Profil lesen: Steintalspitze, 02.01.2020, 2670m, SO, 36°
Wir befinden uns hier in einem sehr steilen Südosthang. „Sehr steil“ bedeutet immer zwischen 35° – 40° Hangneigung. Alles steiler als 40° bezeichnet man als „extrem steil“, alles von 30° – 34° wird als „steil“ bezeichnet und alles < 30° ist „mäßig steiles“ Gelände. So lautet die offizielle Definition der Lawinenwarndienste. Hier liegen ca. 150 cm Schnee in zwölf Schichten. Es gibt auf den ersten Blick keine markante Schwachschicht da die blaue Schraffierung (= Schichthärten) nirgends stark nach rechts ausgespart ist. Dafür sehen wir mehrere Ausschläge der Schraffierung nach links. Dabei handelt es sich um Krusten. Das können Windkrusten oder Schmelzkrusten sein. In diesem Fall erkennen wir vier ziemlich dünne Schmelzkrusten verteilt auf die gesamte Schneehöhe.
Im oberen Bereich (grün) der Schneedecke gibt es Zeichen für frühere aufbauende Umwandlung. Das erkennt man an den vorhandenen kantigen Kristallen. In den unteren zwei Dritteln des Profils (hauptsächlich blauer Bereich) sieht man Hinweise auf vergangene abbauende Umwandlung, also rundkörnigen Schnee und kantig-abgerundete Kristalle – sowie einen steilen Temperaturgradienten, der die abbauende Umwandlung weiterhin fördert. Aber da die kantig-abgerundeten Kristalle vormals kantige Kristalle waren, weiß man auch, dass hier schon vor längerer Zeit die aufbauende Umwandlung am Werk war. Aber auch die Schmelzumwandlung war vertreten: Zum einen bei der Bildung der Schmelzkrusten, zum anderen in den untersten Schichten bei der Bildung der Schmelzform. Die Krusten wurden entweder durch Regen oder warme Temperaturen bzw. Sonneneinstrahlung gebildet. Die feuchten Schmelzformen in der untersten Schicht wurden wahrscheinlich durch die Bodenwärme schmelzumgewandelt.
Schneeschichten an gewisse Schneefallperioden bzw. Zeiträume einer Umwandlung zuzuordnen, kann ganz einfach, extrem schwierig oder auch gar nicht möglich sein. Man muss wie Sherlock Holmes alle Indizien akribisch erfassen und mit dem Geschehenen verknüpfen. Einzig und allein durch die Krusten kann man wirklich exakt Rückschlüsse auf einzelne Schneefall- bzw. Schönwetterphasen ziehen. Von 0 – 40 cm liegt der Schnee von den Starkschneefällen bis 18. November mit anschließender Schönwetterphase. In dieser Phase hat sich die Schneedecke gesetzt und wurde in sehr steilen Sonnenhängen in dieser Höhenlage oberflächlich feucht. Diese oberflächlich feuchte Schicht wurde in weiterer Folge zur Schmelzkruste. Auf diese Schmelzkruste hat es dann bis zum 03.12. wieder drauf geschneit. Bevor die nächste Schönwetterphase folgte. Übrigens gab es schon richtig gute Bedingungen in dieser Zeit! Wieder wurde die Schneeoberfläche feucht und verkrustete danach. Darum kann man den Schnee von 40 – 60 cm auf die Schneefälle der ersten Dezembertage zuordnen. Von 60 – 85 cm wieder das gleiche Spiel: Schneefall, Schönwetter, Krustenbildung an Schneeoberfläche. Der Schnee seit 21.12. liegt oberhalb von 85 cm.