Immer wieder sieht man Personen im risikoreichen Variantengelände, die sich über die Gefahren abseits gesicherter Skipisten nicht bewusst sind. Dass dazu auch aktive Mitglieder der Bergrettung während der Betreuung von Kindern gehören, hat uns sehr erstaunt und gab Anlass einen offenen Brief an die Bergrettung Salzburg zu schreiben.
Offener Brief an die Bergrettung Salzburger Land
Sehr geehrte Bergrettung Salzburg,
am Donnerstag 11.2.2010 war ich mit einem Kollegen im Skigebiet Zauchensee im freien Skiraum auf einer bekannten und viel befahrenen Variante unterwegs. Es herrschte Lawinenwarnstufe 3. Durch den über Nacht gefallenen Neuschnee (30-40 cm) wurden entsprechend viele Skifahrer vom Pulverschnee angelockt und fuhren abseits der gesicherten Pisten. Dass man im freien Gelände, das von Aufstiegsanlagen erschlossen wird, immer viele Personen ohne entsprechende Ausrüstung und Grundkenntnisse antrifft, ist bedauerlich, aber nichts neues.
Am besagten Tag trafen wir eine Gruppe Kinder/Jugendlicher mit Begleitpersonen an. Da keiner von ihnen (bis auf den Skilehrer) einen Rucksack trug, haben wir die erste Begleit-/Aufsichtsperson angesprochen. Es stellte sich heraus, dass es sich um eine Skiclubgruppe handelte, die mit drei Begleitpersonen und Skilehrer ohne entsprechende Ausrüstung den ganzen Tag im freien Gelände unterwegs waren.
Zu unserem Erstaunen versuchte sich die Aufsichtsperson, die wir ansprachen, dadurch zu erklären, dass er bei der Bergrettung aktiv sei. Die Person wüsste also ganz genau, was sie tue. Hier sei seit 30 Jahren nie etwas passiert. Außerdem seien Begleitpersonen dabei, wie auch ein ausgebildeter Skilehrer, der auch mit Rucksack, Schaufel, Sonde und LVS ausgestattet sei. Die eigenen Kinder seien schließlich auch in der Gruppe. Am Nachmittag fände eine Lawinenausbildung mit den Kindern und am Abend eine Suchübung mit Hunden statt. Die Person glaubte es herrsche Lawinenwarnstufe 3. Die nicht ausgeschilderte Variante (sog. "East") sei nach eigener Überzeugung von den Bergbahnen kontrolliert und gesichert. Daher brauche man keine Notfall-Ausrüstung, es sei hier schließlich sicher. Der Bergrettungsmitarbeiter gehe jährlich mehr als 30 Skitouren und noch nie sei etwas passiert.
An besagtem Tag herrschte verbreitet ungebundener Neuschnee auf zumeist stark befahrener Unterlage. Das Gelände ist durchaus steil, stellenweise über 40° Grad sowie felsdurchsetzt. Wir lösten an besagtem Tag viele oberflächliche Lockerschneerutsche (sog. "Sluff") aus, die ausreichend groß waren, um mehrere Personen zu verschütten. In einer solchen Zone bewegte sich auch die Gruppe, wobei die überstehenden Felsen von einer weiteren Gruppe an diesem Tag befahren bzw. besprungen wurden (und dabei entsprechend große Lockerschneerutsche ausgelöst wurden). 30 Minuten später löste sich ein beachtlicher Lockerschneerutsch oberhalb des zugänglichen Geländes und verschüttete den Bereich einer stark frequentierten Querung großflächig (ca. 150 m Breite).
Dass niemals alle Wintersportler umsichtig bzw. vorsichtig handeln werden ist uns natürlich bewusst. Hinzu kommt, dass Freeriden bzw. Variantenfahren eine Trendsportart ist, was immer mehr unerfahrene Freerider auch risikoreiches Gelände aufsuchen lässt. Gerade deshalb finden wir es wichtig, dass anerkannte Institutionen wie die Österreichische Bergrettung zumindest bei ihren aktiven Mitgliedern ein Bewusstsein fürs Risikomanagement schaffen und sich deren Mitarbeiter ihrer Vorbildfunktion bewusst sind und auch dementsprechend verhalten. Gerade von Aufsichts- und Vorbildperson, die in einer solchen Organisation aktiv sind, erwarten wir umsichtiges Handeln. Schließlich sind sie als Experten für andere verantwortlich und in diesem Falle sind die anderen Gruppenmitglieder Schutzbefohlene, denen sie gegenüber eine Obhutsgarantenpflicht innehaben.
Die oben bereits aufgeführten Ausführungen der Aufsichtsperson:
- Seit 30 Jahren sei hier nichts passiert.
- Dieser Hang (nicht markiert) sei von den Bergbahnen kontrolliert und gesichert.
- Die Person ist bei der Bergwacht und wüsste daher, was sie tue.
- Der Skilehrer sei ausgebildet und habe (als einziger) Notfallausrüstung (LVS, Schaufel, Sonde) dabei.
- Hier fahren so viele, da kann nichts passieren.
- Es sei nicht steil genug, als dass etwas passieren könne.
- Die Aufsichtsperson habe alles im Griff.
- Die Person sei ein erfahrener Tourengänger und noch nie sei etwas passiert.
Wir bitten Sie, zum Verhalten des Bergrettungsmannes Stellung zu beziehen, da in dessen Aussagen und in seinem Verhalten eine ganze Verkettung potentieller fataler Fehler auftauchen. Wir halten es für sehr bedenklich, dass Bergretter so offensichtliche Wissenslücken im Lawinenrisikomanagement aufweisen und sich auf auf ihre Autorität als vermeintliche Experten berufen. Bei einer Lawinenausbildung mit Kindern im Namen der Bergrettung darf so etwas nicht vorkommen!
Wir würden sie daher bitten Stellung zu nehmen zu:
1) Die generelle Einstellung der Bergwacht-Mitglieder zum Thema Risikomanagement.
2) Die Vorbildfunktion ihrer aktiven Mitglieder (auch in Hinblick auf die Betreuung Schutzbefohlener).
Antwort der Bergrettung Salzburg
Aus Ihrem geschilderten Fall geht hervor das alle Beteiligten einschließlich Ihrer Gruppe in gefährlichem Gebiet unterwegs waren, Ihre Gruppe jedoch gut ausgerüstet war.
Grundsätzlich gilt bei Lawinenwarnstufe 3 (Erheblich) ein Verbot von Variantenfahrten abseits gesicherter Pisten. Skitouren erfordern lawinenkundliches Beurteilungsvermögen; Tourenmöglichkeiten sind eingeschränkt.
Aktive Mitglieder der österreichischen Bergretter sind in der Beurteilung der Lawinengefahren, dem lawinengemäßen Verhalten und der Bergeverfahren bestens ausgebildet und führen auch entsprechende Ausrüstung mit. Unsere Männer und Frauen sind auch geschult nur mit Leuten ins Gelände zu gehen, die mit LVS Ausrüstung unterwegs sind.
Ich glaube nicht, dass im Namen der Bergrettung die von Ihnen geschilderte Ausbildung erfolgte, sondern das dies im Rahmen eines Schikurses stattfand. Bei Lawinenseminaren der Bergrettung sind alle Teilnehmer ausnahmslos mit LVS Geräten, Sonden und Schaufeln ausgestattet.
Die Behauptung die Person sei ein aktiver Bergretter, ist kein Nachweis dass es sich um einen Bergretter handelt und es könnte durchaus eine Schutzbehauptung sein, da er sich als Einheimischer nicht von einem Deutschen belehren lassen wollte.
Ich habe Ihnen bei meiner Antwort klar dargelegt, dass bei unseren Ausbildungen und Schulungen nur mit entsprechend ausgerüsteten Personen in das Gelände gegangen wird und das sicher keine Ausbildung im freien Schiraum bei Warnstufe drei erfolgt.
Ich erwarte von unseren 1400 freiwilligen Bergrettern in Salzburg, dass sie sich auch privat an unsere Ausbildung, Regeln und Verantwortung halten.
(Anm. d.Red.: Text zur besseren Lesbarkeit gekürzt.)
PG Kommentar
Dieser offene Brief an die Bergrettung Salzburg und deren Reaktion spiegelt so manche Situation am Berg wider. Gleich mehrere bedenkliche Aspekte, die auch im 3x3 Lawinen von Werner Munter auftauchen, werden hier offensichtlich.
Wir schätzen die meist ehrenamtlich geleistete Arbeit der Bergrettungen und der freiwilligen Helfer sehr. Ohne sie wäre so manches Abenteuer noch gefährlicher und ihre Einsätze haben schon vielen Menschen das Leben gerettet. Hierfür können sie nicht genug Dank erfahren.
Dennoch dürfen auch solche Institutionen und ihre Mitglieder sich nicht vor neuen Erkenntnissen verschließen bzw. auf ihrem vermeintlichen Expertenstatus beharren. Zweifelsohne sind die Bergretter (u.a.) in Lawinenrettung und Lawinenkunde geschult und erfahrene Berggänger oder Tourengeher. Gerade diese Personen müssen sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sein und sich nicht dem "neuen" lawinenkundlichen Paradigma verschließen. Die fatale Selbstherrlichkeit der selbsternannter Experten muss ein Ende haben. Wie schon Munter vor Jahren feststellte, gilt es "alte Mäntel abzulegen und alte Denkweisen aufzubrechen". Denn auch innerhalb der Institutionen sind diese alten Denkweisen sicherlich umstritten.
Dass ein nach eigenen Angaben aktives Bergrettungsmitglied seine eigenen und fremden Kinder großen Gefahren aussetzt, ohne dabei auch nur die verpflichtenden Standardmaßnahmen in Sachen Risiko-Management zu beachten ist sehr bedenkenswert. Dies sollte auch innerhalb der Institutionen mit klaren Worten kommuniziert werden.