Passanten und Reisende am Frankfurter Flughafen starren mich verwirrt an. "Was macht ein Mädchen so voll beladen, mitten im November mit einem Surfbrett?" fragt ein älterer Herr. Es fällt mir schwer ihm zu erklären, dass sich in dem großen Sack kein Surfbrett, sondern eine Skiausrüstung, Schlafsack, Isomatte und Zelt verbirgen und ich mich auf dem Weg nach Chile befinde, um dort den höchsten Sandberg der Welt auf Skiern zu befahren... Kurz darauf treffe ich den befreundeten Fotografen Stefan Neuhauser, mit dem ich schon einige gemeinsam Skireisen unternommen habe. So saßen wir vor einiger Zeit zusammen in Norwegen beim Frühstück, als der Allgäuer Bergführer Peter Schmid von Chile erzählte. Er organisiert unter anderem Fernreisen und hatte dabei den Cerro Solo (6205 m) entdeckt, der als höchster Sandberg der Welt gilt. Kaum hatte er dies erwähnt, entstand unsere Idee, diesen Berg mit Ski zu befahren.
Ich bin furchtbar aufgeregt, als wir uns im Anflug auf Santiago de Chile befinden: Aus dem Flugzeugfenster können wir den mächtigen Berg Aconcagua erkennen, der noch ordentlich mit Schnee bedeckt ist. Wir haben noch keine Vorstellung, was auf uns zukommt und wie die ersten Schwünge im Sand werden, zumal wir uns ja eigentlich auf den nahenden Winter in der Heimat freuen, aber nein wir landen gerade in Chile, um im Sand Ski zu fahren.
Zwei Tage verbringen wir in Chiles Hauptstadt, bevor wir nach San Pedro de Atacama weiterreisten, um dort auf Peter und seine Reisegruppe zu treffen. Um Tagestouren zur Höhenakklimatisation durchzuführen, errichten wir für einige Tage ein Basislager, das als vorläufiges Zuhause diente: Die Ruinen von Lehmhäusern schützen uns vor der Sonne und ein riesiges Zelt in der Mitte des Plateaus wird als Küche und Speisezimmer genutzt und die rundherum aufgeschlagenen Zelte ergänzen unser Zuhause. Jeden Tag geht’s höher hinauf bis alle Gruppenmitglieder die 5000 Meter geknackt haben.
Dann steht der mehr als 5500 m hohe Vulkan Lascar auf dem Programm, von dessen Gipfel wir in den tiefen Krater blicken können: Der Tiefblick ist beeindruckend, denn soweit man in den etwa einen Kilometer breiten Schlund sehen kann, hat man immer noch nicht den Eindruck, dass er irgendwo endet. Immer wieder steigt Rauch auf und eine Brise von Schwefelgeruch sticht in meiner Nase. Der Ausblick vom Krater sieht aus wie in einem Animationsfilm: Eine braune Wüstenlandschaft aus der kegelförmige Vulkane ragen und vereinzelte hellblaue Salzwasserlagunen schimmern…
Bei der Besteigung des Aconcilcha, unseres ersten 6000ers, und dem Hauptziel der Reisegruppe erwischt mich die Höhenkrankheit. Ich frage mich, was ich zum Teufel hier bloß tue. Stundenlang durch den Schotter, langsam Schritt für Schritt auf einen Berg zu steigen und mich mit Kopfschmerzen und Übelkeit bis zum Erbrechen herum zu plagen, obwohl ich zu Hause schon längst die Skisaison hätte eröffnen können und mich bequem vom Lift den Berg hinauf ziehen lassen könnte. Aber nein, ich musste ja nach Chile um mich in dieser Menschen verlassenen Gegend ohne Schnee für einen Berg zu akklimatisieren, – um auf Sand Ski zu fahren.
Ein bisschen wehmütig, aber voller gespannter Vorfreude aufs Sandskifahren, nehmen wir Abschied von der Reisegruppe, mit deren Teilnehmern wir uns angefreundet haben und machen uns auf den Weg in Richtung Süden. Neben Peter dem Bergführer haben sich noch ein begeisterter Höhenbergsteiger, der ebenfalls Peter heißt und zwei junge Frauen, Verena und Brigitte entschlossen mitzukommen. Auf der Panamerikana, stellen wir seit langen mal wieder fest, wie angenehm die Fahrt auf einer Teerstraße sein kann, da wir bisher fast nur auf Schotterpisten und im Gelände unterwegs waren. Schließlich erblickten wir endlich bei Antofagasta den Pazifik. Wir sehen diesen bezaubernden Küstenabschnitt, mit seinen von Wasser und Wind verursachten bizarren Formen. Die steilen, ausgewaschenen Flanken direkt zum Meer hinunter sind faszinierend und laden so richtig zum Skifahren ein. Im Abendlicht fahre ich in Rinnen zwischen Sandtürmen unterschiedlichster Gestalt auf dem feuchten Sand – der sich wesentlich besser fahren lässt, als der staubtrockene Sand mitten in der Wüste – und genieße bei der Abfahrt den Blick auf den Pazifik. Grillen mit frischem Fisch beim Sonnenuntergang rundet den Tag ab. Auch die Nacht im Zelt direkt am Strand ist bereits ein Erlebnis und am nächsten Tag fahren wir ausgeruht weiter, um nach einem Großeinkauf für die letzte Etappe unserer Reise in großer Höhe ausgestattet zu sein.
Ein weitere Tag im Geländewagen bringt uns an die Laguna Verde, eine Salzwasserlagune in 4000 Meter Höhe, an der wir unser Basecamp für den langersehnten Cerro Solo aufschlagen. Das Aufstellen der Zelte erweist sich wegen des starken Windes als große Herausforderung, trotz der schon vorhandenen halbkreisförmigen Steinmauern, die ein wenig Windschutz bieten. Dafür gibt’s nach dem Campaufbau zur Belohnung ein langes Bad in den Heißwasserquellen, die sich direkt neben der kristallblauen, eiskalten Lagune befinden. Rund um die Lagune schmückt weißes Vulkangestein die Landschaft.
Mit einer weiteren Tagestour bereiten wir uns auf den Cerro Solo vor. Leider muss Stefan jedoch mit der höhenkranken Verena zurück in die Provinzhauptstadt Copiapo fahren, während wir unsere Rucksäcke für den Aufstieg auf den höchsten Sandberg der Welt packen. Um drei Uhr Morgens reißt uns der Wecker aus dem Schlaf. Das Müsli schmeckt überhaupt nicht, aber in Gedanken daran, dass uns ein sehr langer mühsamer Aufstieg bevorsteht, würge ich es hinunter. Unter klarem Sternenhimmel geht’s im Geländewagen eine Schotterpiste entlang, bis unser Fahrer auf einmal ins Gelände abbiegt. Immer wieder müssen wir anhalten und umdrehen, um die flachste Route in Richtung des Berges zu finden, der in der aufgehenden Sonne schemenhaft zu erkennen ist.
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