Die beiden Extremsportler und Speed-Begeher Die beiden Extremsportler und Speed-Begeher Benedikt Böhm und Sebastian Haag wollten in kürzester Zeit den pakistanischen Gipfel Broad Peak hinauf und mit Skiern hinunter. Doch miserables Wetter machte aus der Tour ein Rennen gegen die Zeit...
Sebastian Haag (30) und Benedikt Böhm (31) haben eine eigene Herangehensweise an höchste Berge; sie nennen es "Speed-Begehung". Für gewöhnlich kämpfen sich Extrembergsteiger etappenweise auf Achttausender: mit Mordsgepäck (Zelt, Essen, Schlafsack?) von Lager 1 zu Lager 2 und immer weiter, um eines schönen Tages den Gipfel zu erreichen. Die beiden Münchner hingegen erstürmen höchste Berge vom Basislager aus - mit leichtem Rucksack und mit Ski, um bei der Abfahrt wiederum Zeit zu sparen. Am Mustagh Ata (7546 Meter) hat das 2004 prima geklappt, 2006 auch am Gasherbrum II (8034 Meter). 2007 am Manaslu (8163 Meter) konnte nur ein Lawinenhang sie knapp unterm Gipfel zur vorzeitigen Umkehr zwingen. Heuer wollten sie auf einen der wenigen Achttausender, die man mit Ski abfahren kann, auf den 8051 Meter hohen Broad Peak. Nach 18 Stunden wollten sie wieder am Basecamp sein – wollten. Denn aus dem Rennen gegen die Uhr wurde ein Wettlauf mit dem Tod.
Man möchte es nicht für möglich halten. Basti und Bene parlieren im Garten des Alpinen Museums in München mit Journalisten und Sponsoren. Die Sunnyboys, wie man sie kennt. Braungebrannt, Weißbier trinkend, einfach lässig. Haben sie nicht eben schwindelerregende Bilder ihrer jüngsten Expedition gezeigt? Fotos mit geschundenen Gesichtern, die von übermenschlichen Strapazen erzählten? Und haben sie nicht Details erwähnt, die das Zeug zum Bergdrama haben?
Rückblick: Wir sehen die Hochgeschwindigkeits-Bergsteiger, Spezln seit der Schulzeit, mit Strohhut (Basti) und Lederhosn (Benedikt) zum Basislager trecken. Eskortiert von einer Schar einheimischer Träger. Wir sehen sie im Basislager die Zelte aufschlagen. Wir verfolgen die Vorbereitung, das Vorfühlen. Wo liegt die optimale Route für den Speed-Aufstieg? Wie ist der Schnee an den rund 50 Grad steilen Hängen? Pulvrig? Verharscht? Wir sehen Basti und Bene, wie sie in der fast senkrechten Schneewand biwakieren, um sich an die Höhe zu gewöhnen. So weit, so gut.
Dann ziehen Sturm und Schneefall auf und wollen zehn Tage lang nicht nachlassen. Basti und Bene schlagen die Zeit mit Schafkopfen tot. Sie freunden sich mit der gleich alten italienischen Bergsteigerin Cristina Castagna an. Sie schreibt träumerische Gedichte an die Zeltwände – Poesie, die wie ein Memento mori zurück bleiben wird, doch dazu später mehr. Wenn die Solarzellen funktionieren, verfolgen Bene und Basti Hörspiele oder schauen DVDs.
Dann endlich kommt ein Lichtblick, via Satellitentelefon von den Wetterpropheten aus Innsbruck: Der 17. Juli soll der beste unter den Schlechtwettertagen werden. Am Vorabend, um 22.15 Uhr, brechen Basti und Bene auf. Im Gepäck – eigentlich nur 20 Powerbar-Gels, drei Liter heißes Wasser, warme Kleidung, Notfallmedizin.
3250 Höhenmeter bis zum Gipfel liegen vor ihnen. Sie kommen gut voran. Bis sich das Schicksal zu wenden beginnt. Die Trinkblase in Bastis Rucksack ist ausgelaufen. Basti, der begnadete Skifahrer, der schon als Zwergerl auf den Ski stand. Basti, der Besonnene. Auf 7000 Meter, bei Lager 3, fühlt er sich müde und kalt. Wenn der eine pausieren muss, geht der andere weiter. So haben sie es vorher vereinbart. Basti macht eine Stunde Pause, schmelzt Schnee zu Trinkwasser. Bene steigt weiter voran und holt rasch eine Gruppe Bergsteiger ein, die früh morgens auf Lager 3 gestartet war. Die Schlüsselstelle auf 7800 Meter. Von hier nach rechst einen Grat hinauf zum Vorgipfel und weiter zum Gipfel. So weit die Theorie.
In der Praxis müssen sich Bene und die Bergsteiger beim Spuren im hüfttiefen Schnee abwechseln, um halbwegs voran zu kommen. Fast vier Stunden brauchen sie für die nächsten 200 Höhenmeter! Als sie den Vorgipfel erreichen, ist es 14.30 Uhr – mehr als 16 Stunden nach dem Aufbruch der Speed-Bergsteiger. Um spätestens 15 Uhr kehren wir in jedem Fall um, das hatten Basti und Bene sich vorgenommen. Zwischen Bene und dem Hauptgipfel liegen nur 20 Höhenmeter, aber in Form eines weiteren ausgesetzten und überwächteten Grates. Obwohl er sich bärenstark fühlt, entschließt Bene umzukehren. Die anderen Bergsteiger tun es im gleich. Sie genießen ihr kleines Gipfelglück, umarmen einander. Seit anderthalb Jahren hat niemand mehr den Vorgipfel des Broad Peak erreicht. Da kommt völlig unerwartet auch Sebastian am Vorgipfel an. Er ist am Ende seiner Kräfte.
"Ich habe Basti noch nie in diesem Zustand gesehen", wird Bene beim Pressetreff in München erzählen. Basti: "Ich bin viel zu schnell hinterhergelaufen. Das war sicher ein Fehler." Bene: "Er hat sich dann Kortison gespritzt. Doch es hat überhaupt nicht angeschlagen."
Beim Abstieg auf dem ausgesetzten Grat – jeder Fehltritt kann tödlich enden – torkelt Basti bedenklich, sodass er von einem Schweizer Bergsteiger ans kurze Seil genommen werden muss. An eine Skiabfahrt ist nun ohnehin nicht mehr zu denken. Bene hat nur noch eine Sorge: den Bergfreund heil auf Lager 3 zu bringen, um dort die Nacht zu überstehen. So sehr sind sie auf ihr eigenes Überleben in der Todeszone fixiert, dass sie eine Blutspur im Schnee erst gar nicht wahrnehmen.
Erst Stunden später erfahren sie: Es ist Cristinas Blut. Sie ist beim Abstieg vom Vorgipfel hunderte Meter abgestürzt und gestorben. Völlig deprimiert richten sich Basti und Bene auf Lager 3 für die eisige Nacht ein. Zu dritt mit Cristinas Partner im Zelt des italienischen Paares. Basti schlüpft sogar in Cristinas Schlafsack. Der riecht noch nach ihr. Pietätlos? Nein. Sie hätte es sicher so gewollt.
Nach einer fast schlaflosen Nacht ohne Essen, ohne Trinken setzen Basti und Bene den Abstieg fort. Mit jedem Höhenmeter, den sie verlieren, bessert sich Bastis Zustand. Sie schnallen die Ski an und tasten sich Schwung für Schwung ins Tal. 39 Stunden nach ihrem Aufbruch erreichen sie das Basislager. Sie waren doppelt so lange unterwegs wie geplant. Doch wen kümmert das? Sie leben.
Und so spricht am Alpinen Museum niemand vom Scheitern. "Der Vorgipfel war für mich der Gipfel", interpretiert Bene die jüngste Expedition. Er glaubt nach wie vor an seine Herangehensweise: "Insgesamt hat es mich persönlich gestärkt, weil ich gemerkt habe, ich fühle mich da oben extrem gut und habe die Power, solche Speedbegehungen durchzuziehen. Diese Disziplin hat mich trotz des Erlebnisses überzeugt." Basti wirkt unschlüssiger: "Ich kann noch nicht abschätzen, wie dieses Erlebnis mein Leben verändern wird."
Vorerst aber werden sie beide mindestens ein Jahr Expeditionspause machen. Sie werden in ihren regulären Berufen arbeiten als Tierarzt (Basti) und Sportartikelmanager bei Dynafit (Bene). Und sie wollen die heimischen Berge genießen. Wie den Hirschberg, auf den sie zu Trainingszwecken wohl schon 500 Mal hochgerannt sind. "Doch rüber zum Hauptgipfel sind wir noch nie", erzählt Bene.
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Text: Ingo Wilhelm
Fotos: Sebastian Haag/Benedikt Böhm
Weitere Infos inklusive Videos von der Speed-Begehung findet ihr unter 4-seasons.tv/broad-peak