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Schnee von morgen

Schnee von morgen | Wasserkraft und ihre Folgen - WET Tirol im Interview

"Veränderung passiert nur durch gesellschaftlichen Druck"

von Lisa Amenda • 28.03.2023
In Albanien wurde gerade der erste Wildfluss-Nationalpark gegründet. Tirol setzt hingegen weiterhin auf Wasserkraft. Die ist zwar erneuerbar, aber nicht umweltverträglich. Wieso das so ist und warum es sich lohnt, jetzt gegen den Ausbau des Kaunertals Kraftwerks auf die Straße zu gehen, hat uns Anne von WET Tirol erklärt.

Lisa Amenda: Der Verein "WET – Wildwasser erhalten Tirol" setzt sich für den Erhalt der letzten unverbauten Flüsse und Bäche Tirols ein. Ihr steht dem Ausbau der Wasserkraft sehr kritisch gegenüber. Jetzt mag man vielleicht zuerst denken, wieso? Wasserkraft zählt doch zu den erneuerbaren Energien. Was ist so problematisch daran?

Anne: Man muss da ganz klar zwischen „erneuerbar“ und naturverträglich/nachhaltig/grün unterscheiden: Wasserkraft ist zwar eine der erneuerbaren Energien, aber in den meisten Fällen leider weder grün, noch nachhaltig. Jegliche Form der Energiegewinnung hat Auswirkungen – aber im Vergleich zu allen anderen erneuerbaren Energiequellen sind die negativen Auswirkungen der Wasserkraft auf die Umwelt massiv höher. Sehr vereinfacht gesagt, ist das Problem bei der Wasserkraft, dass ein Fluss ein zusammenhängendes ökologisches System von der Quelle bis zur Mündung ist, in dem Sedimente und Nährstoffe flussab transportiert werden und Fische zur Fortpflanzung flussauf wandern wollen. Ein Eingriff, wie zum Beispiel ein Wasserkraftwerk, unterbricht die ökologische Durchlässigkeit in beide Richtungen und hat einen Einfluss auf das komplette System Fluss. Windräder und Photovoltaikanlagen haben dagegen eine geographisch viel begrenztere Auswirkungen. Dazu kommt, dass gerade Pumpspeicherkraftwerke ganze Täler entwässern und zusätzlich einen massiven Bodenverbrauch haben, da andere Täler für die Speicherseen geflutet werden. Diese Speicherseen emittieren dann auch noch Methan. Flussabwärts von Kraftwerken leidet das Ökosystem unter unnatürlichen Wasserschwällen durch Spülvorgänge.

Die Wissenschaft ist sich mittlerweile sehr einig: Wasserkraft ist weit davon entfernt, als "grüne" Energie bezeichnet werden zu können und sollte, wenn überhaupt, nur noch in Ausnahmefällen und mit größter Umsicht eingesetzt werden. In der kompletten westlichen Welt wird das auch langsam aber sicher umgesetzt. Anstatt neue Wasserkraftwerke auf den Weg zu bringen, werden Flüsse renaturiert und Dämme zurückgebaut. Wasserkraft ist in den seltensten Fällen die nachhaltigste oder sinnvollste Lösung – leider aber fast immer die profitabelste. Dass der Wasserkraftausbau noch im großen Stil vorangetrieben wird, passiert nur noch in Ländern, in denen es keine funktionierenden demokratischen Systeme und keine ausreichenden Umweltschutz gibt und ausländische Großinvestoren leichtes Spiel haben – und in Tirol.

Eigentlich gäbe es ja auch schon genügend Kraftwerke.

Eben, selbst wenn man von all dem absieht, ist das große Problem an der Wasserkraft, dass ihr Ausbaugrad weltweit und insbesondere in Tirol mittlerweile viel zu hoch ist. Flussökosysteme sind weltweit die am meisten belasteten und übernutzten Ökosysteme und Süßwasserarten am stärksten vom Aussterben bedroht. In Tirol gibt es über 1000 Wasserkraftwerke und kaum einen Bach oder Fluss mehr, an dem nicht schon mindesten ein Wasserkraftwerk hängt – meistens mehrere. Die Ötztaler Ache ist nicht nur Tirols sondern ganz Österreichs letzter großer Gletscherfluss, der noch nicht massiv ausgeleitet wird.

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Wie setzt ihr euch konkret für den Erhalt von Flüssen und Bächen ein?

Hauptsächlich informieren wir über anstehende Wasserkraftprojekte und versuchen, die Menschen über die negativen Folgen aufzuklären, in dem wir uns durch die Projektunterlagen arbeiten und die Informationen verständlich zugänglich machen, durch Flyer, Newsletter, Blogposts, Social Media, Leserbriefe usw. Wir halten Vorträge, organisieren Info-Veranstaltungen und Filmabende. Im Ernstfall organisieren wir auch Protest, wie Petitionen, Demonstrationen, Email-Aktionen. Wir geben Gutachten in Auftrag und formulieren Gegendarstellungen für Verhandlungen. Wir sind seit 2022 auch staatlich anerkannte Umweltorganisation und haben damit Parteienstellung in Umweltverträglichkeitsprüfungen.

Ihr habt WET 2014 gegrĂĽndet. Welche Motivation hattet ihr selbst etwas anzustoĂźen? Warum war es euch nicht genug, was der Staat und andere NGOs bereits tun?

Der Grund war das damals anstehende Projekt Sellrain-Silz/Kraftwerk Kühtai, gegen das wir uns eingesetzt haben. Damals haben wir es nicht geschafft: Das Projekt ist im Bau, dafür wird das Stubaital entwässert - und damit die Ruetz und auch die Sill - und das Längental geflutet. All das, obwohl das Kraftwerk noch nicht mal ans Tiroler Netz angeschlossen ist, sondern nur im Austausch mit Deutschland Strom produziert. Andere NGOs haben sich auch dagegen eingesetzt,  aber wir wollten unseren Teil beitragen. Von staatlicher Seite kann man hier nicht viel erwarten: Die TIWAG gehört dem Land Tirol – und die Landesregierung setzt blind und ausschließlich auf Wasserkraft, da findet keine Abwägung und auch kein ehrlicher Dialog statt.

Glaubt ihr, dass es notwendig ist, dass wir als BĂĽrgerinnen und BĂĽrger auf die StraĂźe gehen und uns fĂĽr die Dinge einsetzen, die uns wichtig sind?

Ja, unbedingt! Veränderung ist unangenehm, damit gewinnt man keine Wahlen. Veränderung passiert nur durch gesellschaftlichen Druck. Was den Ausbau Kraftwerk Kaunertal angeht, ist das unsere einzige Chance – vor der Umweltverträglichkeitsprüfungsverhandlung gibt es für uns, andere NGOs, für die Anwohnenden und Betroffenen keinerlei Beteiligungsmöglichkeit oder Dialog. In der UVP wird dann aber nur noch über Ausgleichsmaßnahmen verhandelt und geschaut, ob das Projekt gesetzeskonform ist – während die Projektwerber Jahrzehntelang darauf hingearbeitet haben, dass das Projekt gesetzeskonform ist bzw. die Gesetze ihren Vorhaben entsprechen. Dieses Projekt ist nur noch durch gesellschaftlichen Widerstand zu stoppen. In Wirklichkeit bleibt uns nicht viel, außer auf die Straße zu gehen.

Ganz konkret habt ihr drei Kampagnen auf eurer Webseite beschrieben: Stubaital, Isel sowie Ă–tztal/Kaunertal. Warum sind es gerade diese drei geworden?

Das waren schlicht und einfach die drei großen Kraftwerksprojekte, die seit unserer Gründung 2014 in Tirol geplant und verhandelt worden sind. Es gab noch viel mehr, aber das waren die größten und schlimmsten.

Hauptfokus legt ihr gerade auf den geplanten Kraftwerksausbau im Kaunertal. Wieso sollten sich so viele Menschen wie möglich gegen dieses Projekt aussprechen?

Der Ausbau Kraftwerk Kaunertal ist eine ökologische Katastrophe, nicht nachhaltig, nicht zukunftsfähig und keine sinnvolle Lösungsstrategie – weder für die Energie- noch für die Klimakrise. Über 95% des in Tirol produzierten erneuerbaren Stroms sind aus Wasserkraft, obwohl alle anderen erneuerbaren Energieträger massives Ausbaupotential hätten. Die Wasserkraft in Tirol steht kurz vor dem Totalausbau, das Ende der Fahnenstange ist eh erreicht. Wir brauchen neue Strategien um der Energiekrise und der Klimakrise zu begegnen, stattdessen plant die TIWAG mit dem Ausbau des Kraftwerks Kaunertal ein Megaprojekt, das angesichts der Klimakrise längst nicht mehr zeitgemäß ist. Es entwässert das Ötztal, nimmt einen horrenden Biodiversitätsverlust und Bodenverbrauch in Kauf und flutet das Platzertal. Gleichzeitig schwinden unsere Gletscher bereits jetzt dramatisch, Flüsse führen weniger Wasser und dadurch verlieren Wasserkraftwerke an Leistung und Verlässlichkeit. WET fordert eine echte Energiewende und setzt sich deshalb gegen den Ausbau des Kraftwerks Kaunertal ein.

Jetzt kann man vielleicht behaupten: „Das sind sicher Kajakfahrer:innen. Schon klar, dass die sich für Wildflüsse einsetzen.“ Warum ist es wichtig, dass wir uns für Wildflüsse stark machen?

Flussökosysteme sind weltweit die am meisten belasteten und übernutzten Ökosysteme und Süßwasserarten am stärksten vom Aussterben bedroht. Und wenn jemand die ökologischen Aspekte gar nicht interessieren: Wir brauchen gesunde Flüsse! Sie liefern Trinkwasser, reinigen Abwasser, bewässern Weiden und Felder, kühlen ihre Umgebung an heißen Tagen. Sie beherbergen wichtige Ökosysteme und bieten Raum für Freizeit und Erholung. Naturnahe Flusslandschaften dämpfen Hochwasserereignisse ab und speichern Wasser in Dürreperioden - wir brauchen sie, um uns an den Klimawandel anzupassen, wenn Extremwetterereignisse zunehmen und Niederschläge unregelmäßiger werden. In der heutigen Zeit noch massiv in den Wasserhaushalt und in Flussökosysteme einzugreifen, ist grob fahrlässig.

Sind Outdoorsportler:innen prädestiniert dafür, sich für die Natur stark zu machen?

Outdoorsportler:innen wissen, was auf dem Spiel steht und sehen meist, was Naturzerstörung für Folgen hat. Sie haben eine persönliche Bindung und einen Grund sich einzusetzen. Uns wird oft vorgeworfen, wir würden uns ja nur gegen Wasserkraft einsetzen, weil wir eben 'nur' Kajakfahren wollen. Es ist genau umgekehrt: Nur weil wir Kajakfahren, sehen und erfahren wir am eigenen Leib, welche Auswirkungen die Wasserkraft auf Flüsse hat. Nur deshalb wissen wir, wo und wie viele Kraftwerke es hier schon gibt, die anderen gar nicht auffallen würden. Wir sehen, wie sich der Fluss verändert. Viele Menschen erkennen das im Alltag nicht. Wir wissen, wie natürliche Flüsse eigentlich aussehen sollten und, dass der Inn beispielsweise längst keiner mehr ist, sondern vielerorts eher eine tote Industriezone.

Wie kann man aus eurer Sicht die Energiewende am naturverträglichsten voran treiben?

Energie sparen. Will keiner hören – aber es ist doch mittlerweile allen klar, dass dieser Planet begrenzt ist und wir nicht immer so weiter machen können. Die Antwort kann nicht weiterhin und für immer „mehr Kraftwerke" sein. Energie sparen meint noch nicht mal den Einzelnen, sondern systemische Änderungen, Anreize, Sanierung, Energiesparpotentiale ausschöpfen. Bestehende Kraftwerke sanieren. Die Energiewende hilft uns nicht, wenn wir dabei die Biodiversitätskrise vergessen. Eine naturverträgliche Energiewende muss Hand in Hand mit Naturschutz gehen und darf nur so wenig Bodenverbrauch und Umweltzerstörung wie irgendmöglich verursachen.

Zudem macht es Sinn, Photovoltaikanlagen auszubauen sowie in andere Speicheralternativen zu investieren. Was in Tirol außerdem niemand hören möchte: Windenergie hat hier durchaus Potential. Es gibt mittlerweile andere Möglichkeiten, wir müssen nicht mehr wie in den 1950igern Täler fluten um Strom in Seen zu speichern.

Wie kann man bei euch aktiv werden oder euch anderweitig unterstĂĽtzen?

  • Unterzeichne jetzt die Petition 'Stopp Ausbau Kraftwerk Kaunertal': www.wet-tirol.at
  • Hilf uns, die Petition zu verbreiten!
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  • Werde Mitglied oder spende an WET- Wildwasser erhalten Tirol!
  • Wir haben einen Film zum Thema produziert: 'Bis zum letzten Tropfen – Tirol und die Wasserkraft'. Komm zur Filmtour in den kommenden Wochen oder kontaktiere uns, wenn du eine FilmauffĂĽhrung deinem Verein o.ä. organisieren möchtest! info@wet-tirol.at

Danke fĂĽr das Interview!

Mehr Informationen zum geplanten Kraftwerksprojekt im Kaunertal findet ihr bei WET.

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