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Welt der Wissenschaft | Mehr Klimawandel, weniger Lawinen?

Kurzer Blick auf aktuelle Studien

von Lea Hartl • 03.11.2021
Eine subjektive Auswahl aktueller Studien aus dem Bereich Schnee und Lawinen, diesmal mit einem Fokus auf dem Zusammenhang zwischen Lawinenhäufigkeit und Klimawandel. Für alle, die weiterlesen wollen, sind die wissenschaftlichen Publikationen im Text verlinkt.

Wir versuchen, die Welt der Wissenschaft Rubrik diese Saison wieder etwas mehr zu beleben. Realistisch zu erwarten sind unregelmäßige Beiträge zu unterschiedlichen Themen, die PG-Autorinnen und Autoren gerade interessant finden. Wenn ihr spezielle Themenwünsche oder Anregungen habt, gerne unter redaktion(at)powderguide.com melden!

Mittelgebirge: Weniger Schnee, weniger Lawinen

Zunehmend wurde in den letzten Jahren auch im Lawinenkontext der Klimawandel ins Visier genommen. Grundsätzlich gilt: Wo kein Schnee, da auch keine Lawinen. Es liegt also nahe, dass steigende Temperaturen mit einer Abnahme der Lawinenhäufigkeit einhergehen. Immer wieder zeigen wissenschaftliche Studien genau diesen Zusammenhang anhand lokaler oder regionaler Datensätze. Aktuell zum Beispiel eine Publikation aus den Vogesen, wo, so die Forscher*innen, steigende Wintertemperaturen dazu geführt haben, dass es weniger Lawinen gibt. Die Lawinen werden außerdem nicht mehr so groß und gehen innerhalb eines kürzeren Zeitfensters ab (heißt: die Saison mit Schnee wird kürzer). Die Studie legt nahe, dass die Mittelgebirge jetzt schon Veränderungen zeigen, die auch in größeren Höhen früher oder später zu erwarten sind, und dass man sich bezüglich Adaptionsmaßnahmen hier entsprechend orientieren kann. (Giacona, F., Eckert, N., Corona, C., Mainieri, R., Morin, S., Stoffel, M., ... & Naaim, M. (2021). Upslope migration of snow avalanches in a warming climate. Proceedings of the National Academy of Sciences, 118(44).)

Was im Prinzip nach einer simplen Zeitreihenanalyse klingt, ist es nicht unbedingt. Um ermitteln zu können, ob sich die Häufigkeit von Lawinen langfristig verändert, muss man erstmal wissen, wie viele Lawinen es in der Vergangenheit gab und wie viele es jetzt gibt. Da Beobachtungen und Aufzeichnungen zu Lawinen meistens nicht lange zurückreichen, scheitern solche Vorhaben oft schon schlicht am Mangel von Daten. Die Leistung der Vogesen-Studie besteht zum großen Teil darin, dass hier ein reicher Schatz an historischen Aufzeichnungen aus unterschiedlichen Quellen zusammengetragen und homogenisiert wurde, um eine über 200 jährige Zeitreihe der Lawinenaktiviät in der Region zu erstellen.

Rockies: Wetterschwankungen und Klimatrends

Wo von Menschen vermerkte Lawinenbeobachtungen fehlen, sind Baumringanalysen ein beliebtes Hilfsmittel, um Datenlücken zumindest teilweise zu schließen (sie z.B. Peitzsch et al., 2021). Bäume, die in Lawinenstrichen wachsen, sind eine Art Zeitzeugen vergangener Lawinen. Kleinere Lawinenschäden sieht man direkt in den Baumringen und wenn alle Bäume zur gleichen Zeit umgemäht wurden, lässt das auf besonders große, destruktive Lawinen schließen. Viele klimatologische Trendanalysen zu Lawinenhäufigkeit basieren daher auf dendochronologischen Daten (=Baumringen). So auch eine aktuelle Studie aus den nördlichen Rocky Mountains (USA): Hier wurde einerseits eine leichte Abnahme der Lawinenhäufigkeit in den untersuchten Lawinenstrichen festgestellt (Zeitreihe von 1950 bis 2017), andererseits aber auch eine hohe Variabilität von einer Saison zur nächsten. Neben etwaigen klimatologischen Trends gibt es also deutliche, kurzfristige Schwankungen von Jahr zu Jahr. 

Die langfristige Abnahme der Lawinenhäufigkeit korreliert mit einer Abnahme der Schneemengen. Die kurzfristigen Schwankungen sind dagegen komplizierter zu erklären. Gut die Hälfte der Variabilität in der Zeitreihe ergibt sich aus je nach Jahr unterschiedlichen Schneemengen und dem Schneewasseräquivalent, sowie der PDO Phase (Pacific Decadal Oscillation - mehr oder weniger periodische Muster in den Meeresoberflächentemperaturen, die sich in Nordamerika vor allem an der Nordwestküste auf das Wetter auswirken). Kurz gesagt: In schneereichen Wintern mit viel Tiefdruckeinfluss gibt es mehr Lawinen. Steigende Temperaturen spielen eine vergleichsweise kleine Rolle und erklären nur etwa 14% der Variabilität. Die Studie erwartet, dass sich das in Zukunft ändert und die zunehmenden Temperaturen an Relevanz gewinnen werden. 

Ebenso erscheint es denkbar, dass große, trockene Lawinen seltener werden, nasse Lawinen aufgrund der höheren Temperaturen und Regeneinfluss in hohen Lagen aber öfter vorkommen. Die Autoren spekulieren, ob eine Häufung von großen Lawinen in schneearmen Wintern -eigentlich untypisch- gegen Ende der Zeitreihe andeutet, dass sich auch der Charakter der Lawinen verändert, im Sinne von: Mehr Nassschnee, vielleicht auch mehr Altschneeprobleme durch Regenkrusten. Es sei aber noch zu früh, hier auf klimatischer Zeitskala stichhaltige Aussagen zu treffen. Außerdem kann die Baumringmethode nicht zwischen nassen und trockenen Lawinen unterscheiden. Wie so oft gilt auch in diesem Fall: Ein Winter macht noch keinen Trend. 5 Winter sind langsam etwas auffällig, aber auch noch nicht als Beweis zu werten, sondern als eine Verdichtung von Indizien. (Peitzsch, E.H., Pederson, G.T., Birkeland, K.W. et al. Climate drivers of large magnitude snow avalanche years in the U.S. northern Rocky Mountains. Sci Rep 11, 10032 (2021))

Frankreich: Veränderte Landnutzung 

Die Analysen aus den Vogesen und den Rocky Mountains sind zwei Beispiele, die zeigen, wie man unterschiedliche Datensätze miteinander kombinieren kann, um die Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf einen bestimmten Parameter - in diesem Fall Lawinenaktivität - durch statistische Auswertungen zu quantifizieren. Eine dritte Studie aus den französischen Alpen verfolgt einen ähnlichen Ansatz, erweitert die Untersuchung aber: Veränderungen in der Landnutzung werden ebenfalls analysiert und miteinbezogen. Auch in diesem Fall werden mit Hilfe von Baumringen Zeitreihen für bestimmte Lawinenstriche erstellt. Die Daten reichen bis etwa 1750 zurück. Es zeigen sich je nach Exposition unterschiedliche Trends, vermutlich da in den südlich exponierten Lawinenstrichen in den 1920er oder 30er Jahren ein sehr massiver Lawinenzyklus die meisten Bäume zerstört hat, während dies in den nördlichen Expositionen nicht der Fall war. Interessant ist vor allem, dass eine Abnahme der Lawinenaktivität seit den 1930er Jahren in bestimmten Lawinenstrichen in dieser Studie nicht durch steigende Temperaturen erklärt wird, sondern durch Wiederaufforstung und veränderte Beweidung. Insbesondere kleinräumige Unterschiede sind laut den Studienautor*innen wesentlich stärker durch solche Faktoren geprägt als durch übergeordnete Klimatrends. (Mainieri, R., Favillier, A., Lopez-Saez, J., Eckert, N., Zgheib, T., Morel, P., ... & Corona, C. (2020). Impacts of land-cover changes on snow avalanche activity in the French Alps. Anthropocene, 30, 100244)

Zusammenfassung

Wollte man aus diesen drei lokalen, bzw. im Fall der Vogesen regionalen, Fallstudien einen übergreifenden Schluss ziehen, wäre es vielleicht folgender:

Das Beispiel aus den Vogesen zeigt, dass sich der Klimawandel in tieferen Lagen deutlich in den Zeitreihen der Lawinenhäufigkeit niederschlägt: Weniger Schnee, weniger Lawinen. Die Studie aus den Rockies (kälter, höher) findet ebenfalls entsprechende Trends, wobei diese gegenüber saisonalen Schwankungen in der Witterung (noch?) eine untergeordnete Rolle spielen. In den seit Jahrhunderten besiedelten Alpen sind Schwankungen in der Lawinenhäufigkeit lokal mitunter sehr unterschiedlich und es kommen viele Effekte zusammen, die sich verstärkend überlagern oder auch ausgleichen können, von Land- und Forstnutzung über die Witterung bis zum Klimawandel. Die relative Wichtigkeit der unterschiedlichen Faktoren wird sich in Zukunft wahrscheinlich zumindest teilweise verschieben. Wenn man die Zusammenhänge auch kleinskalig verstehen will, sind interdisziplinäre Untersuchungen unbedingt nötig.

Um die kompliziertere, aber aus Skifahrer*innensicht wahrscheinlich interessantere Frage zu beantworten, ob sich nicht nur die Häufigkeit der Lawinen sondern auch deren Charakteristiken verändern (anteilig mehr Nasschnee, evtl. auch mehr/andere Altschneeprobleme?), braucht es nochmal andere Forschungsansätze. Wir stöbern dazu für eine zukünftige WdW Ausgabe in der Literatur...

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