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Schneegestöber

SchneeGestöber 19 2016/17 | Die Powder-Scheinwelt

Selbstcheck: Lebst du in der Realität?

von Lukas Ruetz • 09.03.2017
Guten Pulver fährt man nur ein bis zwei mal pro Saison. Skitragen gehört dazu. Die wahre Tourensaison ist das Frühjahr.

Wunderland, Utopia, Oz, Valhalla

Wikipedia: „Ein fiktives Universum ist eine fiktionale Realität, die sich durch mehr oder minder große Abweichungen von der Realität unterscheidet. […] wo Naturgesetze außer Kraft gesetzt werden.“ Die Powderwelt des Internets ist nach Einschätzung des Schneestöberers teils eine solche Fiktion. Vor allem wenn man seinen Facebook- oder Instragam-Feed durchscrollt. Je mehr Emotion mit den Bildern transportiert wird, desto eher werden sie geklickt und vor allem mit Gefällt-Mir, Herzen oder staunenden Smileys versehen und damit weiter verbreitet. Es geht nur um Emotionen, egal ob positiv oder negativ assoziierte: Je schöner der Pulver, desto mehr Likes und je größer die Lawine, desto mehr Likes.

Die Realität, die beide Fälle nur sehr selten zum Vorschein bringt, also meist mittlere bis schlechte Schneequalität bei „mittlerer“ Lawinengefahr bereitstellt, bekommt nur wenig Aufmerksamkeit. Eigentlich zurecht: was man gewöhnt ist, interessiert die meisten halt kaum mehr. Wie bei vielen, langjährigen Beziehungen – und eine solche führen viele von uns Ullr-Jüngern auch mit Schnee und Skifahren. Gäbe es immer riesige Lawinen oder perfekte Pulververhältnisse, wäre es wohl der gleiche „Ohhhhhh“-Effekt, wenn einmal sichere Verhältnisse mit flächendeckendem Bruchharsch vorherrschen würden.

Wie beim Schneeballeffekt werden durch die größere Anzahl von Likes für Außergewöhnliches in weiterer Folge nur mehr möglichst „außergewöhnliche Begebenheiten“ gepostet – denn die wollen ja alle sehen. Dass die zumeist präsente Realität aber an sich schon außergewöhnlich ist – sofern man genau hinschaut – ist sich kaum jemand bewusst. Jede Situation, jeder Schwung, jede Tour ist einzigartig mit speziellen Rahmenbedingungen und an sich schon interessant. Dafür benötigt es aber die Fähigkeit zu Lesen, etwas Interesse an der Natur und etwas mehr Zeit als für rein emotionale Inhalte.

Schneegestöber
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Durch diesen Rückkopplungseffekt werden fast nur mehr wilde, zache, crazy Aufnahmen online gestellt bzw. gezielt produziert und diverse Seiten wie der Privatblog des Schneestöberers generieren so neue Besucher. Eine Gratüberschreitung mit Helmkamera macht schon was her – durch die Fisheyeoptik biegen sich die Hänge links und rechts des Grates weiter nach unten und der Grat erscheint noch ausgesetzter. Was kaum jemand weiß: Die neueste Generation der GoPro Kameras hat den sogenannten „Superview“  - damit wird der Bildwinkel nochmal erweitert und das Bild verzerrt. Eine Gratbegehung wirkt nochmal um einiges spektakulärer. Auch sportliche Größen wie Kilian Jornet arbeiten mit diesem Kameramodus. Nimmt man dann noch einen Pickel und Steigeisen mit, vielleicht ohne wirklichen Nutzen, besteigt einen Berg mit über 3000m Höhe und einem bekannten Namen – ist der Facebook-Hit vorprogrammiert. Der eingesessene Besucherstamm, der die Seiten nur für deren qualitative Inhalte besucht – sofern sie überhaupt irgendwas mit „Qualität“ (ausgenommen der Fotobearbeitung und des Videoschnitts) bereitstellen – wäre ohne solchen Traffic verhältnismäßig winzig.

Zurück zum Schnee…

Peter Pan im Nimmerland

Peter Pan verkörpert die Unschuld der Kindheit, die Lust an imaginären Abenteuern, ohne Sorge oder Verständnis für echte Gefahren. Während alle anderen Kinder diese Erfahrungswelt irgendwann verlassen und erwachsen werden, wird Peter Pan nicht erwachsen und verändert sich nie. In der Fachsprache wird dieses kindliche Verhalten eines Erwachsenen als „Infantilismus“ bezeichnet. Wie Peter Pan im Nimmerland bewegen wir uns teilweise in der Schneewelt des Internets. Vielleicht nicht im Hinblick auf Lawinen, mehr im realitätsbezogenen Bewusstsein zur Schneemenge und Schneequalität. Denn die ist nur an einer Hand voll Tagen in jeder Saison gut:

Die Realität in den Alpen

Zuerst fehlt genügend Schnee für gute Schwünge im Gelände. Sobald es genug davon gibt, gibt es schlechten Schnee durch Wind oder Bruchharsch durch Wärme. Die Alpen weisen ihr jährliches Niederschlagsminimum zwischen November und Feber auf. In Teilen Nordamerikas gibt es im Gegensatz sehr trockene Sommer und niederschlagsreiche Winter. Intensiver Schneefall kommt im Hochwinter fast immer mit stürmischem Wind. Weiter oben limitiert die Lawinengefahr die Möglichkeit zu guten Powderturns, in tieferen Lagen fehlt immer öfter eine Schneeunterlage. Meistens ist die Lawinensituation bei genau der Neuschneemenge, die die besten Schwünge ermöglichen würde, derart erhöht, dass man ihn nicht wirklich nutzen kann.

Guten Pulverschnee fährt man am ehesten im März und April in steileren, hoch gelegenen Schattenhängen: Es gibt eine inzwischen gesetzte Unterlage, die Lawinengefahr hat sich meist beruhigt, die Niederschläge sind oft recht intensiv, da öfter auch eine konvektive Komponente mitspielt.

Dafür haben wir im Winter aber auch viel öfter brauchbares Bergwetter als an der amerikanischen Westküste. Lieber Pulver bei Whiteout oder strahlenden Sonnenschein mit schlechterem Schnee?

In diesem Sinne: Tourengehen charakterisiert sich selten durch guten Schnee und tolle Abfahrten. Es ist das Gesamterlebnis.

Merke: Was uns im Internet präsentiert wird, können wir selbst mit unserer Aufmerksamkeit steuern.

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