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Welt der Wissenschaft | Wieviel hat es wirklich geschneit?

„Mega deepe Faceshots Bro!" ist keine meteorologische Messgröße.

von Lea Hartl 16.01.2017
Seit wir die SNOWGRID Karten auf PowderGuide haben, erreichen uns immer wieder Fragen zu deren Genauigkeit: Warum ist hier in meiner Lieblingswaldschneise viel mehr Schnee als auf der Karte? SNOWGRID sagt, dass im Tessin zwei Meter Schnee liegen, aber mein Kumpel sagt, da liegt überhaupt nichts? Im Folgenden zeigen wir einige Einblicke in die komplexe Welt der Niederschlagsmessung, die Bemühungen der ZAMG, Schnee möglichst genau zu erfassen und warum es trotzdem nicht immer klappt.

Wie misst man, wieviel es geschneit hat? Abgesehen von Messungen anhand der Körpergröße des Skifahrers (Boot top, knee deep, hip deep, chest deep, usw) und der Anzahl herangezogener Instagram Hashtags (#pow #powder #epic #deep #deepestdayever #chestdeep #faceshots, usw) gibt es einige weitere etablierte Methoden, die Schnee- bzw. Neuschneehöhe zu messen. Am simpelsten und oft auch am besten sind Handmessungen, bei denen jemand mit einem Metermaß nachschaut, wieviel Schnee liegt. Für die Gesamtschneehöhe gibt es dafür fix installierte Messstangen mit einer Skala, die man ablesen kann.

Um nur die Neuschneemenge zu messen, werden sogenannte Schneebretter ausgelegt. Das sind tatsächlich Bretter, die man einschneien lässt. Nach dem Schneefall beziehungsweise zu bestimmten Zeiten wird gemessen, wieviel sich auf dem Brett angesammelt hat. Dann wird das Brett gesäubert und man wiederholt den Vorgang. Gerade im Hochgebirge kann nicht ständig und überall jemand nachschauen gehen und Bretter auslegen, daher werden Niederschlag und Schneehöhe auch an automatischen Wetterstationen gemessen. Es gibt diverse Variationen beheizter Niederschlagsmesser, die Schnee auffangen, schmelzen und das Wasser periodisch wiegen. So erhält man das Schneewasseräquivalent (SWE) – eine Größe, die im Gegensatz zur Neuschneehöhe nicht von der Schneedichte abhängt und mit dem Sommerniederschlag verglichen werden kann. Würde man den Schnee nicht schmelzen, wären die Niederschlagsmesser nach dem ersten ordentlichen Schneefall voll und die Neuschneemessung würde nicht mehr funktionieren.

Automatische Schneehöhenmessung funktioniert in der Regel mittels Ultraschall- oder Lasersensoren, die den Abstand zwischen dem an einem Mast aufgehängten Sensor und dem Boden (bzw. der Schneeoberfläche) messen.

Vor allem für hydrologische Anwendungen gibt es noch speziellere Geräte, wie etwa sogenannte Schneekissen, die über das Gewicht der Gesamtschneedecke deren SWE bestimmen. Diese findet man aber nur sehr vereinzelt an bestimmten Stationen. In den Bergen gibt es nicht überall automatische Wetterstationen oder gar jemanden vor Ort. Für die flächige Niederschlagsmessung wird daher ergänzend das Niederschlagsradar eingesetzt. Das Radarsignal zeigt wo es regnet oder schneit und auch die ungefähren Mengen können abgeleitet werden - dafür braucht man allerdings zumindest irgendwo in der Nähe eine Wetterstation.

Wer misst, misst Mist

In der Theorie klingen manche Methoden recht einfach, in der Praxis ist es aber oft schwierig: Fester Niederschlag, also in erster Linie Schnee, fällt nun mal nicht immer einfach so in den dafür vorgesehenen Kübel (=Niederschlagsmesser), auch wenn dieser mit einem Windfang ausgestattet ist. Besonders im Gebirge ist das ein erhebliches Problem und führt so zu einer systematischen Unterschätzung der Niederschlagsmengen an den Pluviometern - das schlaue Wort für Niederschlagsmesser. Je höher die Windgeschwindigkeit ist umso weniger fällt tatsächlich in den Kübel. Die Unsicherheiten bei Schneefall liegen hier bei bis zu 80%. In der Schweiz und Süddeutschland wird der Winterniederschlag im Gebirge im Schnitt um bis zu 50% unterschätzt. Da das ein bekanntes Problem ist, werden die Daten in der Regel um einen entsprechenden Faktor korrigiert, der von der Windgeschwindigkeit und Lufttemperatur abhängt (umso kälter und leichter die Flocken und stärker der Wind desto weniger im Kübel). Das funktioniert aber nicht immer gut, da man die genaue Windgeschwindigkeit im komplexen Gelände nicht kennt und so können trotz Korrektur erhebliche Fehler bestehen bleiben.

Ultraschallmessungen der Gesamtschneehöhe sind relativ zuverlässig, aber auch nicht perfekt. Die Distanzmessung ist unter anderem temperaturabhängig. Je nach Lufttemperatur muss auch hier korrigiert werden. Lasermessungen sind genauer und nicht temperaturabhängig. Natürlich können weder Ultraschall noch Laser den Wind daran hindern, den Schnee davon zu blasen.

Das eigentlich praktische Radar hat ein eingeschränktes Sichtfeld. Es erkennt nur, was auch ein Mensch sehen würde, der daneben steht. Meist ist das Radar auf Berggipfeln positioniert. So sieht es jedoch nicht in tiefe Täler und oder hinter die Berge, die ihm die Sicht versperren. Neben der Unterschätzung durch Abschattungseffekte an der Topographie (der „Radarschatten" ist der Bereich hinter dem Berg, den das Radar nicht sieht) kann es durch Fehlechos (z.B. verbotene Nutzung reservierter Frequenzen) lokal auch zu Überschätzungen kommen.

Besser Messen: pluSnow

Natürlich gibt es intensive Bemühungen, den Winterniederschlag besser zu erfassen. Die Unterschätzung des Niederschlags durch Pluviometer setzt sich als Fehler in vielen unterschiedlichen Anwendungen fort, beispielsweise auch im INCA-Modell der ZAMG, auf das SNOWGRID zugreift. Das Projekt pluSnow, das am Innsbrucker Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung (IGF) in Kooperation mit der ZAMG durchgeführt wird, sucht derzeit nach Möglichkeiten, Neuschneehöhen automatisiert möglichst genau zu erfassen, um die Niederschlagsmessung zu verbessern. Davon erhofft man sich bessere Pluviometerkorrekturen. Hierzu braucht es außerdem genaue Daten zur Dichte des Neuschnees, da man für die Korrekturen nicht nur die Schneehöhe, sondern auch das Wasseräquivalent des Neuschnees benötigt. Beides könnte schließlich die Genauigkeit von Analyseanwendungen wie INCA und SNOWGRID weiter verbessern.

Im Rahmen von pluSnow wurde zunächst untersucht, wie stark Pluviometer den Winterniederschlag in den österreichischen Alpen tatsächlich unterschätzen. Entsprechende Studien gab es bisher nur für Deutschland und die Schweiz. Es zeigt sich, dass man auch in Österreich im Schnitt mit einem Fehler von 20% rechnen muss, wobei die Messungen an sehr hohen und windausgesetzten Stationen stärker betroffen sind als jene in geschützteren Lagen, so Projektleiter Kay Helfricht vom IGF.

Wenn man nun den geschmolzenen Niederschlag im Pluviometer mit einer sehr genauen Neuschneehöhenmessung am gleichen Standort vergleicht, könnte man ersteren dadurch korrigieren. Genaue Neuschneehöhen lassen sich relativ gut aus den Änderungen der Gesamtschneehöhen ableiten, die Ultraschall- und Lasersensoren messen.

Angenommen, man hat jetzt also aus einer ziemlich genauen Änderung der Gesamtschneehöhe die Neuschneemenge ausgerechnet, dann müsste man nur noch die Zentimeter Neuschnee in Millimeter Wasseräquivalent (geschmolzener Schnee im Pluviometer) umrechnen und schon wäre der Vergleich fertig. Nur wie ging das nochmal genau mit der Umrechnung? Ein Millimeter Wasser sind ein Zentimeter Schnee oder so ähnlich?

Dieses „so ähnlich" umfasst eine ziemlich große Bandbreite, die den Unterschied zwischen Champagner Powder und üblem Pappschnee ausmachen kann. Die Dichte von Neuschnee unterliegt zeitlichen und räumlichen Schwankungen. Bei pluSnow wird nun durch ausgiebige Datenanalyse versucht, die Gründe für diese Dichteschwankungen nachzuvollziehen und bessere Umrechnungsformeln zu entwickeln. Jeder Skifahrer vermutet intuitiv, dass Temperatur und Wind die Dichte von Neuschnee beeinflussen. Diese Abhängigkeit findet sich in den Daten zwar wieder, ist aber schwer zu beziffern und je nach Station unterschiedlich. Hier gibt es also noch viel zu forschen und zu verbessern.

Von Punktmessungen zur Schneehöhenkarte

Alle der erwähnten Schwierigkeiten beziehen sich auf Messstandorte, wo es tatsächlich Messungen irgendeiner Art gibt, seien es Handmessungen, Pluviometer, Ultraschall oder Radar. Wer häufig Skitouren unternimmt, wird dennoch kaum Wetterstationen, Radarschüsseln oder im Schnee wühlende Meteorologen antreffen. Es gibt also nicht von überall Messdaten. Die Messstandorte sind auch nicht gleichmäßig verteilt und befinden sich aus logistischen Gründen öfter im Tal als im schwer zugänglichen Hochgebirge. Außerdem stellt sich die Frage, welche Schneehöhenmessung für einen Standort repräsentativ ist – die auf dem windausgesetzten Maulwurfshügel oder die aus dem Straßengraben zwei Meter daneben?

Wenn man eine Karte möchte, muss man die vorhandenen Daten also mit Hilfe eines Modells und darin verbauten Algorithmen in eine flächige Verteilung umrechnen. Je mehr Daten es für ein bestimmtes Gebiet gibt, desto besser funktioniert es. Einschränkender Faktor bei der Umrechnung auf die Fläche ist das Gelände. Schon aufgrund begrenzter Rechenleistung ist es unmöglich, kleinräumige Geländestrukturen im Modell so aufzulösen, wie wir sie beim Skifahren wahrnehmen.

SNOWGRID hat alle 100m einen Modellgitterpunkt, für den ein Wert berechnet wird. In Kombination mit dem hochaufgelösten Geländemodell, das SNOWGRID verwendet, ist das vergleichsweise sehr genau. Wenn wir aber beim Skifahren das Gelände immer nur als das Mittel eines 100mx100m Quadrates betrachten würden, würden wir am Berg schnell scheitern. Hier muss man also die unterschiedlichen Skalen im Kopf behalten: Die Lage in Einzelhängen, die für den Skifahrer mit am wichtigsten ist, sieht das Modell nicht. Auch lokale Windeffekte sieht es nicht. Schneeumverteilung durch Wind ist fürs Skifahren mitunter entscheidender, als die genaue Niederschlagsmenge, aus meteorologischer Sicht sind das aber zwei völlig verschiedene Fragestellungen. Winddrift ist sehr komplex zu modellieren und wurde noch nicht in SNOWGRID implementiert. Auch beim Umrechnen von Punktmessungen auf die Fläche gilt also: Alles nicht so einfach.

Und was ist jetzt mit SNOWGRID und dem Schnee auf meinem Hausberg?

Auch für SNOWGRID sind die Niederschlagsmengen die größte Quelle der Unsicherheit: „Hochalpin gibt es im Mittel generell eine Unterschätzung der Schneedecke. Lokal kann es vor allem durch die Radarkomponente des Modells auch zu markanten Überschätzungen kommen. Alles Probleme die größtenteils eher schwer in den Griff zu bekommen sind," sagt Marc Olefs von der ZAMG. Abhilfe schaffen sollen Nachkorrekturen mittels weiterer Messdaten und die Ergebnisse von pluSnow, also eine bessere Korrektur des winterlichen Niederschlagsmessfehlers. Dafür braucht es allerdings eine sehr intelligente, schnelle und vollautomatische Prüfroutine. Genau daran wird laut Olefs derzeit bei der ZAMG gearbeitet, um das SNOWGRID Ergebnis weiter verbessern.

SNOWGRID ist nicht perfekt, aber angesichts der zu überwindenden Schwierigkeiten schon ziemlich gut. Olefs weist darauf hin, dass es in manchen Gebieten sehr starke vertikale und horizontale Gradienten in der Schneehöhe beziehungsweise der Schneeverteilung gibt. Daher sei es wichtig, immer die Schneelage an einem genauen Standort mit dem entsprechenden Modellwert an dieser Stelle zu vergleichen, und nicht nur den regionalen skifahrerischen Eindruck.

Es gibt durchaus Situationen, in denen Skifahren in einer Region aufgrund sehr ungleichmäßiger Schneeverteilung noch kaum möglich ist, gleichzeitig aber an einer nahen Wetterstation schon ein Meter Schnee liegt. Andererseits könnte ein Stationsstandort total abgeblasen sein, in der Umgebung kann man aber gut Skifahren. Das führt dann zu Diskrepanzen in der eigenen Wahrnehmung und der Farbe in der SNOWGRID-Karte. Während bei den Karten der Gesamtschneehöhe kumulative Fehler über den gesamten Winter mitgeschleppt werden, ist das bei der Karte der 24 Stunden Neuschneedifferenz nicht der Fall. Dementsprechend sind die Differenzkarten deutlich genauer als jene der Gesamtschneehöhe, abgesehen von Bereichen in denen es durch z.B. Radarabschattungen zu systematischen Fehlern kommt.

Wie bei allen anderen Wetterkarten, -prognosen, und -stationsdaten, sollte man auch bei SNOWGRID immer im Hinterkopf behalten, woher die Daten kommen, wie sie entstehen und welche Unsicherheiten und systembedingten Grenzen es gibt. Ungewöhnliche Werte sollten hinterfragt und mit Werten aus der Umgebung (Webcams, Messstationen) verglichen werden, aber auch die eigene Wahrnehmung darf man ab und zu hinterfragen. Sehr hilfreich ist es auch, wenn man ungefähr aus vergangen Wintern im Kopf hat, wieviel Schnee ein Gebiet braucht, um skifahrerisch lohnend zu sein und was dann an entsprechenden Messstellen angezeigt wird. Mitglieder der PG Redaktion behaupten zum Beispiel, dass man am Krippenstein erst richtig fahren kann, wenn die Station mindestens 2m Schneehöhe anzeigt. Für Almwiesenwedeln reicht hingegen deutlich weniger.

Fazit: Wetterstationen und -modelle sind irgendwie auch nur Menschen.
 

Literatur: Helfricht K., Koch R., Hartl L., Olefs M. 2016. Potential and challenges of an extensive operational use of high accuracy optical snow depth sensors to minimize solid precipitation undercatch. Proceedings, International Snow Science Workshop, Breckenridge, Colorado, 2016.

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