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Schnee von morgen

Schnee von morgen | Die Energiewende im Zwiespalt

Erneuerbare Energien gelten als DIE Lösung der Klimakrise – aber wo bleibt dabei der Naturschutz?

von Irene Welebil (ÖAV) 14.03.2022
Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, muss in der Energiewende ein Zahn zugelegt werden. In Österreich ist geplant, bis 2030 bilanziell 100 % des Stromes aus erneuerbaren Quellen zu generieren. Dass die Energiewende in Bezug auf den Kampf gegen die Klimakrise für uns alle ein großes Ziel sein muss, ist nicht zu diskutieren. Die Frage ist, wie die Umsetzung aussieht, denn durch den Umbau der Energieversorgung werden Natur und Landschaft massiv beeinflusst.

Natur- und Klimaschutz wirken oft unversöhnlich – sozusagen ein Konflikt in den eigenen Reihen. Dem Alpenverein ist bewusst, dass es höchste Zeit ist, sich besser gestern als heute ernste Gedanken über den zukünftigen Energiekonsum zu machen. Er sieht jedoch eine kritische Auseinandersetzung mit Infrastrukturprojekten zur Energieerzeugung im Alpenraum als Voraussetzung für das Erreichen des eigentlichen Zieles: den Kampf gegen den Klimawandel.    

Wie können durch die Energiewende sowohl Klima- als auch Naturschutz profitieren bzw. wieso macht das eigentlich nur so Sinn?

Aktuelle Situation in Österreich und Ziele des Erneuerbaren Ausbau Gesetzes (EAG)

Zu den erneuerbaren Energien zählen Wind- und Sonnenenergie, Biomasse, Geothermie und Wasserkraft. Die Topographie in Westösterreich bietet ideale Bedingungen für die Wasserkraft, die über viele Jahre vor allem im Gebirge stark ausgebaut wurde und den größten Anteil an der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien ausmacht. Das Ausbaupotential der Wasserkraft ist jedoch nahezu erschöpft, zukünftig wird es in anderen Technologien gesehen. Windenergie wird fast ausschließlich im Osten und Norden des Landes produziert. Ihre Leistung soll bis 2030 verdreifacht werden, dabei wird ein Drängen Richtung Süden und Westen und in höhere Lagen unvermeidbar sein. Die Stromerzeugung aus Photovoltaikanlagen spielt bisher eine vernachlässigbare Rolle, ihr Ertrag soll bis 2030 verzehnfacht werden.

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Konfliktfelder der erneuerbaren Energien

Für die Wasserkraftnutzung wird Wasser durch Dämme, Stauseen oder Kanäle aufgestaut oder umgeleitet. Der natürliche Fluss des Wassers sowie Lebensraumbedingungen werden dadurch geändert: stehende Gewässer erhitzen sich schneller, ganze Fließgewässer werden in fremde Einzugsgebiete ab- und umgeleitet, durch den Schwallbetrieb wird der Lebensraum von im Fluss lebenden Organismen stark beeinträchtigt, Kraftwerke stellen Barrieren für Fische dar, beim Bau von Speicherseen und der dazugehörigen technischen Infrastruktur wird sehr viel Fläche benötigt, die vormals Lebensraum für Flora und Fauna war – das Artensterben ist vorprogrammiert. Die veränderten Fließsysteme, die durch die Ableitung alpiner Fließgewässer zu Speicherseen entstehen, haben nicht nur Auswirkungen auf das Fortbestehen bestimmter Arten. Gerade in trockenen Sommern wird in der Alm- und Landwirtschaft Wasserknappheit zum Problem. Auch wir Menschen leiden unter dem Verlust natürlicher Flusslandschaften, denn mit der Verbauung werden die Wasserressourcen gebunden und unsere Naherholungsräume gehen verloren.

Die Windkraft hat sich in Österreich bisher auf das Flachland und das Alpenvorland konzentriert. Windgünstige, gut erschlossene Standorte sind aber bereits rar geworden und die Windkraft drängt immer weiter in Gebirgsregionen vor. Die Voraussetzungen für die Errichtung von Windkraftanlagen sind im Gebirgsraum jedoch nicht zu vergleichen mit jenen im Flachland, denn der Gebirgsraum verfügt über sensible Ökosysteme. Sind diese einmal zerstört, ist es nicht mehr so einfach, sie wiederherzustellen. Auch wenn die Fundamentfläche eines Windrades lediglich 350-500 m² beträgt, wird für den Bau eine Fläche von 4.000 m² komplett überformt (exklusive der Fläche für Zufahrtsstraßen und sonstige benötigte Infrastruktur). Durch die Topographie im Gebirge ist die Flächeninanspruchnahme für schwerlasttaugliche Zufahrtsstraßen enorm hoch. In bisher unbelasteten Naturlandschaften entsteht erheblicher Verkehr für Errichtungs-, Wartungs- und Rückbaumaßnahmen. Durch diese Maßnahmen werden schützenswerte Lebensräume zerstört – die sensible alpine Flora und Fauna passt sich nur bedingt wieder auf neue Lebensbedingungen an. Nicht zu unterschätzen sind die vertikalen Flächen, die durch die Rotoren in Anspruch genommen werden – bei aktuellen Modellen mit einer Höhe von 233 m betragen diese 20 ha/Windrad (~ 40 Fußballfelder). Diese wirken als Barriere für Zugvögel, was bei Aneinanderreihung mehrerer Anlagen im Idealfall zur Änderung von Flugrouten, häufiger aber leider zur Tötung durch Rotorschlag oder durch Barotrauma führt, das die Druckwellen der Rotoren verursachen. Bei Umdrehungsgeschwindigkeiten von bis zu 500 km/h haben Vögel keine Chance. Zudem produzieren Windräder Lärm, den Wildtiere meiden und in Folge aus diesen Gebieten abwandern.

Auch Photovoltaikanlagen sind nicht ohne Einschränkungen im Alpenraum umsetzbar. Abgesehen von der ressourcenintensiven Herstellung von Photovoltaikpaneelen benötigen diese große Flächen. Werden die Paneele nicht auf vorhandener Infrastruktur, sondern auf Freiflächen errichtet, passiert das oft auf Kosten landwirtschaftlich genutzter Flächen.

Probleme bei der Erzeugung von Biomasse werden bspw. bei den Mais-Monokulturen sichtbar, wodurch Böden verarmen und Humusgehalt und Artenvielfalt abnehmen. Immer mehr Grünland muss dem Anbau von Biomasse weichen, was für den Klimaschutz kontraproduktiv ist, da durch den Umbruch von Grünland Unmengen an CO2 frei werden.

Klima- vs. Naturschutz?

Es scheint, als wären erneuerbare Energien schlecht für unsere Natur, dabei sind sie für das Klima doch so wichtig. Sind denn einzelne Vögel, Fische oder ein bisschen verbaute Fläche wirklich wichtiger als saubere Energie?

Klimaschutz ohne Naturschutz zu denken, ist dabei die falsche Herangehensweise. Gewonnene Kilowattstunden (KWh) bringen dem Klimaschutz nichts, wenn der Nutzen für das Klima durch Verlust an Biodiversität verloren geht. Gesunde Ökosysteme, wie beispielsweise Meere, Wälder oder Moore, können einen großen Beitrag zur Senkung von Treibhausgasemissionen leisten.

Ebenso wenig funktioniert Naturschutz ohne den Klimaschutz und den Umstieg auf erneuerbare Energien. Der Weltklimarat IPCC und der Biodiversitätsrat IPBES warnen vor unwiderruflichen Folgen des Klimawandels auf Ökosysteme und dem damit einhergehenden Verlust von Arten, vor Naturkatastrophen und Extremwetterereignissen. Wenn CO2-Ausstoß und Temperaturen weiter steigen wie bisher, zieht die Natur ohnehin den Kürzeren – auch ohne Naturzerstörung durch technische Neuerschließungen.

Gemessen an gewonnenen KWh oder geretteten Individuen gefährdeter Arten wäre es für beide Disziplinen auf dem Papier erfolgsversprechender, den gegenseitigen Player außen vor zu lassen. Dabei wird das eigentliche Ziel, nämlich die Erderwärmung einzudämmen, außer Acht gelassen. Dieses kann nur dann erreicht werden, wenn Klima-, Umwelt-, Landschafts-, und Naturschutz gemeinsam gedacht werden.

Hinderlich ist dabei, dass weder Natur- noch Klimaschützer Projekte finanzieren und planen, sondern dass es Anlagenbetreiber oder energieerzeugende Firmen sind, die wirtschaftliche Ziele verfolgen. Der Klimaschutzgedanke lässt diese grün dastehen und dem Naturschutz wird der schwarze Peter als Verhinderer zugeschoben. Auch die Förderpolitik tut das ihre dazu, indem sie es einerseits für Betreiber attraktiv macht, auch an (wenig geeigneten) B-Standorten zu planen, andererseits keine ökologischen Kriterien an die Vergabe von Fördergeldern knüpft.

Was meist völlig fehlt, ist eine Diskussion über das Potential des Energiesparens. Mittels Anreizsystemen könnten einfache Maßnahmen vorangetrieben werden, die den Neubau von Anlagen gar nicht erst notwendig machen. Dieses Bewusstsein und die dazugehörigen Gesetze fehlen aber noch gänzlich. Solange das Energiesparen nicht eingefordert wird, ist auch die Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen nicht nachhaltig, weil aufgrund des immer steigenden Energiebedarfs keine Anlagen zur fossilen Energieerzeugung abgedreht werden können. Doch war das nicht eigentlich der Gedanke der Energiewende?

Gibt es eine Lösung?

DIE Lösung dafür gibt es (noch) nicht. Ein wichtiger Punkt, um Konflikten im Vorhinein aus dem Weg zu gehen wäre es, Naturschutzorganisationen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt in den Planungsprozess einzubinden. Das gilt einerseits für die Erarbeitung von Gesetzesgrundlagen: so wären z.B. ökologische Kriterien im EAG berücksichtigt worden oder es würden Technologien vorgeschrieben werden, die den Erhalt der Natur unterstützen, wie bspw. ein Vogelradar, Fischaufstiegshilfen, Doppelnutzung von Photovoltaik-Flächen etc.; andererseits gilt das auch für die Mitarbeit an Entwicklungskonzepten der Länder in Bezug auf die Ausweisung von Vorrang- und Verbotsflächen und an der Planung von Anlagen selber.

Klimawandel und Biodiversitätskrise stehen in engem Zusammenhang und verstärken sich gegenseitig, daher ist wahrer Klimaschutz nur jener, der auch den Artenschutz berücksichtigt. Nur durch ein Miteinander kann der Kampf gegen die Erderwärmung gelingen.

Irene Welebil ist Mitarbeiterin der Abteilung Raumplanung und Naturschutz des Österreichischen Alpenvereins und beschäftigt sich u.a. mit der kritischen Mitgestaltung der Energiewende.

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