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Schnee von morgen

Schnee von morgen | Reißt die Lifte ab?

Wieviel Radikalität brauchen wir?

von Lisa Amenda 08.02.2021
PG-Leser Hannes wünscht sich, wie wahrscheinlich viele von uns, radikale Forderungen und radikale Lösungen- was sonst könnte dem riesigen Problem Klimawandel denn auch sonst gerecht werden? Immer neue Tropfen auf immer heißer werdende Steine reichen nicht. Er findet, gerade in der Outdoor-Industrie beinhaltet der Nachhaltigkeitstrend auch viel Selbstbetrug.

Der folgende Aufruf von Hannes, die Lifte abzureißen, bezieht sich nicht nur auf die realen Skilifte, sondern vor allem auf die “Lifte in den Köpfen”. Er fordert also mehr Radikalität, die er unter anderem in der Schnee von morgen Kolumne oft vermisst. Auf der nächsten Seite antwortet Lisa, häufigste Autorin der Kolumne, auf seine Kritik und fragt sich: Was würde es denn bringen, die Lifte abzureißen? Und ist das überhaupt radikal?

Reißt die Lifte ab!

Reißt die Hütte ab, singt Mickie Krause verzweifelt, denn niemand hört auf ihn. Es gibt kein richtiges Leben im falschen, hieß es nämlich schon im letzten Jahrhundert etwas gewählter. Was wollen wir an derart klaren Botschaften nicht verstehen? Konsequent angewandt bleiben dem umweltbewussten Wintersportler drei Möglichkeiten:

  • In Agonie verfallen, weiter jedes Wochenende 200km in die Alpen fahren, Natur konsumieren, mit allem was dazu nötig ist.
  • Den Widerspruch Naturschutz – Wintersport erkennen und sein Hobby aufgeben.
  • Einen radikalen Wandel unterstützen.

Keine Möglichkeit ist die Politik der kleinen Schritte, denn sie dient nur dazu, den Status quo zu zementieren. Man kann wunderbar sein Gewissen beruhigen, indem man Schneehühner mit Skistöcken aus Bambus statt Alu aufschreckt. Man ist genauso Teil einer überhitzten Freizeitindustrie, wenn man Kleidung aus Naturfaser statt Polyester trägt. Die Politik der kleinen Schritte ist, wie in Hungerstreik zu treten, aber erstmal nur keine Schokolade zu essen. Wie Gleichstellung der Geschlechter zu fordern, aber nur am Wochenende.

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Kein Abschieben der Verantwortung auf Individuen! Wie das Märchen vom Tellerwäscher zum Millionär letztlich nur ein Angebot an die Gier ist, das soziale Gerechtigkeit verhindert, ist das Märchen von den kleinen, bequemen Schritten, die jeder selbst setzen kann, ein Angebot an die Faulheit, das echten Wandel unmöglich macht.

Angesichts der Entwicklung der letzten Jahrzehnte im Skitourismus stellt sich die Frage, ob man diesen einfach so sanft verlangsamen kann und an einem passenden Punkt einfrieren, oder ob man ihn prozesshaft begreifen muss, wobei Wachstum ein notwendiger Teil des Prozesses ist, auf den nicht verzichtet werden kann.

Darum: schlachtet die heiligen Kühe, reißt die Lifte ab! Es wäre ein Schritt groß genug, um nicht reines Symbol zu bleiben und einen echten Wandel anzustoßen und klein genug, um nicht völlig realitätsfern zu sein. Er würde das Gebirge wieder mit Leere füllen, mit Platz für neuen Zauber. Es wäre eine selbst gewählte Leere.

Ihr meint der Vorschlag wäre derart utopisch, dass er doch wieder der gleiche Selbstbetrug bleibt, wie ein selbst gemachter Müsliriegel anstatt der Industrieschokolade als Gipfelsnack? Nein, denn der selbstgemachte Müsliriegel beinhaltet die Möglichkeit des Scheiterns nicht, er ist ein leicht erreichbares Ziel, man isst die lähmende Zufriedenheit mit. Wer Lifte einreißen will, muss sich auf lebenslanges Scheitern einstellen und es aushalten.

Und bis dahin? Natürlich ist es besser weniger Fleisch zu essen und Fahrtgemeinschaften zu bilden, aber man sollte misstrauisch bleiben, wenn Lösungen auf große und komplexe Probleme allzu einfach und bequem daherkommen, wie der Verzicht auf den Strohhalm statt auf die Piña Colada.

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Reißt die Lifte ab - und dann?

Hannes findet meine Kolumne zu wenig radikal. Weichspüler Nachhaltigkeit also. Seine Forderung: Entweder vollkommener Fatalismus und weitermachen wie bisher, oder sofort alle Lifte abreißen. Interessanter Gedanke, eigentlich. Denn in einem Punkt muss ich ihm zustimmen: radikal ist diese Kolumne nicht. Vor allem, da wir als Skifahrer und Skifahrerinnen wohl in einem ewigen inneren Zwiespalt leben. Ich habe es auch schon mit radikal probiert und auf meinem Blog nach mehr Radikalität gefordert. Doch wo würde das, realistisch, hinführen?

Schon klar, ob ich jetzt mit Bambusskistöcken oder energie- und ressourcenverschwenderischen Alustöcken die Birkhühner aufscheuche, oder mit Naturfaser-Funktionsunterwäsche oder erdölverschwendendem Polyester die Berge hinauf stapfe, ist eigentlich egal. Teil der “überhitzten Freizeitindustrie“ bin ich trotzdem, da hat er recht. Aber immerhin habe ich auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen weniger Ressourcen verschwendet. Ich stimme ihm auch in dem Sinne zu, dass man die Probleme der Welt, die Lösung des Klimawandels, nicht auf die Individuen, die Bürgerinnen und Bürger abschieben kann. Die Politik ist gefragt. Die Wirtschaft. Ein Umdenken in jeglichen Lebensbereichen. Und deshalb reicht es nicht aus, Müsliriegel selber zu backen, recyceltes Gore-Tex zu kaufen, oder in Fahrgemeinschaften in die Berge zu fahren. Wenn die Politik etwas ändern soll, dann muss auch jede und jeder einzelne bereit sein etwas zu ändern. Und das fängt bei der nächsten Wahl an. Geht und setzt die Stimme für die Parteien, die sich für solche Probleme einsetzen und vor allem für einen Systemwandel. In den Alpen leben wir in Demokratien und das Gut solch politischer Systeme ist die Mitbestimmung jeder und jedes Einzelnen. Diese Verantwortung dürfen wir nicht von uns wegschieben.

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Würde es denn etwas bringen, die Lifte abzureißen? Stünden wir dann nicht genau vor den gleichen Problemen wie eben jetzt? In Deutschland haben wir dazu nämlich gerade eine Art Probelauf. Alle Skigebiete sind geschlossen. Ausnahmslos. Und was passiert? Die Menschen pilgern trotzdem scharenweise in die Berge und rennen mit der neugekauften Skitourenausrüstung ahnungslos im Gelände umher. Parkplätze südlich von München bersten schier auseinander, Gemeinden stellen Schilder gegen Münchner auf. Das Miteinander wird zum puren Gegeneinander. Dasselbe Bild in den deutschen Mittelgebirgen: Gehen die Menschen Skifahren? Nein. Laufen die Lifte? Nein. Würde es dann also einen Unterschied machen, wenn wir die Lifte abreißen? Würden sich die Täler wieder mit Leere, mit dem Platz für neuen Zauber füllen? Den neuen Zauber kann ich erklären: Er heißt Schneeschuhgehen, Langlaufen, Skitourengehen, Schlittschuhlaufen, Winterwandern, Rodeln, Spazieren gehen und, und, und. Wahrscheinlich würden etwas weniger Menschen in die Berge fahren und es würde keine Aprés-Ski-Parties mehr geben.

Aber hätten wir dadurch alle Probleme gelöst? Würden wir deshalb glücklich und mit der größtmöglichen Artenvielfalt unseres Planeten bis in alle Ewigkeit weiterleben? Nein. Denn die Menschen wollen hianus, sich bewegen. In die Natur. Kann ihnen das irgendjemand verbieten? Kann ihnen, uns selbst, irgendjemand vorschreiben, wie wir leben sollen? Nein. Denn dahinter steht doch die ganz grundsätzliche Frage: Wie will jemand sein persönliches Leben gestalten?

Deswegen sage ich es ganz einfach: Die Lifte abzureißen reicht nicht aus. Es würde die Gebirge wieder natürlicher machen und ja, die Menschen, die im Skitourismus arbeiten, würden neue Jobs finden, da wäre ich sicher. Aber sie müssten aus den Gebirgstälern abwandern. Wahrscheinlich in die Städte. Das würde den Bevölkerungsdruck auf die urbanen Räume erhöhen. Das würde eventuell psychische Probleme, Stress, Krankheiten bei den betroffenen Personen vergrößern oder erst entstehen lassen. Der Wohnraum würde noch knapper werden und das hätte eine verstärkte Versiegelung zur Folge. Ein Artensterben im Kleinen.

Ich möchte noch eine andere Frage in den Raum werfen: Ist es denn der Wintersport allein, der diese Probleme befeuert bzw. gar die Möglichkeit bringt, diese Probleme zu lösen? Nein. Ganz entschieden. Der Wintersport ist aus der hedonistischen Lebensweise der Menschen entstanden. Weil sie sich irgendwann nicht mehr den ganzen Tag um die Besorgung ihrer Nahrungsmittel kümmern mussten und Zeit hatten. Er ist purer Luxus. Wir beschäftigen uns hier mit reinen Luxusproblemen. Nicht mehr und nicht weniger. Ein schöner Zeitvertreib eben. Würde der Wintersport jetzt also wegfallen, würden sich die Menschen neue Hobbies suchen. Zeit haben sie ja schließlich immer noch. Also schaffen wir meinetwegen den Wintersport ab. Geben wir das Skifahren auf. Wir Deutschen haben nach diesem Corona-Winter eh schon Übung darin. Man gewöhnt sich an alles. Doch jetzt stehen wir immer noch vor dem Problem, dass sich die Erde überhitzt, dass die Meeresspiegel steigen werden und sich vermutlich Extremereignisse und Naturkatastrophen vermehren werden. Wählen wir also immer noch die falschen Parteien, kaufen Billig-Fleisch und fördern somit die Abholzung des Regenwalds oder greifen zum 100. Polyester-Tshirt, weswegen dann noch mehr Erdölreserven angezapft werden müssen, dieses Mal vielleicht in einem Naturschutzgebiet in der Arktis, dann wird sich nichts an unserer jetzigen Situation ändern, auch ohne Skifahren. Wie viel sollten wir uns für den radikalen Schutz der Erde verbieten müssen? Und vor allem, wie viel wollen wir uns verbieten? Denn wenn wir ehrlich sind, dürften wir hier nichts im Internet lesen (man denke an die Serverkapazitäten im Hintergrund), keinen Schritt vor die Haustür machen, geschweige denn die Heizung anschalten oder einen Atemzug machen.

Und wenn wir uns dann noch nur auf uns selbst, das eigene Land, die eigene Region fokussieren, dann werden wir nicht weiter kommen. Wir müssen begreifen, dass die Welt zusammenhängt. Alles. Vom Plankton im Meer bis zum Hirsch in unseren Wäldern. Dass ein Skigebiet in British Columbia in einem Naturschutzgebiet auch uns etwas angeht. Oder wollen wir zurück zu engstirnigem Nationalismus? Der Klimawandel kennt keine Grenzen. Deswegen sollten die Nachhaltigkeit und der Naturschutz auch keine Ländergrenzen kennen. Aber wenn wir das noch nicht verstanden haben, dann müssen wir uns wohl eingestehen, dass wir hier nicht vergebens versuchen die Erde zu retten, sondern dass wir jetzt schon mit bestem Wissen und Gewissen dabei sind, unser Zuhause grundlegend zu zerstören. Und vor allem uns selbst. Denn die Erde wird überleben. Die Natur wird sich regenerieren. Wir Menschen nicht. Und wenn hier die Forderung nach mehr Radikalität im Raum steht, würde ich gerne mit dem radikalsten aller Gedanken abschließen: Wenn wir als Spezies Mensch nicht in der Lage sind auf unseren Heimatplaneten aufzupassen, haben wir dann überhaupt verdient weiter auf ihm zu leben?

Im Hinblick auf diese Alternative: Wollen wir dann nicht doch der Menschheit noch eine Chance geben, die Hoffnung nicht aufgeben und den philanthrophischen Weg der bisherigen Schnee von morgen-Ausgaben weiter gehen – ohne unseren radikalen Geist vollkommen zu verlieren?

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