Zum Inhalt springen

Cookies 🍪

Diese Website verwendet Cookies, die Ihre Zustimmung brauchen.

Details finden Sie in unserer Datenschutzerklärung

Diese Seite ist auch verfügbar auf English.

Zur Powderguide-Startseite Zur Powderguide-Startseite
Abenteuer & Reisen

Piz Bernina

Ein Sommer-AusFLUG in den Schnee

05.11.2025
Teja Stüwe Fritz Crone
Der Biancograt zählt zu den bekanntesten und ästhetischsten Routen der Alpen. Er führt auf den 4.048 Meter hohen Piz Bernina, den einzigen Viertausender der Ostalpen.

Zustieg durchs Val Roseg zur Tschierva Hütte

Um Punkt zwei Uhr in der Nacht reißt uns, Fritz und Teja, der Wecker aus dem Schlaf – der Beginn eines langen Tages. Noch etwas verschlafen schultern wir in Pontresina die schweren Rucksäcke und machen uns im stockdunklen auf den Weg. Unser Plan ist es, über den Biancograt den Piz Bernina zu besteigen. Neben einem Kletterseil, Kletter- und Gletscherausrüstung haben wir auch unsere Paragleiter im Gepäck, damit der mühsame Abstieg wie im Flug vergeht. Die Wettervorhersage kündigt einen heißen, windschwachen Sommertag an – eigentlich perfekte Bedingungen für unser Abenteuer. Doch der überregionale Wind soll leicht aus der falschen Richtung wehen, welche wir für den Start vom Gletscher bräuchten. Außerdem nehmen die Talwinde am Nachmittag deutlich zu. Wenn wir also zu lange brauchen, könnte der Abflug schnell zur Zitterpartie werden.

Der Weg führt hinein ins idyllische Val Roseg, im Schein der Stirnlampen huschen die Schatten der Bäume vorbei. Nach rund 12 Kilometern und 800 Höhenmetern erreichen wir die Tschierva Hütte – Wasser auffüllen, schnell einen Riegel reinschieben, und weiter geht’s. Die Hüttengäste, die den Biancograt heute im Visier haben, sind zu diesem Zeitpunkt bereits über alle Berge, nur in großer Entfernung können wir die Stirnlampen einzelner Gruppen ausmachen. 

Hinter der Hütte folgen wir dem Weg unter den Südwestflanken des Piz Morteratsch bis zur Fuorcla Prievlusa – dem markanten Zugang zum Biancograt auf 3430 Metern. Langsam kündigt sich der Morgen an, die Konturen der Berggipfel werden zunehmend schärfer, als die Sonne hinter dem Horizont aufgeht. Schon dieser Abschnitt erfordert volle Aufmerksamkeit: Der Pfad verläuft teilweise steil abfallend über den Gletscher und beinhaltet mehrere versicherte Passagen. Eisenketten und Stifte entschärfen die technischen Schwierigkeiten beim Überwinden der Felsstufen. Doch ganz von selbst klettern sie sich nicht.

Kurz vor der Scharte liegt noch ein kleines Firnfeld, das wir queren müssen. Die Spur ist so gut ausgetreten, dass wir die Steigeisen im Rucksack lassen können – eine kleine Erleichterung, die man um diese Uhrzeit dankbar annimmt. Endlich haben wir den Einstieg in den Biancograt erreicht, und der eigentliche Teil der Tour beginnt.

Biancograt – Ab in den Schnee

Bevor es auf den spektakulären Firngrat geht, steht noch eine Kletterpassage an. Die Kletterstellen im dritten Grad fühlen sich mit den schweren Rucksäcken an, als würde nicht nur die Luft dünner werden, sondern auch noch die Erdanziehungskraft zunehmen.

Jetzt geht es aber wirklich ab in den Schnee. Den letzten Felskopf umgehen wir links, dann liegt eine steile Firnflanke vor uns. Die Sonne heizt die Ostseite des Grates in der frühen Morgenstunde kräftig auf. Vor uns eröffnet sich nun der Blick auf den langen, markanten Verlauf des Biancograts, auch bekannt als die „Himmelsleiter” zum Gipfel des Piz Bernina. Wir haben Glück mit den Bedingungen: Vor wenigen Tagen sind oberhalb von 3.400 Metern etwa 20 Zentimeter Schnee gefallen, der jetzt das Blankeis am Firngrat größtenteils mit Stapfschnee bedeckt. Ob wir allerdings auch bei den Flugbedingungen so viel Glück haben werden, steht noch in den Sternen. Noch sieht alles gut aus, doch wir stehen im großflächigen Lee des überregionalen Windes. Und in den Bergen können sich Wind und Wetter bekanntlich schneller drehen, als einem lieb ist.

Flache Abschnitte wechseln sich mit steileren Passagen ab. Selbst die leichten Stellen sind sehr ausgesetzt und fordern volle Aufmerksamkeit. Die steilsten Stellen im Firn erreichen 45°, doch in dieser Höhe kommen wir ohnehin nur noch gemächlich voran, sodass wir uns gut auf den Weg konzentrieren können. Am Ende des Firngrats öffnet sich das kleine Plateau Piz Alv (3.994 m), und nur kurze Zeit später erreicht man den Piz Bianco, den Vorgipfel unseres eigentlichen Ziels.

Summit Push im Schneckentempo

Der Übergang vom Piz Bianco zum Piz Bernina sieht nicht mehr weit aus, doch das trügt. Tatsächlich warten noch Kletterstellen bis zum dritten Grad, ausgesetzte Querungen, zweimaliges Abseilen, der berühmte Biancosprung und ein steiler Anstieg im Mixed-Gelände zum Gipfel auf uns.

Nach einem schnellen Frühstück geht es zur ersten Abseilstelle. Dann wurschteln wir uns irgendwie über den Biancosprung hinunter, ohne zu wissen, dass man ihn eigentlich springen kann – oder vielleicht sogar sollte –, und klettern weiter zum nächsten Felstürmchen. Von hier wirkt der letzte Aufschwung schwindelerregend steil und ausgesetzt. Beim Klettern entpuppt er sich jedoch als spaßiges Mixedgelände. Die letzten Meter sind geschafft und wir stehen auf dem einzigen Viertausender der Ostalpen, der bei uns beiden schon lange auf der Liste stand.

Wir stehen gemeinsam auf dem Gipfel – zufrieden, erschöpft, glücklich und doch noch ein wenig angespannt, ob unser Plan aufgehen wird.

Ab hier übernehme ich, Fritz, und erzähle, wie ich den Weg hinunter erlebt habe – vom winterlichen Gipfel bis ins sommerliche Tal.

Abheben statt Absteigen – Fritz’ Erlebnis vom Gipfel ins Tal

Teja und ich teilen uns den Gipfel mit vier Italienern, von denen einer am liebsten mit uns am Klettergurt angebunden runterfliegen würde. Nach einer kurzen Pause folgen wir dem Normalweg bis zu einer Abseilstelle. Teja lasse ich am Seil auf den darunterliegenden Gletscher ab. Vom oberen Stand aus reicht das Seil zum Ablassen nicht bis zum Gletscher. Mit einem Zwischenstand und etwas Seildehnung schaffe ich es jedoch knapp über den Bergschrund. Am Startplatz, der auf etwa 3 950 Metern über einem abfallenden Gletscher liegt, ist es absolut windstill. Außerdem stecken wir bis über die Knöchel in nassem Schnee. Das ist nicht gerade ideal, aber immerhin kommt der Wind nicht, wie vorhergesagt, von hinten. Mit etwas Mühe stapfen wir eine Startbahn in den perfekt geneigten Gletscher. In dieser Höhe ist die Luft bereits deutlich dünner. Das merkt man nicht nur am verstärkten Schnaufen, sondern auch am geringeren Luftdruck, der beim Start mit dem Paragleiter spürbar wird. Die Abhebegeschwindigkeit ist höher und bei fehlendem Aufwind muss der Startsprint besonders schnell sein.

Teja startet als Erste, ich filme ihren Sprint über den abfallenden Gletscher und staune, wie entspannt der Start aussieht.
Mein erster Startversuch scheitert bereits nach wenigen Schritten: Mein etwas sperriges Liegegurtzeug bringt mich beim Einsinken im Schnee so aus dem Gleichgewicht, dass ich quasi kopfvoran im Schnee steckenbleibe. Ach, wie ich mich schon auf den kommenden Winter freue! Der Schirm muss neu ausgelegt und die Leinen zur Sicherheit erneut kontrolliert werden. Außerdem trete ich unsere Startbahn noch einmal großzügig aus, während die Sonne mich fleißig weiter grillt. Nun klappt es endlich auch bei mir: Hoch über dem Vadret-da-Morteratsch-Gletscher gleite ich, wie Teja vor mir, das Tal hinunter. Die Luft ist unerwartet ruhig und ich genieße die ersten Minuten, bis ich schon bald frierend bereue, die Daunenjacke nach der hitzigen Startvorbereitung nicht angezogen zu haben.

Da wir uns nicht sicher waren, wie weit wir das Tal hinausgleiten können, haben wir uns keinen bestimmten Landeplatz ausgemacht. Weit über dem Talboden halte ich Ausschau nach Tejas Schirm und werde auf einer weiten Ebene mit einzelnen Bäumen fündig, die am Ende des Val Morteratsch im Val Bernina liegt. Kurz vor der Landung wird es nochmal spannend, der Talwind ist spürbar stärker geworden und hinter den Baumwipfeln sorgt er für leichte Turbulenzen.

Die Landung fühlt sich wie eine Befreiung an: Statt eines endlosen Abstiegs haben wir 20 Minuten lang die Vogelperspektive genossen – ein Blick, der uns die Route noch einmal aus einer ganz neuen Dimension zeigt. Beim Zusammenpacken lassen wir uns Zeit, legen die durchnässten Sachen in die Sonne und springen in den eiskalten Gletscherbach, bevor uns ein netter Herr zurück zum Parkplatz in Pontresina fährt. 

Am Ende des Tages stehen rund 2.300 Höhenmeter, 20 Kilometer und 13 Stunden auf der Uhr – von denen wir 20 Minuten das Tal rausgeflogen sind: eben noch mit dem Gesicht im Schnee gesteckt, jetzt zurück im Hochsommer.

Fazit: ein hammermäßiger Anstieg, eine traumhafte Tour und ein leicht gemachter Abstieg. Wir hatten Glück mit den Verhältnissen. Ohne den Flug wäre die Tour für uns an einem Tag zur Qual geworden.

Fotogalerie

Ähnliche Artikel

Kommentare