PG: Bei den Alpinen Weltcups habe ich schon den Eindruck, dass man da die absolute Weltspitze sieht. Ist der Anspruch an die Leistung bei den Freeridebewerben einfach viel niedriger? Wo sind die wesentlichen Unterschiede im System?
MM: Freeriden und Contest Fahren bergen in sich einen Widerspruch, der, glaube ich, auch allen bewusst ist. Mir kommt zum Beispiel vor, dass ich letzten Winter nicht viel Snowboarden war, weil ein Contest was anderes ist, als was ich normalerweise unter Freeriden verstehe. Das wäre eher ein paar Tage irgendwo zelten und jeden Tag drei Lines hiken.
In den Judging Regeln steht, dass jeder eine Chance haben soll, zu gewinnen, wenn er eine perfekte Line fährt, unabhängig von seinem Style – ob das jetzt freestylelastiger ist, oder bigmountain, oder was auch immer. Da kommt das Freeriden dann schon wieder rein, aber die Contests bleiben eine sehr spezifische Form des Sports.
PG: Es gäbe rein vom Judging her die Möglichkeit für sehr individuelle Runs, aber trotzdem machen doch oft viele das gleiche.
MM: Ja, das liegt nicht am Judging oder der Organisation, sondern an den Ridern. Da hat sich viel geändert, seit man sich die Lines alle online anschauen kann. Jetzt kann man von zuhause aus sehen, was die Leute in den letzten Jahren gemacht haben und dabei bleibt die Kreativität vielleicht etwas auf der Strecke. Andererseits können sich jetzt diejenigen gut hervor heben, die wirklich was originelles machen. Das ist schwierig und braucht viel Erfahrung.
PG: Die FWT hat den Anspruch, eine Tour für die ganze Welt zu sein. Momentan gibt es nur einen Stopp in den USA, alles andere ist in Europa. Auch die Freeski Worldtour ist wieder verstärkt präsent als Gegenveranstaltung. Ist es überhaupt realistisch, einen weltweiten Freeridewettkampf auszutragen?
MM: Ich glaube schon und ich glaube auch, dass es gut ist wenn es sowas gibt. Ich habe keine Ahnung, ob und wie man eine sinnvolle Worldtour wirklich realisieren kann. Was ich zur Zeit extrem problematisch finde, ist, dass man sich so lang vorher auf ein Datum und einen Hang festlegen muss. Das macht man ja normalerweise beim Freeriden auch nicht, weil es nicht geht. Man könnte vielleicht eine Lösung finden, bei der man sich auf ein größeres Zeitfenster und eine Region festlegt, um Rumgerutsche auf halbgaren Hängen zu vermeiden. Ich finde aber den Anspruch positiv, dass Leute aus der ganzen Welt alle ein Ding machen und gemeinsam wo runter fahren und sich vergleichen.
PG: Geht es dabei eher um das Gemeinsame oder um das Vergleichen?
MM: Für mich ist es bei den Contests von Anfang an eher ums Gemeinsame gegangen und das ist auch das, was mir langfristig wichtig ist. Schlussendlich fährt man Freeride Contests nicht gegen andere, sondern gegen sich selber.
PG: Macht es dann überhaupt Sinn, das von anderen Leuten bewerten zu lassen?
MM: Ich gehe an Contestlines viel strukturierter heran, als ich das sonst so mache und gebe mir Mühe, meine beste Leistung zu zeigen, auch weil ich eben versuche, die Bewertungskriterien möglichst gut zu erfüllen.
PG: Das Format fordert dich also?
MM: Das Format fordert sicher jeden Rider. Die Kunst ist, das zu machen, was man kann und die eigenen Grenzen zu kennen. Das mit sich selber festzulegen - das ist das Spannende. Dass es dann bewertet wird, finde ich okay, weil man dadurch sieht, wo man noch Luft nach oben hat. Ich habe früher nie gedacht, dass ich ein Wettkampftyp bin. Ich finde das auch immer noch ein bisschen schrecklich! Aber es macht einfach Spaß.
Trotzdem geht es nicht darum, andere zu schlagen, sondern darum, sich selbst zu steigern. Ich merke ja, dass meine Drops höher werden, dass ich schneller und flüssiger fahre. Das ist ein gutes Gefühl.
PG: Durchs Contestfahren kann man als Fahrer besser werden, aber wenn man da nicht unbedingt die Weltspitze sieht, was ist dann die Relevanz der Tour für Leute, die keine Contests fahren?
MM: Ein Contest ist ungeschönt, im Gegensatz zu einem Film. Jemand der gut Contests fährt, muss alle Bedingungen ordentlich fahren. Das ist wesentlich näher an der Realität, als was man in Filmen sieht. Vielleicht liegt die Relevanz darin, dass Contests zeigen, dass man auch bei richtig schlechten Bedingungen richtig tolle Sachen machen kann.
PG: Social Media ist in den letzten Jahren extrem wichtig geworden, auch wenn es um Sponsoren geht, und manchmal scheinen die sportlichen Leistungen weniger wichtig zu sein, wie eine große Social Media Gefolgschaft. Wie gehst du damit um?
MM: Es ist ein Problem, wenn Leute in Marketingpositionen sind, die keine Ahnung von der entsprechenden Sportart haben. Um zu beurteilen, wen man unterstützt, werden dann Parameter hergenommen, die mit dem eigentlichen Sport nichts zu tun haben. Das schadet auf Dauer dem ganzen Sport. Ich sehe es als Aufgabe der Firmen und des Marketings, dass sie Athleten pushen, die den Sport weiterbringen und nicht die, die am meisten Social Media Follower haben.
Der Sportmarkt ist inzwischen in erster Linie ein Investmentmarkt, auch bei Sportarten die früher mal eher alternative Subkulturen waren, ähnlich wie auf dem Kunstmarkt. Es ist auf jeden Fall ein interessantes Umfeld, weil so viel Leidenschaft auf so viel Marketing trifft.
PG: Deine Social Media Präsenz ist recht unauffällig. Bilder ohne Helm und Goggles muss man lange suchen. Grade bei den Mädels mischen ja viele auch mal ein hübsches Selfie oder ein Bild vom Strandurlaub zwischen die Actionshots und die Follower danken es ihnen. Hast du da keinen Bock drauf?
MM: Nein. Ich möchte nicht in erster Linie Kritik üben, aber ich wünsche mir, dass die Diskussion über das Frauenbild im Sport stärker in Gang kommt. Das ist mir ein persönliches Anliegen. Es sollte bei Athletinnen in erster Linie um den Sport gehen und nicht ums Aussehen. Jeder sollte die Freiheit haben, sein Leben so zu Leben, wie er oder sie möchte. Das sollte man Frauen und Männern gleichermaßen zugestehen, auch im Sport.
PG: Das ist nicht nur in den sozialen Medien ein Thema, sondern in der ganzen Branche, oder?
MM: Ja. Man sieht kaum Actionbilder von Frauen in den Medien. Wenn in Magazinen Fotos von Mädels sind, dann stehen sie fast immer nur hübsch rum. Das Traurige dabei ist, dass den Frauen damit das Potential komplett genommen wird. Sportlerinnen sind meistens nur auf Grund ihres Aussehens und ihres äußerlichen Auftretens präsent. Sie werden kaum als die Athleten gezeigt, die sie sind, und die tatsächlich was leisten. Es ist sehr schwierig, in Randsportarten wirklich nur über die sportliche Leistung an das Profidasein heran zu gehen. Im Grunde ist man damit chancenlos.
Nach den olympischen Sommerspielen gab es viel kritische Auseinandersetzung mit der Berichterstattung über Sportlerinnen. Ich hoffe, dass dadurch eine gewisse Sensibilisierung stattgefunden hat und sich die Medien um objektive Berichterstattung bemühen. Ich finde es wichtig, dass Leistungen von Frauen im jeweiligen Kontext beurteilt werden und dass die sportliche Leistung zählt.
PG: Was kann man tun, damit sich das Frauenbild im Sport und speziell im Freeridebereich ändert? Gibt es vielleicht einfach nur sehr wenige Frauen, die unseren Sport ausüben?
MM: Das Problem liegt vor allem in der mangelnden Präsenz. Es gibt genug Mädels, man sieht sie aber nicht. Wir sollten daran arbeiten, mehr Bewusstsein für das Thema zu schaffen und uns untereinander stärker vernetzen. Wenn man mal eine gewisse kritische Masse erreichen würde an Frauen, die im Extremsportbereich aktiv sind und sich auch in das Szenegeschehen einbringen, würde das schon viel verändern. Andererseits ist natürlich die Industrie gefordert. Die Sportartikelhersteller, der Sportmanagementbereich und das Publikations- und Verlagswesen sind männerdominiert. Das ist halt eigentlich der ganze Markt.
PG: Brauchen wir eine Art Quote? Jedes Magazin muss gleich viele Bilder von Frauen und Männern drucken, Firmen müssen genauso viele weibliche Athleten unterstützen wie männliche, so in die Richtung?
MM: Puh, das ist schwierig. Allgemein geht man ja schon davon aus, dass eine Quote langfristig sehr viel bringt, aber man erzwingt es damit natürlich. Wenn es in jedem Magazin einen fixen Prozentsatz von Actionbildern mit Frauen gäbe, fände ich das positiv. Es kommt aber stark darauf an, ob es gut gemacht ist. Vielleicht sollte man zumindest mal drüber nachdenken.
Ich wäre schon froh, wenn einfach nur verschiedene Rollenbilder für Frauen angeboten würden. Bei den Männern gibt es ja auch im hochprofessionellen Bereich alles Mögliche. Es gibt die, die sich offensichtlich viele Gedanken um ihr Äußeres machen und die, denen es genauso offensichtlich völlig egal ist, und viele verschiedene Typen und Abstufungen dazwischen. Das ist bei den Frauen nicht so.
Dinge, die eigentlich für den Sport sekundär sind, wie eben Äußerlichkeiten, werden übermäßig wichtig, weil es nur so wenig Potential gibt, um Frauen zu fördern. Bei den Männern ist das sicher auch ein bisschen so, gerade im mittleren Leistungssegment, wo es besonders wichtig ist, sich von einander abzugrenzen. Das bewegt sich aber auf einem viel geringeren Level.
PG: Gibt es Druck von deinen Sponsoren, auch mal ein paar hübsche Lifestylebilder zu posten?
MM: Es gibt eher die Aufforderung viel und qualitativ hochwertig zu posten, was auch legitim ist. Die direkte Aufforderung, besonders hübsche Fotos zu posten, ist mir noch nie untergekommen. Ich will natürlich Bilder posten, die eine gewisse Ästhetik oder Aussage haben. Ich scheue mich aber davor, Bikini Fotos zu posten, obwohl die meisten Männer ohne groß nachzudenken Badehosen Fotos posten. Ich fürchte mich vor Kommentaren, die dann nur Bezug auf meinen Körper nehmen, weil ich wirklich nicht auf mein Äußeres reduziert werden will. Vielleicht wäre es aber auch eine nette, subversive Strategie, vollkommen drauf zu pfeifen und wild sehr vorteilhafte und sehr unvorteilhafte Bikini Fotos zu posten!
PG: Findest du es falsch, wenn Sportlerinnen ihr Aussehen nutzen, um bekannter zu werden? Die Industrie zwingt ja niemand mit vorgehaltener Waffe dazu.
MM: Prinzipiell ja. Aber so einfach ist es dann auch wieder nicht. Ich denke, es sollte möglich sein, als Frau hin und wieder ein sexy Foto zu posten, ohne dass einem angehängt wird, man wolle daraus Profit schlagen. Das wäre der Idealzustand, aber das ist in unserer Gesellschaft kaum möglich. Die Fotos, die sexy sind, bleiben am stärksten präsent. Das führt in eine Art Teufelskreis.
Es gibt Sportlerinnen, die fast nur von ihrem Äußeren leben. Das funktioniert nur, weil es von der Industrie unterstützt wird. Es bringt den Sport nicht weiter, wenn Frauen einseitig repräsentiert werden. Damit wird jungen Mädels suggeriert, dass man einem Schönheitsideal entsprechen muss, um im Sport erfolgreich zu sein. Ich glaube auch nicht, dass mehr Snowboards oder praktische Sportunterwäsche an Frauen verkauft werden, wenn die Models aussehen wie aus einem B-Porno.
PG: Was würdest du den jungen Mädels stattdessen gern mit auf den Weg geben?
MM: Es ist zwar ein Klischee, aber ich möchte schon vermitteln, dass man seinen Leidenschaften folgen soll. Dass dann das Leben richtig toll ist.. Und dann würde es mir natürlich auch gefallen, wenn sich andere Mädels denken: Oh cool, die fährt stark. Das will ich auch machen.
PG: Danke für das Gespräch! Lässt du mal von dir hören während der Tour?
MM: Klar, ich poste auf meinem Blog und vielleicht gibt's ja auch den einen oder anderen Contestreport hier auf PowderGuide!
Julbo Eyewear plant im Frühjahr eine 'White Session' in Island mit Manu und Flo Orley. Wie bei den bisherigen 'White Sessions' bekommt ein(e) AmateurIn die Chance, mit den beiden Pros auf Freeride Reise zu gehen. Wer Lust drauf hat, kann sich also schon mal was Gutes für die Bewerbung ausdenken.