Lisa Amenda: Der Verein "WET – Wildwasser erhalten Tirol" setzt sich für den Erhalt der letzten unverbauten Flüsse und Bäche Tirols ein. Ihr steht dem Ausbau der Wasserkraft sehr kritisch gegenüber. Jetzt mag man vielleicht zuerst denken, wieso? Wasserkraft zählt doch zu den erneuerbaren Energien. Was ist so problematisch daran?
Anne: Man muss da ganz klar zwischen „erneuerbar“ und naturverträglich/nachhaltig/grün unterscheiden: Wasserkraft ist zwar eine der erneuerbaren Energien, aber in den meisten Fällen leider weder grün, noch nachhaltig. Jegliche Form der Energiegewinnung hat Auswirkungen – aber im Vergleich zu allen anderen erneuerbaren Energiequellen sind die negativen Auswirkungen der Wasserkraft auf die Umwelt massiv höher. Sehr vereinfacht gesagt, ist das Problem bei der Wasserkraft, dass ein Fluss ein zusammenhängendes ökologisches System von der Quelle bis zur Mündung ist, in dem Sedimente und Nährstoffe flussab transportiert werden und Fische zur Fortpflanzung flussauf wandern wollen. Ein Eingriff, wie zum Beispiel ein Wasserkraftwerk, unterbricht die ökologische Durchlässigkeit in beide Richtungen und hat einen Einfluss auf das komplette System Fluss. Windräder und Photovoltaikanlagen haben dagegen eine geographisch viel begrenztere Auswirkungen. Dazu kommt, dass gerade Pumpspeicherkraftwerke ganze Täler entwässern und zusätzlich einen massiven Bodenverbrauch haben, da andere Täler für die Speicherseen geflutet werden. Diese Speicherseen emittieren dann auch noch Methan. Flussabwärts von Kraftwerken leidet das Ökosystem unter unnatürlichen Wasserschwällen durch Spülvorgänge.
Die Wissenschaft ist sich mittlerweile sehr einig: Wasserkraft ist weit davon entfernt, als "grüne" Energie bezeichnet werden zu können und sollte, wenn überhaupt, nur noch in Ausnahmefällen und mit größter Umsicht eingesetzt werden. In der kompletten westlichen Welt wird das auch langsam aber sicher umgesetzt. Anstatt neue Wasserkraftwerke auf den Weg zu bringen, werden Flüsse renaturiert und Dämme zurückgebaut. Wasserkraft ist in den seltensten Fällen die nachhaltigste oder sinnvollste Lösung – leider aber fast immer die profitabelste. Dass der Wasserkraftausbau noch im großen Stil vorangetrieben wird, passiert nur noch in Ländern, in denen es keine funktionierenden demokratischen Systeme und keine ausreichenden Umweltschutz gibt und ausländische Großinvestoren leichtes Spiel haben – und in Tirol.
Eigentlich gäbe es ja auch schon genügend Kraftwerke.
Eben, selbst wenn man von all dem absieht, ist das große Problem an der Wasserkraft, dass ihr Ausbaugrad weltweit und insbesondere in Tirol mittlerweile viel zu hoch ist. Flussökosysteme sind weltweit die am meisten belasteten und übernutzten Ökosysteme und Süßwasserarten am stärksten vom Aussterben bedroht. In Tirol gibt es über 1000 Wasserkraftwerke und kaum einen Bach oder Fluss mehr, an dem nicht schon mindesten ein Wasserkraftwerk hängt – meistens mehrere. Die Ötztaler Ache ist nicht nur Tirols sondern ganz Österreichs letzter großer Gletscherfluss, der noch nicht massiv ausgeleitet wird.