Hunderte Menschen tummeln sich auf den Straßen, verkaufen selbstgebrannte DVDs, Second-Hand Kleidung, frische Früchte und Gemüse. Frauen in dicken Samtröcken, das hüftlange schwarze Haar zu zwei Zöpfen geflochten, schlendern zwischen stinkenden Bussen, hupenden Taxis und krachenden Motorrädern. Mit je einem großen und einem kleinen Rucksack und zusätzlich zwei Skibags beladen, bahnen wir uns einen Weg durch die Menge. Wir werden ständig angerempelt und glauben kaum daran, dass wir mit unseren 65kg Gepäck jemals zu dem Taxistand vor dem Busbahnhof durch dringen können! Endlich haben wir es geschafft. "Hola chicititas, que es?" Der Taxifahrer schaut uns etwas ungläubig an, während er die Skibags auf seinem Dach festbindet. Ski in der Riesenstadt La Paz scheint eine Seltenheit zu sein – doch unsere Mission geht auf: in den nächsten 2 Wochen wollen wir zwei Gipfel besteigen und mit zwei "female first descents" in die Geschichte eingehen.
Da La Paz auf 3600m liegt, bemerkt man die dünnere Luft schon beim schlendern durch die schönen Gassen. Hungrig stürzen wir uns auf die ganzen Köstlichkeiten, die auf den Straßen feil geboten werden. Essenstände mit Würsten, Tranqapecho (eine Art bolivianischer Hamburger) und Empanadas (gefüllte Teigtaschen) gibt es im Übermaß, auch Getränkewägen mit heißem Quinoatee, frischen Fruchtsäften und Maisbrühe stehen zur Verfügung. Wir kosten alles.
Während sich unser erster Tag in Bolivien dem Ende neigt, bemerken wir, dass der Illimani friedlich über die Stadt wacht. In Aymara heißt das Wahrzeichen von la Paz „Illemana“, welches „wo die Sonne geboren wurde“ bedeutet. Eine alte Legende erzählt, dass der Berg Mururata versucht haben soll den Illimani in seiner Größe zu übertrumpfen. Worauf der Illimani erzürnt diesem das schneebedeckte Haupt abschlug. Nach dieser Sage war uns beiden klar: diese zwei zerstrittenen Berge sollen es sein auf unserem Skitouren Abenteuer in Bolivien.
Mururata 5800m
Nach gelungener Akklimatisierung fahren wir mit dem 4-Wheel-Drive zum Fuße des Mururatas. Der Weg dorthin ähnelt einer Ralleytodesstrecke. Bäche und Flüsse kreuzen den schmalen Weg, Hangneigungen bis gefühlte 50 Grad häufen sich je länger desto mehr. Das Wort Straße wäre völlig übertrieben – viel mehr holpern wir im XXL Powergang durch die Steinwüste im Hochgebirge. Die Gasflasche zusammen mit den Ski auf das Dach gebunden, fragen wir uns ob wir jemals wieder lebend aus dem vierrädrigen Monster aussteigen werden. Nach unzähligen Todesängsten und zunehmender grüner Farbe im Gesicht werden wir im Highcamp auf 4600m erlöst. Am Fuße eines Berges, vor einer Steilwand sitzend, blicken wir auf die Millionenstadt La Paz – friedvoll und losgelöst genießen wir die rot leuchtende Berglandschaft – ein Zauber in sanfter Stille mit ungeheurer Kraft umhüllt die rauen, steinigen Gipfel.
Nach einer kurzen Nacht und wenig Schlaf machen wir uns um zwei Uhr morgens mit den Ski auf dem Rücken auf den steinigen Weg. Steil geht es den Hang hinauf vorbei an riesigen Felsbrocken stämmen wir unser Gewicht auf die Stöcke. Die langen Ski unter den Rucksäcken und die Skischuhe im Gepäck erschweren uns das Klettern und lassen unseren Puls höher schlagen. Endlich erreichen wir die Gletscherzunge auf 5000m - betäubt von der Höhenluft können wir endlich die Ski anziehen. Die Vorfreude auf die Abfahrt steigt als wir die endlose Weite dieses Gletschers bei Dämmerung erblicken. Er erscheint geradezu prädestiniert zum Skifahren. Lange, breite Hänge in leicht kupiertem Gelände erzeugen ein feines Kribbeln im Bauch. Doch der Weg ist zäh, das Laufen stumpf, der Atem kurz. Wir ziehen unsere Ski weiter über den Schnee, vorbei an Gletscherspalten, steilen Hängen und langen Traversen - hoch bis zum Gipfel. Mururata auf 5800m. Rund herum durchbohren weiße Bergspitzen die Wolkendecke, darunter der Illimani und der Huayna Potosi. Hier oben scheint die Welt in voller Schönheit, unberührt von menschlichen Eingriffen in königlicher Macht und pochender Energie. Diese Energie spüren wir auch bei unserer Abfahrt. Die weibliche Erstbefahrung der weißen Hänge des Mururata lassen unsere Herzen höher schlagen.
Illimani, 6435 Meter
Nach wackeliger Jeepfahrt durch feuerrote Canyons, grüne Weiden mit grasenden Lamas und steinigen Bergstraßen, landen wir in einem Bergdorf namens Pinaya. Die indigenen Dorfbewohner auf 4200m Höhe nehmen uns ein wenig distanziert, jedoch freundlich in Empfang.
Während die Pferde mit Essensvorräten, Zelten, Gasflaschen und Sicherungsgeräten beladen werden, bewundern die älteren Dorfbewohner unsere Bretter. Vorsichtig nehmen sie die 1,70m langen Ski in die Hände und befestigen sie umständlich auf den Rücken der Lasttiere.
An der Spitze unseres kleinen Teams läuft eine Frau mit einer bunten Decke zu einem Rucksack gebunden. Unter dem dicken, knielangen Rock schauen stramme Waden mit handgefertigten Sandalen hervor. Unsere moderne Ausrüstung, angefangen bei den steigeisenfesten Wanderschuhen bis hin zur Softshell-Wanderhose scheint uns bei diesem Anblick ein wenig fehl am Platz. Im zügigen Tempo schreitet die Einheimische voran. Die Zunge schnalzend treibt sie ihre Pferde den schmalen Weg empor.
Basecamp – Highcamp – Gipfel?
Nach einer ersten Nacht im Basecamp – eine saftig grüne Hochebene mit kleinen rauschenden Bächen - verändert sich die sanfte Umgebung zu einer rauen Steinlandschaft. Granatrote schimmernde Bergflanken verzaubern uns in eine Welt über den Wolken. Eine neue Dimension eröffnet sich. “Chicas, we are out of the MATRIX!”, lauten die Worte unseres Bergführers Osvaldo. Und auf einmal liegt er vor uns – der Gipfel des Illimani. Weiße Flanken erstrecken sich kilometerweit, haushohe Abrisskanten und metergrosse Risse lassen uns die herrschenden Kräfte spüren. Von unserem Highcamp auf 5500m stehen uns acht bis zehn Stunden Marsch bevor. Unser Atem erinnert uns unweigerlich an die dünne Luft. Um ein Uhr morgens läutet der Wecker, die Sterne scheinen unsere Zelte zu berühren, selten waren wir dem Himmel so nah. Mit Blick auf die funkelnde Stadt La Paz, nur wenige Meter von der Gletscherzunge entfernt, packen wir unsere Vorräte zusammen, binden die Ski auf die Rucksäcke und zwingen uns ein paar Krümel runter zu schlucken.
Es kann losgehen – mit Steigeisen an den Füssen in der Seilschaft gesichert ziehen wir als Zweiergespann den Gletscher hinauf. Der Weg ist zu steil, der Schnee zu hart um mit Fellen Halt zu gewinnen. Dennoch lassen wir uns nicht davon abbringen die Ski soweit wie möglich mit nach oben zu tragen. Der Schein der Stirnlampen lässt uns die massive Eislandschaft nur erahnen. Minuten des Wartens für das Legen der Sicherungen erscheinen uns wie Ewigkeiten. Scheinbar unaufhörlich kriechen wir Seillänge für Seillänge an der Wand empor, ohne Sonne, die Kälte dringt durch alle Ritzen.
Der Blick nach hinten zeigt ein bläuliches Gesicht mit schmalen Lippen und aufgequollenen Augen. Wir scheinen einer Meditation zu verfallen. Der Körper in der stumpfen Ausführung, das Vorwärtsgehen nur ein Mechanismus, der einst vor acht Stunden programmiert wurde. Die letzten Meter kriechen wir auf dem schmalen Grad entlang. Ein gewagter Blick nach vorne zeigt uns einen kleinen erhöhten Stand, gerade mal groß genug um vier Füße zu platzieren. Auf einmal dringt ein Schrei durch die Luft, doch eine Erlösung ist der Stimme zu entnehmen, kein Traum, keine Halluzination, nein, es ist der Gipfel! Noch etwas benommen werden wir uns der Dimensionen bewusst – 6435 Meter über dem Meer, der Blick geht so weit, dass wir glauben die Erdwölbung sehen zu können.
Gipfelglück
Unsere Körper zittern vor Aufregung und Erschöpfung, Tränen steigen uns in die Augen, ein unheimliches Gefühl der Erleichterung überkommt uns bei der festen Umarmung unseres Bergführers. Das Gipfelfieber hat uns gepackt! Doch plötzlich ziehen graue Nebelschwaden in zügigem Tempo empor, starke Windböen tragen unsere Worte fern und fordern einen sofortigen Abstieg. Einige Meter unterhalb finden wir ein geschütztes Plätzchen um uns auszuruhen, in der Sonne neue Kraft für den Rückweg zu sammeln und ein paar Fotos zu machen.
Die Ski abfahrtsbereit ziehen wir unsere Schwünge vorbei an Gletscherspalten und Eisformationen. Die Träger erwarten uns bereits im Highcamp und stehen mit weit geöffneten Mündern laut jubelnd am Rande der Gletscherzunge. Muchas Gracias!
Reisetipps
Mururata
In Bolivien sind Ski keine allgegenwärtigen Sportgeräte, daher gestaltet sich der Transport angefangen beim Taxi etwas aufwändig. Geduld ist oberste Priorität, gefolgt von zusätzlichen Schmiergeldern bei längeren Busfahrten. Dem Taxifahrer einmal zeigen, dass diese Latten auch wirklich in ein vierrädriges Fahrzeug passen (am besten auf dem Beifahrersitz) oder auf dem Dach gleich selber festzurren und nichts wie einsteigen und hoffen. Der Mururata ist nur mit einem gesunden 4wheeldrive und schwindelfreiem Dasein zu erreichen. Die Anfahrt zum Basecamp von la Paz aus beträgt etwa 3 Stunden. Wir empfehlen einen Guide zu nehmen, da es weder Straßenschilder noch sonstige Hinweise für die Schotterpiste gibt. Vom Basecamp (4600m) geht es in 6-7 Stunden gemütlich zum Gipfel. Aber Vorsicht: Kräfte sparen, denn der Schein trügt. Der Weg ziiiiiiiiieht sich endlos – dafür wird man mit einer wundervollen Aussicht auf den Illimani belohnt. Vorteil: die Abfahrt ist technisch nicht sehr anspruchsvoll, dafür voller Genuss.
Illimani
Auch hier empfehlen wir die Tour mit einem Guide zu buchen. Einerseits wegen der Höhenluft (6435m) und außerdem erspart man sich eine Menge Aufwand (Organisation der Träger, Lasttiere, Verpflegung). Die Anfahrt von La Paz ist nicht ganz so kriminell wie die zum Mururata, dennoch benötigt man für die 3 Stunden einen 4-Wheel-Drive. Von dem kleinen Dörfchen Pinaya (4200m) läuft man mit Lasttieren und Trägern bis zum Basecamp auf 4600m. Von dort aus geht es ohne die Lasttiere weitere 1000 Höhenmeter zum Highcamp. Am dritten Tag dauert der Aufstieg 8-9 Stunden (je nach Schneeverhältnissen) zum Gipfel. Der Weg dorthin ist sehr steil und nur bedingt mit Fellen passierbar – besser mit Steigeisen! Das Skidepot ist auf ca. 6000m - die Abfahrt ist bis auf 5000m möglich (Vorsicht Gletscherspalten). Im Basecamp verbringt man eine letzte Nacht zur Erholung, bevor es zurück in die Millionenstadt geht. Insgesamt dauert die Tour 4 Tage und ist bei fast jedem Anbieter im Touristenviertel in La Paz buchbar