Patrick Nairz vom Tiroler Lawinenwarndienst war am 15. Januar zufällig ebenfalls in der Schlick unterwegs. Er beobachtete die beiden beim Aufstieg in Richtung Burgstall und fotografierte sie aus der Ferne vor und nach dem Abgang. Die Bilder erschienen am Abend in einem Blogeintrag des LWD, mit dem erneuten Hinweis auf das Altschneeproblem. Für Leute, die die Gegend kennen und die Innsbrucker Freeride Szene ein bisschen verfolgen – und davon gibt es viele – war es nicht schwer, Dani und Antoine im Post des LWD zu identifizieren.
Die öffentlichen Reaktionen auf Danis Post im Internet waren meist positiv: "Gut dass nichts passiert ist", "Danke fürs Teilen". Ein paar Kommentare drückten jedoch aus, was wohl viele dachten - auch angesichts der eindrücklichen Bilder im LWD-Blog: "Wie bescheuert seid ihr eigentlich?"
Aus Fehlern lernen
Fehler zuzugeben, gegenüber sich selbst genauso wie gegenüber anderen, ist nicht einfach. Drew Hardesty, langjähriger Lawinenwarner aus Utah und gelegentlicher, wortgewandter Blogger, schreibt in Shame and the Social Contract, dass wir uns die Anerkennung unserer Freunde und Skitourenpartner genauso wünschen, wie die der restlichen – inzwischen oft um hunderte Facebook-"Freunde" und Instagram-Follower erweiterten – Community. Wenn wir Fehler machen, kann das unserem Ruf schaden, die erwünschte Anerkennung wird uns entzogen. Wir schämen uns, weil wir meist wissen, wie dumm und vermeidbar unser Fehler war. Wir fürchten zu Recht den Spott der anderen, das reflexhafte "Wie bescheuert seid ihr eigentlich?". Vielleicht vor allem deswegen, weil wir selbst schon genauso auf die Fehler anderer reagiert haben.
Studien aus Kanada legen nahe, dass Wintersportler dort nur etwa 11 Prozent der nicht-tödlichen Lawinen melden, die sie auslösen oder beobachten. (The Effect of Under-Reporting on Non-Fatal Involvements in Snow Avalanche on Vulnerability, Jamieson & Jones, 2015) Das verfälscht nicht nur diverse Statistiken zu
Unfall- und Überlebenswahrscheinlichkeiten, sondern es entgehen den Warndiensten dadurch wertvolleInformationen. Zudem werden immer wieder unnötige Suchaktionen gestartet, weil unklar ist, ob jemand verschüttet wurde. Hinzu kommt: Wenn wir nicht über unsere Fehler reden, können weder wir noch jemand anders daraus lernen.
Hören wir von einem Lawinenunfall, neigen wir dazu, als erstes nach Gründen zu suchen, warum uns das auf keinen Fall passiert wäre. "Niemals wäre ich bei einem Dreier den steilen Nordhang gefahren!" No na ned, wie der Tiroler sagt. Wir haben das offensichtliche Problem identifiziert und können uns nun weiterhin sicher sein, dass wir davon nicht betroffen sind. Klar, es gibt die Freerider, die sich immer sofort in die steilsten Hänge stürzen, und es gibt Tourengeher, die dauernd allein und ohne Ausrüstung unterwegs sind, aber das sind dann eben die anderen.
Diese saubere Unterteilung zwischen uns und den anderen, das gedankliche Abgrenzen einzelner schwarzer Schafe, die zu blöd sind, den Lagebericht zu lesen oder ein LVS dabei zu haben, ist bequem, praktisch und – so argumentiert Drew Hardesty – falsch. Es gibt nicht nur den einen, großen Fehler (Nordhang, steil, todgeiler Dreier!), sondern Fehlerketten, die uns dorthin bringen. Die wichtige Frage ist nicht unbedingt: "Was war der große Fehler?" - die Antwort ist oft, no na ned, offensichtlich. Die wichtigere Frage ist oft: "Wie ist es zu dem Fehler gekommen?" Und die Antwort hierauf hat fast immer mit dem viel theoretisch besprochenen, wenig praktisch berücksichtigten Lawinenfaktor Mensch zu tun, der uns per Definition alle und durchaus kollektiv als Gesellschaft betrifft.