Einige Beschreibungen in diesem Beitrag sind sprachlich nur abstrakt darzustellen und eventuell schwierig aufzufassen ohne etwas Analoges dabei in der Hand zu halten. Ich versuche das Ganze auch fu?r Low Tech-Newbies halbwegs greifbar darzustellen, auch wenn einiges fu?r erfahrene Kollegen als Selbstverständlichkeit angesehen wird. Empfehlung: Gemu?tlicher Abend zu Hause, an dem man sich einige Punkte dieses Beitrags selbst am „lebenden Objekt" anschaut.
Wie eine Skibindung genau funktioniert, findet man zig-fach im Netz. Nur kurz die Basics: Ein Auslöseszenario ist immer (egal ob Pin-, Rahmen- oder Alpinteil) ein ZUSAMMENSPIEL zwischen Vorder- und Hinterbacken und meistens ein Zusammenspiel beider Auslösewege: lateral („seitlich") und vertikal („nach vorne"). Bei den meisten Alpinbindungen wird die Seitwärtsauslösung am Vorderbacken eingestellt, die Vertikalauslösung am Hinterbacken. Die Einstellung des Auslösewerts hängt nicht nur von Gewicht, Größe und Fahrverhalten (harmonisch oder aggressiv), sondern auch von Sohlenlänge (Hebel) und anderen Faktoren ab. Dazu kommt noch Anpressdruck und Höheneinstellung. Die Dinge sind bei näherer Betrachtung etwas komplexer, als man auf Anhieb meinen wu?rde – ähnlich wie Frauen (Anm. d. Red.: und Männer!!!) oder Prozesse in der Volkswirtschaft.
ISO Norm fĂĽr Tourenbindungen
Die Norm fu?r Tourenbindungen heißt ISO 13992. Sie ist dem Alpinstandard in vielen Fällen sehr ähnlich. Damit eine Tourenbindung der Norm entspricht, - darf der ident eingestellte Auslösewert bei verschiedenen Bindungen innerhalb 10% des definierten Wertes liegen. Das heißt, ein bspw. eingestellter Wert von 10 bewegt sich in Wirklichkeit irgendwo zwischen 9 und 11. - darf sich bei mehreren Szenarien (Ski geflext, Druck des Schuhs axial nach vorne, klebender Schnee, ...) die Auslösekraft meist bis max. 30% vom eingestellten Wert abheben. - muss ein gewisses Maß an Energieabsorption (Elastizität) aufweisen, weil es oft kurze Spitzen an Krafteinwirkung gibt, die aber noch keine Auslösung erfordern.
Die meisten Techbindungen scheitern an der TÜV Zertifizierung (die natu?rlich nach der ISO 13992 vorgeht) durch die sich stark verändernde Auslösekraft bei geflexten (durchgebogenen) Ski, weil sie keinen Anpressdruckausgleich besitzen und an der kaum vorhandenen Elastizität des Vorderbackens (es gibt nur „Auslösen" oder „Eingerastet" und kaum Spiel zwischen den beiden Fällen). Beim geflexten Ski dru?ckt es die hinteren Pins tiefer in die Inserts des Schuhs und die Kraft, die fu?r eine Auslösung benötigt wird, wird um ein Vielfaches höher. Die Norm behandelt auch mehrere Feldtests und die Funktionsweise der Bindungen nach einem Salzwasserbad aber NICHT die Auslösung im Aufstiegsmodus oder das Zusammenspiel aus mehreren, behindernden Faktoren.
Wie funktioniert die Auslösung?
Im Endeffekt zählt nur eines: Fuß und Ski sollten sich im Ernstfall rechtzeitig trennen. Mir persönlich ist egal, ob die Bindung eine TÜV-Plakette besitzt oder einer Norm entspricht, solang sie öffnet, bevor sich Bänder, Sehnen oder Knochen verabschieden. Hier gibt es eine Arbeit zum Thema. Die Antwort aus diesen Versuchen: Techbindungen lösen teilweise später, teilweise fru?her aus und im allerblödesten Fall kann vorher das Schienbein brechen. Auch eine Alpinbindung löst nicht immer rechtzeitig aus, meistens hat sie aber die Nase vorn. Bei einer Pinbindung sind beide Auslösewerte am Hinterbacken einzustellen (ausgenommen Diamir Vipec und Trab TR2). Die seitliche Auslösung wird durch die benötigte Kraft bestimmt, den Hinterbacken zu drehen und durch die Federkraft des Stegs am Vorderbacken, die Vertikalauslösung durch die nötige Kraft, die beiden Zapfen am Hinterbacken soweit auseinanderzudru?cken damit sie aus dem Insert nach unten raushu?pfen.
Auf einem Video kann man sich die Laterauslösung besser anschauen. Man beachte die Bewegung des Hebels am Vorderteil:
Detail Vorderbacken: Â
Detail Hinterbacken:
"Klassische" Bindungsmodelle
Nach dem klassischen System arbeiten: Plum Guide, Plum Yak, ATK Raider, ATK Free-Raider, ATK RT, alle „alten" TLT Modelle von Dynafit (heute „Speed Turn"), alle Comfort und Vertical Modelle, sowie die erste Radical („TLT Radical") und die Speed Radical, sowie entsprechende Modelle, die von Dynafit gebaut aber von anderen Marken angeboten werden (z.B. „engineered by Dynafit" Radical Bindungen unter dem Label von Fischer, Look, Movement - um die bekanntesten zu nennen). Die seit heuer erhältliche Dynafit Superlite 2.0 definiert ihre Vertikalauslösung zu Gewichtsoptimierung nicht mehr durch zwei separate Stifte am Hinterbacken, die in der Mitte durch Federkraft (im Gehäuse liegend) auseinandergedru?ckt und dadurch am vorderen Ende (wo der Schuh einrastet) gegeneinander gedru?cktwerden, sondern durch eine austauschbare, U-förmige Gabel, deren Stahlhärte (= nötige Kraft um beide Enden auseinanderzudru?cken) den vertikalen Auslösewert bestimmt.Es gibt verschiede neuere Pinbindungen, die durch Rotationsvorderbacken, Anpressdruckregelung am Hinterbacken und andere Methoden ein besseres Auslöseverhalten erreichen. Diese Bindungen (G3 Ion, Dynafit Radical 2.0, die Beast Palette, Diamir Vipec, Trab TR2), sowie spezielle Skitourenrennbindungen werden in weiteren Artikeln gesondert behandelt.