrigeren Höhenlagen halten. Das beste Beispiel dafür – und auch die einzige Form von Permafrost, die man mit dem bloßen Auge erkennen kann – sind die Blockgletscher: eine Masse aus Blöcken, Schutt und Eis, die langsam hangabwärts kriecht.

Die Existenz von Permafrost in den Alpen hängt also im Vergleich zur Arktis von deutlich mehr Faktoren ab, insbesondere Höhenlage, Hangexposition, Hangsteilheit und Oberflächenbeschaffenheit. Die alpine Permafrostverteilung gleicht daher mehr einem Flickenteppich – man spricht von diskontinuierlichem oder sporadischem Permafrost. Dennoch findet man z.B. auf gut 5% der Schweizer Landesfläche Permafrost.

Es taut im Untergrund

Das letzte Jahrzehnt war global das wärmste in der Erdgeschichte, die letzten Jahre allesamt Rekordjahre was die Lufttemperatur angeht. Es braucht etwas mehr Zeit als bei Geltschereis bis die warmen Lufttemperaturen in den Boden oder die Felswand vordringen. Der Effekt von einem warmen Jahr oder Sommer zeigt sich also nicht unmittelbar wie bei der Gletscherschmelze, sondern erst mit einem zeitlichen Versatz von bis zu mehreren Saisonen. Nun ist der Trend aber eindeutig angekommen: noch nie zuvor wurden so hohe Boden-/Felstemperaturen im Permafrost gemessen wie im vergangenen Sommer und die Geschwindigkeit der Erwärmung ist alarmierend. In einer Tiefe von 20 Metern hat sich z.B. der Permafrost in der Schweiz in den letzten 20 Jahren um 0,8 – 1,0 °C erwärmt, in niedrigeren Bodenschichten ist es deutlich mehr. Seit 1850 ist die Untergrenze des Permafrosts um etwa 150 m nach oben gewandert. Bei einer weiteren Erwärmung von 1,5 °C würde die Permafrostgrenze um weitere 200-750 m ansteigen.

Klebstoff der Alpen wird spröde

Im Hochgebirge kann die Stabilität ganzer Bergflanken, Schutt- und Moränenhänge und sogar Felswänden direkt abhängig sein vom Permafrost. Je kälter das Gemisch aus Fels und Eis, desto stabiler ist das Ganze: kalter Permafrost ist der Klebstoff in den Alpen. Und dabei kommt es gar nicht darauf an, ob der Permafrost wirklich über die 0-Grad Grenze hinausgeht und dauerhaft verschwindet: allein schon die Erwärmung des Materials in den Bereich zwischen -2 und -4 °C reicht aus, um die Masse weicher werden und kriechen zu lassen. Je tiefer die Wärme in den Berg eindringt und je mächtiger die Auftauschicht wird, umso mehr Material kann mobilisiert werden und umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass stabilisierendes Eis in den gefrorenen Klüften und Spalten im Fels auftaut. In Kombination mit der Steilheit der Alpen liegt die Konsequenz klar auf der Hand: Hänge können talwärts kriechen, Steinschlag aus Felswänden nimmt zu und bis dato stabile Hütten- und Seilbahnfundamente sacken ab. Sogar für das Auslösen großer Fels- und Bergstürze kann immer häufiger der tauende Permafrost als Hauptverantwortlicher ausgemacht werden.

Bergsport vor veränderten Bedingungen

Kurzum, die Gefahren im Hochgebirge verändern sich, nehmen in der Fläche zu und stellen uns Bergsportler vor neue Herausforderungen. Über Jahrzehnte hinweg hielt stabiler kalter Permafrost die alpinen Gefahren, v.a. Steinschlag und Felssturz, entlang vieler klassischer Normalwege oder in Nordwänden in den hohen Bergen der Alpen halbwegs in Schach, das Risiko war kalkulierbarer. Heute werden die Zeitfenster für sichere Begehungen immer kürzer und manche Routen gar unbegehbar.

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Aus der Praxis 1: Die kleine Permafrostlinse zwischen Tirol und Bayern

Man muss nicht in die Arktis reisen, um auf Permafrost zu stehen: in den Ostalpen gibt es verbreitet Permafrost entlang des Alpenhauptkamms, aber auch in den niedrigeren Voralpen, wie im Karwendel oder den Berchtesgadener Alpen kann Permafrost vorkommen. Durch Messungen entlang eines Stollens innerhalb der Zugspitze konnte eine kleine Permafrostzone zwischen Bayern und Tirol nachgewiesen werden. Setzt sich der aktuelle Erwärmungstrend der Luft- und Bodentemperatur so wie aktuell fort, wird die Bayrisch-Tirolerische Permafrostlinse wohl gegen 2040 verschwunden sein.

Aus der Praxis 2: Eine Hütte wird baufällig

Mehr als 120 Jahre lang stand das Hochwildehaus des DAV auf 2.883 m Höhe stabil am Rande des Gurgler Ferners in den Ötztaler Alpen. Unter der Hütte waren über Jahrzehnte kleine Eislinsen eingelagert, dauerhaft gefroren im vermeintlichen ewigen Permafrost. Die Eislinsen sind nun aufgetaut, der Boden ist mitsamt der Hütte abgesackt, wodurch sie baufällig wurde. Damit zu kämpfen hat auch die Bergstation der Seilbahn auf den Gemsstock auf rund 3.000 m bei Andermatt, die nun technisch aufwändig gesichert werden muss. Diese Beispiele werden keine Einzelfälle bleiben: viele Hütten, Seilbahnfundamente oder Bergstationen in den Alpen stehen noch auf Permafrost, sind aber genau in dem Höhenbereich wo sich aktuell die Untergrenze des Permafrosts nach oben verschiebt und somit die stärksten Veränderungen eintreten.

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Aus der Praxis 3: Dauerbeschuss am Mont Blanc

Im Schnitt machen sich mehr als 21.000 Bergsteiger:innen pro Saison oder 300 pro Tag auf dem Normalweg über Refuge Tête Rousse und Refuge du Goûter auf den Weg zum höchsten Gipfel der Alpen, den Mont Blanc. Und jedes Jahr auf’s Neue, fast schon vorhersagbar, kommt es hier durch Steinschlag aus dem Couloir du Goûter (auf English liebevoll das "Death Couloir" genannt) zu ernsten Unfällen. Die warmen Lufttemperaturen der vergangenen Rekordsommer haben den Permafrost im oberen Bereich des Couloirs stark erwärmt und eine aktuelle Untersuchung belegt die Zunahme von Steinschlagereignissen.

Aus der Praxis 4: GroĂźe BergstĂĽrze an bekannten Bergen

Meist ist es schwierig, tauenden Permafrost als alleinigen Auslöser von großen Bergstürzen auszumachen, denn zu viele weitere Parameter tragen zu so einem Großereignis bei, wie z.B. kleine, nicht spürbare Erdbeben, Starkregen und Extremwetterereignisse, oder abschmelzende Gletscher am Wandfuß. Im vergangenen Jahrzehnt aber häufen sich die Ereignisse und die Korrelation zwischen Temperaturanstieg, Verschiebung der Permafrostuntergrenze und Felssturzereignis wird stärker.  Allein in der Schweiz wurden mindestens 12 größere Felsstürze aus Permafrostbereichen beobachtet, darunter z.B. am Piz Cengalo im Bergell (1,5 Mio. m³ in 2013; mehr als 3 Mio. m³ in 2017), am Birghorn (500.000 m³, 2011) oder am Piz Kesch im Engadin (150.000 m³, Winter 2014). Mittlerweile wiederholen sich größere Felsstürze an den Granitzacken im Mont Blanc-Massiv regelmäßig, allen voran an der Aiguille du Dru.

Globaler Exkurs: Klimazeitbombe tauender Permafrost

Permafrost existiert auf ca. ein Viertel der Landoberfläche der nördlichen Hemisphäre. Während Permafrost in den Alpen relevant ist für die Stabilität unserer Berge, erfüllt der arktische Permafrost noch eine zentrale Funktion als Kohlenstoffspeicher und ist eine tickende Klimazeitbombe.

Über Jahrtausende wurde organisches Material (z.B. Pflanzen) und somit große Mengen an Kohlenstoff im Permafrost eingelagert und dauerhaft gespeichert. Konkret sind das etwa 1.500 Gigatonnen (1 Gigatonne = 1 Milliarde Tonnen) an Kohlenstoff, etwa doppelt so viel wie momentan in der Atmosphäre. Gleichzeitig erwärmt sich die Arktis doppelt so stark wie im globalen Mittel und Permafrostböden tauen großflächig auf. Dadurch entstehen sumpfähnliche Landschaften und Seen, in denen das organische Material abgebaut wird und als Methan in die Atmosphäre abgegeben wird. Methan ist ein viermal stärkeres Treibhausgas als CO2. Durch die Erwärmung wird Permafrost sich also von einer Kohlenstoffsenke (es wird Kohlenstoff der Atmosphäre entzogen und eingelagert) zu einer Kohlenstoffquelle (Permafrost gibt mehr Kohlenstoff in die Atmosphäre ab als eingespeichert werden kann).

Ist dieser "Tipping Point" (auch dazu gab es schon eine Ausgabe von Schnee von morgen) erreicht, wird Permafrost die globale Erwärmung in einem noch unsicheren, aber alarmierenden Umfang beschleunigen und zu einer der größten Quellen für Treibhausgase werden.

Weitere Infos und Karten zu Permafrost in den Alpen:

Dr. Tobias Hipp ist physischer Geograph und promovierte in Norwegen an der Uni Oslo über die Auswirkungen des Klimawandels auf den alpinen Permafrost in den Bergen Norwegens. Hauptberuflich ist er beim Deutschen Alpenverein im Ressort Naturschutz und Kartographie tätig.

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