Surfen in Afrika – das kennt man spätestens seit dem ersten Teil des Kultfilms ‚Endless Summer’, in dem Robert August und Mike Hynson als Prototypen des modernen Surftravellers durch die Welt ziehen und die besten Wellen suchen. Seitdem gibt es in entsprechenden Kreisen eine Menge Gründe für einen Ausflug an die Westküste Afrikas. Aber warum nicht mal mit einer Abfahrt auf gefrorenem Wasser kombinieren und die Zeit ohne Wellen zum Skihochtouren auf einen Viertausender nutzen? An sich auch nichts Ungewöhnliches, da der Hohe Atlas mit reichlich hohen Bergen aufwartet. Wir machten uns auf eine Reise in ein Land mit reichlich Sonne, Wüste, Hitze, fremder Kultur, exotischem Essen und unbekannte Düften – und eben fast 3500 km Küstenlinie und einem hohen Gebirge.
Im März machten wir uns also auf und wurden mit unserem ungewöhnlichen Gepäck schon am Flughafen kritisch beäugt. Neben der schweren Skibag nun auch noch eine Surfbag?! Das hat uns zugegebenermaßen selbst auch etwas Gewöhnungszeit abverlangt. Umso interessierter war dafür das Bodenpersonal, allerdings auch umso kooperativer! Dort wo normalerweise jedes Gramm Zusatzgepäck Extragebühren hervorruft, waren auf einmal kleinere Gewichtsüberschreitungen überhaupt kein Problem mehr. Mit einem Lächeln im Gesicht wurde uns jede Hürde genommen, sobald wir von unserem Plan erzählten. Die ersten Schritte auf afrikanischem Boden im milden Frühlingsklima hinaus aus den klimatisierten Hallen des Flughafens von Marrakesch wirken auf uns wie Balsam. Das nasskalte Wetter und die graue Farbeneinheit in München liegen keine vier Stunden zurück und nun legt die Sonne ihre wärmenden Strahlen auf die unbedeckten Arme. Unweigerlich denkt man an Sommerurlaub. Im nächsten Moment fällt das schwere Gepäck des Skisacks in der rechten Hand auf und erinnert an den eigentlichen Grund der Reise. Wir wollen ja auch noch den höchsten Berg Nordafrikas mit Skiern besteigen, aber jetzt geht es erstmal an die Küste, da gute Wellen vorhergesagt wurden. Das gefrorene Wasser in den hohen Regionen des Atlas läuft uns nicht so schnell weg.
Zuerst flüssig, dann gefroren
Mit den schneebedeckten Bergen im Blick und einem (leicht überheblichem) Grinsen im Gesicht marschieren wir Richtung Autovermietungsstation. Und schon erreichen uns die ersten exotischen Sinneseindrücke durch Nase und Augen. Und machen uns unmissverständlich klar: Wir sind in Afrika! Schon am Flughafen verzaubern die Düfte der blühenden Zitronen- und Orangenbäume. Nur Afrika riecht so. Und das besondere Blau des Himmels blendet regelrecht. Nur Afrika sieht so aus. Ein trockenes Frühjahr wurde in den letzten zwei Wochen mit ungewöhnlich viel Niederschlag beschenkt. Von unseren Sitzen im engen Mietwagen erkennen wir die schneebedeckten Gipfel des Atlasgebirges am Horizont. Und schon beginnen wir von afrikanischem Pulverschnee zu träumen. Doch lieber erst in die Berge und dann an die Küste?
Wir machen uns auf den Weg nach Essaouira, welches genau westlich von Marrakesch an der Küste liegt und in gemütlicher Fahrt in drei Stunden erreicht werden kann. Für eine nachmittägliche Surfsession sind wir sowieso zu spät dran und wollen in den altertümlichen Mauern der Hafenstadt mit einer traditionellen Tajine und dem obligatorischen Minztee unsere Ankunft in Marokko zelebrieren. Der Name leitet sich vom Arabischen as-Sawirah ab und bedeutet ‚die Vollendete'. Als wir durch die engen Gassen des alten Stadtkerns laufen und vom Hafen aus einen Blick zurück werfen, kommt uns dies auch wieder in den Sinn. Perfekt schmiegt sich die Stadtmauer auf die Klippen der kleinen Landzunge. Spätestens beim ersten frischen, gezuckerten Minztee haben wir die Gedanken an hektische, kühle deutsche Flughafenhallen vergessen und freuen uns auf den ersten Surf am nächsten Morgen in Sidi Kaouki. Sidi Kaouki liegt knapp 30 Kilometer südlich von Essaouira und wurde als Windsurfspot bekannt – natürlich wegen des vielen Windes. Das hält immer noch viele Wellenreiter fern, da der Wind für einen positiven Effekt für die Welle ablandig wehen muss. Was er natürlich nicht immer tut. Allerdings bläst immer wieder mal weniger Wind oder eben in der richtigen Richtung und ein paar richtig gute Spots in der näheren Umgebung haben Sidi Kaouki mittlerweile auch unter den Wellenreitern bekannt gemacht. Wir genießen die Einsamkeit an den Spots für ein paar Tage – vor allem weil wir wissen, dass es an den bekannten Wellen von Imsouane und Taghazout ganz anders aussieht.
Endlose Küste – unendlich viele Surfspots
Keine 100 Kilometer weiter südlich liegt die kleine Hafenstadt – eigentlich mehr Dorf als Stadt – Imsouane. Es gibt vermutlich nur wenige Spots auf der Welt, bei denen die letzte Viertel Stunde der Fahrt mit solch einer Vorfreude des Surferherz vollendet werden muss. Direkt oberhalb der Bucht befindet sich auf knapp 300 m Höhe ein Aussichtspunkt neben der Straße, von dem aus man die Wellen von der Hafenmauer bis zum Strand brechen sieht. Sofern sie denn funktioniert, da eine beträchtliche Wellenhöhe vorhergesagt sein muss. Damit die Wellen in die Bucht brechen, müssen sie (vornehmliche Swellrichtung ist NW) um ca. 45° gedreht werden und verlieren dadurch viel Energie. Damit noch genug Kraft übrig bleibt, muss deshalb enorm viel vorher da gewesen sein.
Vor fünfzehn Jahren traf man hier in den wellenreichen Monaten (Herbst, Winter, Frühjahr) kaum Einheimische und es war schwer überhaupt eine Unterkunft zu finden. Mit den modernen Informationsmöglichkeiten und flexiblen Arbeitszeiten fallen heutzutage ganze Surferhorden aus Frankreich, Spanien, England und Deutschland ein, sobald die richtige Wellenhöhe und -richtung vorhergesagt wird. Da es sich um die längste (leicht erreichbare) Rechtswelle Marokkos handelt, ist dies auch kein Wunder. An guten Tagen kann man hier mit 700 m langen Surfstrecken rechnen und muss für die Strecke am Strand entlang zurück zur Hafenmauer 15-20 Minuten einplanen! Maximal haben wir es auf 12 Wellenritte an einem Tag geschafft – dann hatten wir Krämpfe in den Waden.
Nochmals gute 70 Kilometer weiter südlich befindet sich das eigentliche Surfzentrum Marokkos: Taghazout. Auf dem Weg dorthin passiert man noch einige andere interessante Surfspots (Tamri, Boiler's, u.a.), aber hier zentriert sich das Surferleben ob der Vielfalt an verschiedenen Spots in nächster Umgebung. Und natürlich wegen der Nähe zum Internationalen Flughafen von Agadir (20 km). Anchor Point ist wohl bekannteste Welle Marokkos: leicht erreichbar, leicht zu surfen, etwas tricky zum Rauspaddeln, aber mit der alten Ruine direkt auf den Felsen einfach perfekt gelegen fürs Publikum. Am Abend versammelt sich hier das halbe Dorf und schaut den Sonnenuntergang bzw. den letzten motivierten Surfer zu, bis das letzte Licht des Tages hinter dem Horizont verschwunden ist.
Taghazout – das marokkanische Surfzentrum
Wir richten uns direkt am Anker Point in einem kleinen Ferienhaus ein und beobachten von unserer Terrasse die an uns vorbeisausenden Surfer. Am nächsten Morgen müssen wir nur den Kopf vom Kopfkissen heben, um durch das Fenster die Wellen zu checken. Kopf heben, aus dem Bett in den Neoprenanzug kriechen, etwas Wasser und eine Banane verspeisen und im Morgengrauen zum Wasser laufen, am späten Vormittag ein ausgiebiges Frühstück genießen und sich die Zeit bis zur Abendsession vertreiben. So wiederholt sich der Ablauf der nächsten Tage und mehr wünschen wir uns auch nicht. Naja, das abendliche Grill- bzw. Tajinesessen mit frischem Fisch, der uns direkt an der Terrasse angeboten wir und ein kühles Bierchen unter grandiosem Sternenhimmel sind vielleicht auch noch zu erwähnen. Aber mehr wirklich nicht… So sitzen wir auch am letzten Abend an der Küste da und verfluchen die Wellenvorhersage, die leider keine Wellen mehr vorhersagt. Damit heißt es für uns ‚Ab ins Gebirge' und auf einmal ist keiner mehr richtig motiviert. Zuviel Sommer liegt hinter uns, zuviel Wärme und Gemütlichkeit. Wer hatte eigentlich die Idee erst an die Küste zu fahren und dann in die Berge? Naja, hinterher ist man immer schlauer, aber dafür genießen wir die letzte Morgensession umso mehr und es wird schon fast zu spät für die Fahrt in den Hohen Atlas.
Alle Bilder des Surftrips zum Durchklicken
Der Wechsel von flüssig zu gefroren bedingt 'frieren'
Die mehrstündige Fahrt nach Imlil und weiter in das Bergdorf Around vergeht wie im Flug. Trotz der Müdigkeit sind alle Augen ob der eindrücklichen Perspektiven weit aufgerissen. Vorbei an weiß blühenden Obstplantagen und durch enge Schluchten geht es auf viel zu schmalen Straßen viel zu schnell vorwärts. Dann wird es dunkel und wir sind froh, dass wir nicht wissen, wie steil der Hang neben dem Weg ins Tal abfällt. Unsere Unterkunft in Around, die „Gite d'etape", erreichen wir erst am späten Abend. Aber doch rechtzeitig, um wieder einmal unseren Geschmackssinn bei einer Lamm-Tagine zu verwöhnen.
Am nächsten Morgen wachen wir mit dem Duft von frischem Kaffee und Minztee auf. Der Blick aus dem Fenster stimmt uns positiv und wir sind motiviert, die erste Etappe (knapp 1400 Höhenmeter) hinauf zum Refuge Azib Tamsoult auf 3210 m anzupacken. Im marokkanischen Expeditionsstil wird das Skigepäck auf Mulis verladen und wir können den Marsch durch das weite Mizane-Tal in den ersten Sonnenstrahlen des Tages mit leichtem Gepäck genießen. Bald geht es in die Höhe und nach nicht mal einer Stunde verstehen wir, warum uns geraten wure, nicht so viel Essen und Trinken mitzuschleppen. Die erste „Verpflegungsstation" – ein kleiner Holzverschlag – wartet mit kleinen Snacks und frisch gepresstem Orangensaft. Es sollte nicht der letzte Orangensaft in den nächsten Tagen bleiben.
Wir kommen zügig voran und oberhalb des Klosters Sidi Chammharouch mit dem weiß angemalten Fels, von dem niemand genau sagen kann warum er überhaupt weiß angemalt ist, sehen wir unsere Lastenträger weit unten im Tal. Nach zwei weiteren Orangensaft-Press-Stationen kommen die ersten Schneefelder in Sicht. Die Mulis haben uns mittlerweile eingeholt. Aber kurz darauf, als unsere Unterkunft schon in Sichtweite ist, wird es zu gefährlich für die Mulis und wir müssen unser Skigepäck selbst weiter tragen.
Auf den Spuren von James Bond
Schnell richten wir uns in der Hütte ein und starten zum Akklimatisieren noch eine Skitour durch das berühmte James-Bond-Couloir in Richtung des Afella-Gipfels. Das Wetter ist im Laufe des Tages immer schlechter geworden und wir sind schon etwas überrascht, dass wir in Afrika trotz anständiger Bergbekleidung dermaßen frieren. In Gipfelnähe pfeift uns der Wind um die Ohren und wir entschließen uns schnell zurück zur Hütte abzufahren. Schon beim Aufstieg wurde klar: auf dem eisig gefrorenen Schnee dürfen bei der Abfahrt keine besonderen Schwungerlebnisse erwartet werden. Der ferne Blick aus Marrakesch hat leider getäuscht. Etwas desillusioniert verkriechen wir uns nach dem Essen in die Betten und hoffen auf eine Wetterbesserung über Nacht.
Über Nacht hat es ein wenig geschneit und der Himmel ist sternenklar! Alles ist mit einem Hauch von frischem Schnee überdeckt. Wir können es kaum erwarten das Frühstück einzunehmen und zum Gipfel des Toubkals zu stürmen. Mit dem ersten Licht geht es dann endlich los und wir bringen in kleineren Gruppen die steilsten Stellen hinter uns. Es liegt weniger Schnee als in den letzten Jahren, aber genügend, um mit Ski bis zur Hütte abzufahren. Wir kommen gut voran und einzig der stetige Wind zerrt an den Nerven. Mit jedem Meter Höhe wird die Aussicht beeindruckender. Am Gipfel auf 4167 m, am höchsten Punkt Nordafrikas, hält es bei Windböen von 90 km/h trotzdem keiner lange aus, wenngleich der Ausblick einzigartig ist. Richtung Süden liegen die Ausläufer des Djebel Sarhro vor der Sahara. Ein paar grüne Oasen heben sich von den braunen Bergen ab. Nach Südwesten fällt der Antiatlas in den Atlantik. Von Norden drücken düstere Wolken über den Mittleren Atlas. Die Wolken machen uns unmissverständlich klar, dass wir lieber das Wetterfenster nutzen sollten, um noch ins Tal zu gelangen. Die Abfahrt zur Hütte zählt dann nicht wirklich zu den besten des Winters, aber dafür hat im ganzen Winter noch keiner so eine leckere marokkanische Hüttenbrotzeit zu sich genommen. Wer hat sich überhaupt erlaubt von afrikanischem Pulverschnee zu träumen? Schnee ist doch auch nur gefrorenes Wasser!
Alle Bilder des Skitrips zum Durchklicken