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Schneegestöber

SchneeGestöber 1 2021/22 | Schon wieder das Altschneeproblem

Ist Altschnee wirklich alt?

von Lukas Ruetz 12.11.2021
Kürzlicher Fund im Internet: "Kein Winter ohne Altschneeproblem – das nervt!" Wir betrachten diese Aussage differenzierter und relativieren sie: Wie ist ein Altschneeproblem definiert, wie schaut es momentan genau aus und sind alle Altschneeprobleme ein großes Problem für uns?

Aktuelles Altschneeproblem am Alpenhauptkamm

Der Winter ist noch jung, aber das SLF und der Lawinenwarndienst Tirol berichten bereits von schwachem Altschnee in Schattenhängen oberhalb von 2800m. Am Furgghorn im Wallis gab es bereits am ersten Novemner einen Schneebrettabgang mit einer 500m breiten Anrisskante. Es gab ebenfalls mehrere Lawinenauslösungen von Wintersportlern, vornehmlich in den Gletscherskigebieten.

Definition Altschnee(-problem)

Altschnee ist per Definition lediglich Schnee, der älter als drei Tage ist. Neuschnee wird nur als Neuschnee bezeichnet, wenn er jünger als drei Tage ist. Demnach ist es im Grunde auch nicht verwunderlich wenn schon jetzt von einem Altschneeproblem gesprochen wird.

Die genaue Definition eines Altschneeproblems ist aber eigentlich nur zweitrangig vom Alter des Schnees abhängig – sonst wären alle Lawinenabgänge durch Schnee, der älter als drei Tage ist, automatisch Lawinen aufgrund eines Altschneeproblems. Vielmehr geht es bei einem Altschneeproblem um eine spezielle Form von Schwachschicht. Diese besteht aus drei verschiedenen Arten von Schneekristallen. Zwei davon bilden sich durch die aufbauende Umwandlung innerhalb der Schneedecke: Kantige Kristalle und Tiefenreif, besser bekannt als Schwimmschnee.

Die dritte Art von Kristallen im Altschneeproblem ist der glitzernde Oberflächenreif, der erst später von Schnee überlagert wird und so seinen Weg in die Schneedecke findet und als Schwachschicht unterhalb eines Schneebretts fungieren kann. Dieser wird nicht durch die aufbauende Umwandlung aus einem anderen Schneekristall in der Schneedecke gebildet, sondern – wie der Name schon sagt – an der Schneeoberfläche. Und zwar durch Wasserdampf, der sozusagen an die Schneeoberfläche anfriert, so wie sich auch Tautropfen in einer Sommernacht aus der Luftfeuchtigkeit am Grasboden bilden können. Dieser Prozess heißt Resublimation oder Deposition.

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Benötigter Bildungszeitraum eines Altschneeproblems

Oberflächenreif, Kantige Kristalle und Tiefenreif brauchen meist mehrere Tage bis mehrere Wochen um sich ausprägen zu können und können nicht „vom Himmel fallen“ – also als Niederschlag oder in Form von Neuschnee die Erde erreichen. Sie bilden sich erst auf oder in einer vorhandenen Schneedecke. Aufgrund dessen heißt das Altschneeproblem eben Altschneeproblem. Obwohl sich prominente Schwachschichten aus kantigen Kristallen in seltenen Fällen sogar in nur ein bis zwei Tagen entwickeln können.

In Summe recht verwirrend, da „alt“ sprachlich gesehen eher auf etwas bezogen wird, das gefühlt deutlich älter ist als drei Tage. Im Englischen wird das Altschneeproblem als „Persistent Weak Layers“ bezeichnet. Das trifft die Eigenschaften zwar besser, da Altschneeschwachschichten meist über viele Tage bis Wochen oder unter Umständen sogar fast den ganzen Winter relevant für die Lawinengefahr sein können und damit als sehr persistent gelten. Allerdings gibt es hier auch Ausnahmen: Hin und wieder ist ein Altschneeproblem nur für wenige Tage relevant und verschwindet dann schnell wieder. Das ist der Fall, wenn die Kristalle nicht allzu groß sind und die Schichten eher dünn – also nur wenige Zentimeter Mächtigkeit.

Als Faustregel gilt: Mächtige (= dicke) Altschneeschwachschichten bilden sich langsam über mehrere Wochen aus und sind dann meist auch viel länger relevant. Sie kommen meist bodennah vor, also im untersten Bereich der Schneedecke.

Geringmächtige (= dünne) Altschneeschwachschichten bilden sich öfter in wenigen Tagen und sind häufig nur relativ kurz relevant. Also maximal zwei, drei Wochen. Sie kommen überall in der Schneedecke vor. Sie bilden sich meist in den obersten zehn bis zwanzig Zentimetern der Schneedecke aus – am häufigsten zwischen der Oberfläche der vorhandenen Schneedecke und fallendem Neuschnee.

Warum immer Schattenhänge?

Schwach oder gar nicht besonnte Hänge, also im Frühwinter neben Nordhängen auch Ost- und Westhänge, sind prädestiniert für ein bodennahes Altschneeproblem. Das oberflächennahe Altschneeproblem kommt hingegen häufiger in besonnten Hängen vor.

In Schattenhängen sind die Temperaturgradienten in einer geringmächtigen Schneedecke in den Herbst- und ersten Wintermonaten mit dem niedrigen Sonnenstand 24 Stunden pro Tag ausgeprägt genug, um die Schneedecke aufbauend umzuwandeln. In stärker besonnten Hängen schaut die Situation zumindest untertags ganz anders aus. Auch wenn sich dort nachts genauso starke Temperaturgradienten ausbilden, die Energie der Sonne und damit einhergehende Erwärmung zerstört die Produkte der nächtlichen, aufbauenden Umwandlung wieder oder lässt die Schneedecke sowieso wieder vollständig abschmelzen.

Aktuelles Beispiel anhand zweier Schneeprofile

Der Unterschied im Schneedeckenaufbau und in den aktuell aktiven Umwandlungsprozessen innerhalb der Schneedecke ist gut zwischen Nordhang und Südhang in den beiden Schneeprofilen aus der Rieserfernergruppe in Osttirol vom 09.11.2021 zu sehen:

Beide wurden zum selben Zeitpunkt am selben Ort aufgenommen. Lediglich in einer anderen Exposition. Während am Südhang Schmelzformen und rundkörnige Kristalle überwiegen, sieht man schattseitig bereits deutlich die Produkte der aufbauenden Umwandlung, also die kantigen Kristalle. Und das bereits wenige Tage nach dem Schneefall.

Auch zum Zeitpunkt der Aufnahme tut sich in beiden Schneedecken etwas. Im Südhang arbeitet gerade die Schmelzumwandlung im oberen Bereich der Schneedecke. Gut erkennbar an den Feuchtegraden 3 und 2 der ersten beiden Schichten und der gemessenen Schneetemperatur von 0°C. Tiefer in der Schneedecke arbeitet aufgrund des geringen Temperaturgradienten gerade die abbauende Umwandlung.

Im Nordhang ein paar Meter daneben schaut die Sache ganz anders aus. Die Schneedecke besteht bereits großteils aus kantigen Kristallen. Vor allem an der Schneeoberfläche, wo der Temperatugradient bei wolkenlosem Himmel meist am stärksten ausgeprägt ist, sind die Kristalle besonders locker und schon einen Millimeter groß. Der aktuelle Gradient ist auch viel stärker als im Südhang und lässt damit die aufbauende Umwandlung weiterarbeiten.

Die beiden Profile wurden auf 2400m aufgenommen. Der Schnee stammt von den Schneefällen Anfang November. Hochalpin, wo bereits Schnee von Anfang Oktober liegen geblieben ist, konnten sich die beschriebenen Prozesse in Schatten- wie Sonnenhängen bereits wesentlich länger austoben und damit problematische Schwachschichten bilden.

Fazit

Es wird in den Alpen wohl niemals einen Winter ohne Altschneeproblem geben. Jeder Winter ist in den meisten Regionen von mehreren Altschneeproblemen geprägt. Das liegt schlicht an den Rahmenbedingungen zu dessen Bildung, die zum häufig vorkommenden Standard-Wetterablauf gehören. Zum Glück gibt es aber nur wenige Winter mit einem ausgesprochen stark ausgeprägten und hartnäckigen Altschneeproblem. Leider sind es aber genau solche Situationen, die sich bei vielen Wintersportlern als stellvertretend für das Altschneeproblem einprägen.

Jede Lawinensituation gehört für sich betrachtet und jedes Lawinenproblem weist einen Bereich von „nicht wirklich relevant für Wintersportler“ bis „extrem unfallträchtig und gefährlich“ auf.

Im Laufe der Saison erscheinen die SchneeGestöber wie gewohnt Samstags, der regelmäßige Betrieb startet Anfang Dezember. Im aktuellen Fall handelt es sich um ein Sondergestöber zum Saisoneinstieg!

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