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Abenteuer & Reisen

Snowboarden am Polarkreis | Teil 2

Perfekter Schnee, perfektes Freeride-Gelände

von Jan Sallawitz 29.11.2009
Das Blau des Bahnhofs ist die einzige freundliche Farbe unseres Zielortes. Apatity wurde wegen dem Vorkommen von "Apatit" gegründet, ein seltenes Mineral, das für Düngemittel gebraucht wird. Und so sieht es hier auch aus...

Das Blau des Bahnhofs ist die einzige freundliche Farbe unseres Zielortes. Apatity wurde wegen dem Vorkommen von "Apatit" gegründet, ein seltenes Mineral, das für Düngemittel gebraucht wird. Und so sieht es hier auch aus...

...Die Stadt ist grau und trostlos. Plattenbau zwischen verwahrlosten, rauchenden Schloten. Die bunten Gruppen von Wintersportlern, die hier aus dem Zug purzeln, wirken wie Fremdkörper aus einer anderen, fröhlicheren Welt. Valodja und Dimitri, unsere Guides aus Kirovsk, erwarten uns bereits. Nach kurzer, freundlicher Begrüßung und einem skeptischen Blick auf unsere Ausrüstungsberge teilt uns Valodja mit: „Much snow in the mountains – serious avalanche danger now!“ Da sind wir gespannt, wie es vor Ort aussieht. Mit dem Kleinbus jagen wir im Eiltempo über verschneite Straßen nach Kirovsk. Der Ort empfängt uns mit unverputzten Plattenbauten und mit seinem ganz eigenen Charme. Das Flair ist von dem eines Wintersport-Orts weit entfernt. Snowboarden im Industriegebiet trifft es am Besten. Das unglaublich Schöne aber ist: Es ragen dick mit Schnee bedeckte Bergflanken rings um den Ort herum in den Himmel. Der Ort liegt nur auf 300 m Höhe und die höchsten Gipfel ragen fast 1200 m auf. Das bedeutet Abfahrtsmöglichkeiten von 900 m und mehr. Von leichten Genussabfahrten auf den breiten, sanften Rücken, über kupiertes Gelände mit kleinen Sprüngen und Wechten zum Spielen, bis zu wirklich schroffen Big-Mountain-Lines durch Rinnen und Steilflanken, scheint alles möglich zu sein.

Unser erster Snowboard-Tag begrüßt uns mit strahlendem Sonnenschein. Heute wollen wir an den Liften von Kirovsk fahren, um uns zu akklimatisieren und einen Eindruck vom Gelände und der Schneesituation zu bekommen. Es gibt hier drei kleine Skigebiete um den Ort herum, mit jeweils zwei bis drei altertümlichen Schlepp- und Sesselliften. Pistenpflege gibt es mangels Pistenraupen keine, sodass sich die Abfahrten den Gegebenheiten der Berge anpassen. Das sportliche Niveau der vielen Wintersportler ist erstaunlich hoch und selbst ohne gewalzte Pisten schwingen und carven sie zügig die Berge hinunter. Um da mitmachen zu können, brauchen wir Liftkarten. Dazu müssen wir uns niederknien - das machen hier alle so! Der Ticketschalter ist so niedrig ist, dass man in die Hocke gehen muss, um hineinschauen zu können, denn er besteht aus einem ausgemusterten, umgebauten Spielhallenautomat.

Auch die Liftfahrt ist abenteuerlich: Am alten Schlepplift entscheidet sich erst beim Einstieg, ob man einen T-Bügel erwischt und zu zweit liften kann, oder nur einen Teller, wie man sie von alten französischen und italienischen Liften kennt, oder ob der Bügel ganz fehlt. Der steile Weg nach oben ist ein Balanceakt, da es keine präparierte Liftspur gibt. Kurz vor dem Ausstieg muss man noch ein Feld aus kniehohen Windgangeln meistern.

Vom Berg aus wirkt der Kontrast von Industriestadt mit rauchenden Schloten unten im Kessel und schneeweißen Zuckerbäcker-Gipfeln ringsherum besonders skurril. Die verschiedenen Stadtteile sind durch die völlig glatte und strahlendweiße Fläche des zugefrorenen Vudjavr-See getrennt. Ein sehr tiefer See, wie uns Dimitri erklärt, dank der Industrie ringsherum leider seit zwanzig Jahren ohne jeglichen Fischbestand. Über der Stadt ist eine dünne Smogschicht zu erkennen. Doch der Schnee ist hervorragend. Zwar ist er an manchen Stellen etwas windverblasen, aber sehr pulvrig und so gut gesetzt, dass die Lawinengefahr gering erscheint. Wir steigen ein paar Minuten zu Fuß auf und werden mit einem eindrucksvollen Panorama bis tief in das Chibin-Gebirge hinein belohnt. Von einem flachen Gipfelplateau sieht jeder in Gedanken die Line seines Lebens. Wenn man da nur hinkommen könnte, denn Wege gibt es hier kaum, und durch den Schnee sind solche Distanzen zu Fuß nicht zu bewältigen. Dimitri grinst nur vielsagend: „Tomorrow…“ ist das Einzige, was aus ihm herauszubringen ist. Aber schon heute präsentiert er uns eine Abfahrt, für die sich die ganze Reise gelohnt hätte. Von einem schräg abfallenden Rücken geht es in einer Vielzahl von steilen Couloirs in die Taiga hinab. 700 m anspruchsvolles Freeride-Snowboarden mit Adrenalin-Garantie. Jeder bekommt seine eigene Rinne und lässt es richtig laufen.

In einem kleinen Birkenwäldchen kommen wir wieder zusammen und gehen zum Ort zurück. Ob es hier Bären gibt, wollen wir von unserem Guide wissen. „Sicherlich“, ist seine Antwort, „aber die schlafen jetzt noch. Man sollte nur nicht versehentlich in eine Schlafhöhle brechen. Das könnte unangenehm werden…“ Ab jetzt schauen wir ganz genau, wohin wir unsere Füße setzen.

Das Vergnügen geht erst richtig am folgenden Tag los: Ab heute haben wir Motorschlitten zur Verfügung. Da sie fast 100 km/h schnell werden können, sollte der Umgang mit ihnen geübt werden. Besonders, wenn man im Tiefschnee in den Bergen fahren will. Aber wir sind in Russland und hier hält man sich mit solchen Kleinigkeiten nicht lange auf. Die beste Übung ist das Fahren. Das scheint zumindest Valodjas Meinung zu sein, denn nach einer minimalen Einweisung in die Technik geht’s los. Immer zu zweit und mit den Snowboards hinter uns festgeschnallt, versuchen wir ihm zu folgen. Nach einigen Kilometern in der Ebene sind die Skidoo-Teams gut eingespielt und die Technik hinreichend verstanden, sodass es zügig zu den Bergen geht. Schon in der ersten Kurve bei einer kleinen Steigung vergraben sich einige Schlitten so gründlich, dass wir sie nur mit vereinten Kräften wieder flott bekommen. Das wiederholt sich mehrfach, obwohl wir noch gar nicht richtig in den Bergen sind. Nun wird es steil und Valodja empfiehlt, dass wir zunächst nur jeweils alleine eine Fahrspur in den frischen Schnee fahren sollten, um nach ein paar Auffahrten eine bessere Chance zu bekommen, es auch zu zweit zu schaffen.

Er legt eine Spur vor, in der wir einer nach dem anderen folgen sollen. Aber leichter gesagt, als getan. Es ist zum Lachen, wie der erste Schlitten von uns mit einem wild kämpfenden Fahrer darauf in weiten Bögen den Hang hinaufkurvt. Immerhin schaffen wir es so nach oben und werden mit einer grandiosen Landschaft belohnt. Wir befinden uns auf einem sehr weitläufigen, fast ebenen Bergrücken. Der blaue Himmel spannt sich über eine gewaltige weiße Fläche. Weit und breit ist niemand zu erblicken, nur Gebirgsketten bis zum Horizont.Die nächsten Tage verbringen wir mit Snowboarden, wie es besser nicht sein könnte. Die Sonne scheint den ganzen Tag, es gibt keinen Wind und die Temperaturen sind tagsüber gemäßigt. Dennoch ist es kalt genug, damit der feine Pulverschnee erhalten bleibt. Wir befahren riesige Hänge, kurven und hüpfen durch kupierte Flanken, finden schmale, steile Rinnen – und sind überall alleine beim Fahren. Wenn man unten ankommt, steht jemand von uns mit dem Skidoo bereit, um einen in rasendem Tempo zur nächsten Traumabfahrt zu shutteln. So haben wir abwechselnd Spaß auf dem Snowboard oder auf dem Motorschlitten.

Nachdem wir die Hänge um Kirovsk erkundet haben, wollen wir uns die Berge weiter im Norden anschauen. Wir haben von einer alten Geostation gehört, die etwa 20 km von Kirovsk in der Wildnis steht und in der man übernachten kann. Da es nur eine Schneepiste gibt, sind Skidoos das einzige Transportmittel dorthin. Damit geht es rasant über die Holperpiste, denn wir haben noch einige Kilometer vor uns und der Tag neigt sich dem Ende entgegen. Es wird empfindlich kalt, und nachts durch die Wildnis zu rasen, wollen wir nicht unbedingt riskieren. Auch so sind wir bis auf die Knochen durchgefroren und haben die ersten Zeichen von Frostbeulen, als wir bei der Geostation ankommen.

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