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Abenteuer & Reisen

Magische Fjorde am Polarkreis

Freeriden in den Lyngenalps

von Marius Schwager • 01.04.2012
Der Guten-Morgen-Kaffee ist noch nicht einmal fertig, und schon ist die Freeride-Stimmung mal wieder im Keller. "Über dem Alpenraum herrscht verbreitet Hochdruckeinfluss" - der morgendliche Blick auf die Wetter- und Neuschneeprognose war im Winter 2011 so eintönig wie selten zuvor. Doch an diesem Morgen, Ende März 2011 blinkt in Skype eine Nachricht von Fabi auf: "Hast du Lust auf Norwegen? Habe hier ein paar Bilder aus den Lyngenalps, die du dir mal anschauen solltest. Da hats Schnee!"

Sonne, Sonne, – nichts als Sonne. Mit etwas Pech mal leichte Bewölkung, die allerdings auch nicht den ersehnten Niederschlag brachte. Seit über 30 Jahren gab es in den Nordalpen keinen so trockenen Winter mehr. Die Powderstimmung erreichte Anfang April 2011 ihren Tiefpunkt. Seit Wochen hat es nicht nennenswert geschneit. Und selbst wenn, reichte es gerade einmal, um die zuvor meist aperen Hänge anzuzuckern.

Die Nachricht von Fabi kam an diesem trübseeligen Spätwintermorgen genau richtig:

Natürlich war mir als wetterabhängigem Powdersüchtiger der schneereiche Winter in Skandinavien nicht verborgen geblieben. Schnell waren die Flüge und Mietwagen gebucht, mit Patrick Gstrein und Gex Rathfelder zwei weitere Mitstreiter gefunden und schon saßen wir im Mietwagen um die 1200 km von Trondheim in den Norden Norwegens hinter uns zu bringen. Unsere Nasen klebten während der gesamten langen Fahrt an den Autoscheiben, um ja keinen Blick auf die fantastischen Skiberge hier weit nördlich des Polarkreises zu verpassen. Reiseziel: die Lyngenalps.

Pillows und Waiting Game

Unser erster Eindruck vor Ort ist gemischt: Die Berge wachsen hier direkt aus dem Meer. Ein wirres Geflecht aus malerischen Fjorden zieht sich weit ins Landesinnere hinein. Zwar liegt noch ein satter Meter Schnee bis hinunter zum Meer, doch ist das Wetter typisch skandinavisch: trĂĽbe Wolkenstimmung, zermĂĽrbender Schneeregen und eine durchfeuchtete Schneedecke in den tieferen, kontrastreichen Strauchlagen.

 

Die ersten Tage im Zelt mit direktem Meerzugang müssen wir das Waiting Game spielen und auf besseres Wetter hoffen. Auf dem Weg nach Lyngseidet, dem Hauptort der Lyngen-Halbinsel sehen wir dann plötzlich unseren Spielplatz für die erste sportlich Betätigung im Schnee. Nur wenige Meter neben der Straße erspähen wir einen kleinen Hang. Keine 100 Höhenmeter hoch, dafür aber ordentlich steil und mit zahlreichen Cliffs und Absätzen gespickt. Ich positioniere mich an einem Cliff und lasse die jungen Wilden die Schneedecke mit einigen Jumps überprüfen. Der Schnee ist zwar durchfeuchtet und klebt an den Ski, ist aber dennoch weich und flüssig fahrbar.

Pillowtime! Wir hiken den Hang einige Male und schießen uns die Pillows hinunter. Pati schließt letztlich die Session mit einer beeindruckenden Straightline ab. High Fives und schnell zurück ins Auto und versuchen irgendwie die nassen Klamotten zu trocknen. Morgen soll sich die Sonne zeigen und das schöne Wetter wollen wir natürlich für eine Skitour im Neuschnee nutzen.

Skitour zum Tafeltinden

Unser Basislager ist am kleinen Hafen im Fünf-Häuser-Dorf Koppangen. Fabi und ich zelten direkt am Meer, Gex und Pati ziehen den luxuriösen Kofferraum unseres Mietwagens dem Campieren vor. Wer in Norwegen zeltet oder biwakiert muss nach den Grundsätzen des "Jedermannrechts" lediglich beachten, dass er mindestens 150 m vom nächsten Haus entfernt campiert und der Natur keinen Schaden zufügt bzw. seinen Abfall wieder mitnimmt.

Schweren Schrittes ziehen wir frühmorgens Richtung Tafeltinden los. Der erste Steilhang ist geschafft, doch der Wind wird zunehmend stärker. Gut, dass wir am ersten Tag einen so beliebten Tourenklassiker wie den Tafeltinden ausgewählt haben, so können wir uns mit den anderen Gruppen beraten. Wir besprechen uns an der ersten steilen Schlüsselstelle intern, fragen anschließend zwei Guides, die eine Gruppe führen. Sie entschließen sich ihre Tour zu beenden. Der Wind hat den Neuschnee der vergangenen Tage stark verfrachtet in unserer Route sind aber keine Gefahrenzeichen erkennbar.

 

Eine Gruppe Franzosen stößt zu uns und zeigt uns auf ihrer Tourenkarte den Weiterweg. Wir entschließen uns, weiterzugehen, halten in dem vor uns liegenden engen Tal aber sehr große Sicherheitsabstände. Später stellen wir fest, dass sich der Neuschnee doch besser mit dem Altschnee verbunden hat als zuerst befürchtet.

Nach dem Tal gelangen wir zügig auf den weitläufigen, flachen Koppangsbreen („breen“ = norwegisch: Gletscher). Einige Stunden später, mit toller Aussicht auf Gletscher, steile Berge und Meer kommen wir am Gipfel an. Zumindest nehmen wir das an. Unsere französischen Freunde mit Tourenkarte und GPS bewaffnet, haben jedoch auf den falschen Vorgipfel zugesteuert. Macht nichts, der Tafeltinden ist fast in Wurfnähe. Statt noch einmal eine Stunde flach zu laufen, belassen wir es einstimmig dabei. Fabi, Pati und Gex, die diese Saison bislang kaum Tourengehen waren, sind mit ihrer abfahrtsorientierter Ausrüstung schon genug am Jammern über Blasen an den Füßen und Scheuerstellen an den Schienbeinen. Die Abfahrt folgt der Aufstiegsspur und ist entsprechend flach. Der frische Neuschnee und die Aussicht auf den Strup-Gletscher und das Meer bzw. die Fjorde entschädigen allemal für die Aufstiegsmühen.

 

Ausgelaugt nach dieser kilometerschwangeren Skitour fanden wir eine feste Unterkunft für einige Tage in der Magic Mountain-Lodge in Lyngseidet. Patrik und Henrika, zwei junge Ex-Skibums und Weltreisende führen hier eine Lodge im Hostel-Stil. In entspannter internationaler Atmosphäre lassen wir es uns im gemütlichen Speisesaal bzw. Wohnzimmer gut gehen, sitzen zusammen und erzählen uns mit den anderen Skitourenfreunden Geschichten. Sicher ist auch das ein oder andere Bier geflossen. Patrick, der einige Winter in den bekannten Alpenspots im Wohnmobil verbracht hat, gibt uns auch gerne die Erfahrung seiner Touren weiter und hat reichlich Tipps für entspanntes Skitouren und herausforderndes Steilwandfahren.

Bei seinen steileren Vorschlägen höre ich genauer hin. Wir gehen auf den Balkon und er zeigt mir einen Berg zu unserer Rechten. Er fragt, ob mir der Carvingtinden, der Hausberg Lyngseidets zusagen würde. Ein bisschen steiler dürfte es schon sein, antworte ich ihm beim Anblick des 35° Genusshangs. Ich solle meinen Blick etwas weiter dahinter auf die Bergkette richten. Einige flachere Optionen stünden uns hier bei ungünstiger Lawinen- und Schneelage hier auch offen. Der Plan für die letzten beiden Tage in Lyngseidet steht!

 

Biwak und Sonnenaufgangs-Skitouren

Abends Aufstieg zum Biwak, Schneehöhle graben, am nächsten Tag den Nordhang des Kvalvikfjellet befahren und bei guten Bedigungen am dritten Tag ein weiteres Mal. Soweit unser Plan. Der dreistündige Aufstieg aus Lyngseidet geht problemlos, nach weiteren zwei Stunden graben, steht auch unsere Schneehöhle. Gaskocher und Fertignudeln raus und ab in die warmen Schlafsäcke.

Das Wetter am nächsten Tag ist zunächst etwas bewölkt, wir verschieben die erste Tour daher auf den Nachmittag. Während wir aufsteigen und uns durch eine heikle Grat-Kletterpassagen wurschteln, klart der Himmel auf und wir haben bestes Abfahrtswetter. Mit gut 45 Grad Steilheit auf etwa 800 Höhenmeter eine nicht risikoarme Angelegenheit, ohne einen echten Lawinenlagebericht in der Hand. Wir tasten uns langsam heran. Die Schneedecke macht einen sehr stabilen Eindruck. Wir finden in der oberen Hälfte sogar noch schönen Pulverschnee. Leider liegt der Hang seit Mittag schon im Schatten. Morgen wollen wir ihn daher unbedingt in der Morgensonne befahren.

Wegen der Osterfeiertage haben wir für die zweite Nacht allerdings ein kleines Verpflegungsproblem. Wir müssen daher nochmals in die Stadt runterfahren und etwas Essen und Gas für den Kocher holen. Leider haben wir die Rechnung ohne die Öffnungszeiten des örtlichen Supermarkts gemacht und stehen vor verschlossenen Türen. Also müssen wir die letzten Essens- und Gasreste zusammenkratzen und mit unbefriedigtem Magen wieder die drei Stunden Aufstieg in Angriff nehmen. Immerhin konnten wir durch diese kleine Toureneinlage noch einmal den aktuellen Wetterbericht checken: Frühmorgens noch schön und anschließend bewölkt. Die Lagebesprechung ist schnell erledigt. Drei Uhr aufstehen, halb vier im Sonnenaufgang losgehen, sieben Uhr Gipfel, acht Uhr Abfahrt, acht Uhr zehn zurück am Biwak.

Gerade erst eingeschlummert, wache ich von einem lauten Geraschel auf: Fabi klettert noch halb in seinem Schlafsack eingemummelt über mich Richtung Höhlenausgang. Er kommt zurück, rüttelt an mir, zieht meinen Reißverschluss am Schlafsack auf und motiviert mich mit seinem jugendlichen Elan: „Aufstehen, es ist halb vier. Gleich ist Sonnenaufgang, wir machen jetzt den Hang.“

Fabi und ich haben den Plan aber ohne die beiden Langschläfer gemacht. Während wir uns mit den Steigfellen über eine hartgefrorene Eisschicht quälen und nur schleppend vorankommen, sehen wir weit hinter uns einen einzelnen Kämpfer. Pati hat es doch noch aus der Schneehöhle geschafft und schlurft im Morgenrot einsam gen Gipfel. Nur Gex können wir nicht erblicken. Obwohl er mit Pati in einem Zweimann-Biwaksack geschlafen hat, war sein Drang nach Schönheitsschlaf wohl stärker als der Sog des Gipfelglücks.

Etwas Kletterei am Grat und wir erreichen nach gut drei Stunden unseren Einstiegspunkt. Fabi springt herum wie ein junges Reh und kann es kaum erwarten endlich loszufahren. Ich hadere mit der Gehfunktion meiner Freerideschuhe; fünf Schritte vor dem Einstiegspunkt in den Hang ist mir ein Gehmechanismus gebrochen. Der 50 Grad Hang wird mit wackelndem Skischuhschaft dadurch sicher nicht leichter zu befahren. Bevor ich mit Sicherheits-Kurzschwüngen in original Arlberg-Technik den Hang hinunterschleiche, sticht Fabi mit einem schönen Drop in die beeindruckende Steilflanke.

 

Die ersten Schwünge gehen noch flüssig, es ist allerdings schon markant wärmer geworden. Der Schnee fängt zunehmend an, am Ski zu kleben und immer mehr Nasschnee-Sluff rauscht neben uns den Hang hinunter. Noch zwei, dreimal über die tiefer werdenden Schneerutschbahnen drüberhüpfen, noch einige Sicherheitsstopps wegen des Sluffs und wir erreichen die Hangboden. Yeah, das war wohl eine der besten Abfahrten der Saison. Ausgepumpt, müde, aber mit einem zufriedenen Lächeln schauen wir überglücklich zurück zum Hang. Eine knappe Stunde später fährt schließlich auch Pati den Hang ab. Es hat bei ihm etwas länger gedauert, da er sich am Gipfel noch ein Nickerchen in der Sonne gegönnt hat.

Wir packen unser Biwak zusammen und begeben uns auf die Heimreise. 1200 Autokilometer und 800 Flugkilometer später kommen wir in Innsbruck an. Das Thermometer zeigt über 20 Grad, Sonne satt. Der Guten-Morgen Kaffee brüht und das wohlige Kaffeearoma zieht sich von der Küche in meine Nase. Der Wetterbericht spricht weiterhin von einem stabilen Hochdruckwetter mit Sommerfeeling über dem Alpenraum.

Informationen

Literatur

Toppturer i Troms, Espen Nordahl, Friflyt (Hrsg.), 82 Touren in Malangen, Kvalöya, Ringvassöya, Tromsö fastland, Balsfjord, Tamokdalen, Lyngsalpene, Käfjordalpene und Ulöya. ISBN: 978-8293090038, Preis: 399 NKR (ca. 50 Euro)

Karte

Lyngenhalvöya. Lyngen, Storjord,Tromsö & Balsfjord kommuner, Ugland IT (Hrsg.), Bestellnr 2625. Tourenkarte 1:50.000 mit Lyngen- Halbinseln Nord und Süd ohne eingezeichnete Touren. Erhältlich im Sportgeschäft in Lyngseidet und in der Magic Mountain Lodge. Preis: 159 NKR (ca. 20.- Euro)

Unterkunft

Magic Mountain Lodge in Lyngseidet

Gruppenhäuser in Koppangen

Fotogalerie

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