Je heller die Lampe, desto größer die Störung
In einem Tourenportal stand zu lesen: "Beachtet, dass alpine Touren bei Nacht höhere Anforderungen an den Bergsteiger stellen als Touren bei Tageslicht." Es folgte die Empfehlung einer leistungsstarken Stirnlampe mit Ersatzbatterien. Damit steigen aber auch die Anforderungen an die heimische Tierwelt. Hochleistungsstirnlampen leuchten einen sehr weiten Bereich sehr hell aus und sorgen somit weit über den genutzten Bereich hinaus für Störung. Es wird nicht nur die unmittelbare Spur, der unmittelbare Weg oder die Piste ausgeleuchtet, sondern auch die Bereiche daneben. Wie z.B. das sichere Unterholz oder schutzbringende Baumgruppen.
Viele Wildtiere verweilen tagsüber in ihren Einständen und wagen sich nur bei Dämmerung und Dunkelheit auf die offenen Flächen. Das zeigt zum Beispiel eine Studie mit besendertem Rotwild im Schwarzwald (Coppes et al., 2017. Human recreation affects spatio-temporal habitat use patterns in red deer (Cervus elaphus)). Untertags verharrt das Rotwild im Wald, sucht Schutz im dichten Baumbestand und kommt erst in der Dunkelheit auf die Flächen, die tagsüber von Erholungssuchenden stark genützt werden.
Viele unserer heimischen Wildtiere wie Füchse, Rot- und Rehwild oder Wildschweine wären grundsätzlich tagaktive Tiere, aber da tagsüber viele Menschen unterwegs sind, haben sie ihren Lebensrhythmus entsprechend geändert und ihre Aktivitäten, etwa Nahrungsaufnahme und Partnersuche, auf die Nacht verlegt. Sie weichen uns Menschen sozusagen nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich aus. "Wildtiere lernen, dass Erholungsnutzung überwiegend tagsüber stattfindet, und meiden demzufolge tagsüber Gebiete in der Nähe von Wegen, aber nicht nachts (Gaynor et al. 2018, Lesmerises et al. 2017, Westekemper et al. 2018). Variiert das Risiko hingegen zeitlich auf unvorhersehbare Weise, etwa wenn Erholungsnutzung gelegentlich auch spätabends nach Sonnenuntergang oder frühmorgens vor Sonnenaufgang stattfindet, wird diese zeitlich kaum vorhersehbare, plötzlich auftretende und somit schwer einschätzbare Störung potenziell als größeres Risiko wahrgenommen, woraus sich eine deutlichere Reaktion ergibt (Cromsigt et al. 2013, Gaynor et al. 2019, Lima & Bednekoff 1999)." (Peters et al., 2023, Welche Auswirkungen haben Erholungs-aktivitäten auf Verhalten, Physiologie und Demografie von Wildtieren? Ergebnisse einer vergleichenden Literaturstudie.)
Dringen wir nun mit unseren Spezialausrüstungen in diese Randzeiten ein, kommen die Tiere wahrlich in Bedrängnis. In den Dämmerungszeiten finden die Tiere die notwendige Ruhe, um Nahrung aufzunehmen, die sie vor allem in der winterlichen Notzeit so dringend für ihr Überleben brauchen. Der helle und weite Lichtkegel der Hightech-Stirnlampen verursacht einen großen Störungsradius und zwingt die Tiere, in der Deckung zu bleiben oder gar tiefer in den schützenden Wald zu flüchten. Dadurch fehlen ihnen wichtige Phasen für die Nahrungsaufnahme und für die Energiegewinnung. Schlimmer noch: die Energie wird durch eine anstrengende Flucht im Schnee aufgebraucht.
Realitätscheck: Skitouren in Tirol im freien Gelände
Das Angebot an nächtlichen Aktivitäten ist groß, doch wie schaut´s tatsächlich mit Skitouren im freien Gelände in Tirol aus?
Seit dem Winter 2014/15 betreibt das Land Tirol im Rahmen des Programms "Bergwelt Tirol – Miteinander Erleben" ein Messnetz zum Monitoring von Outdoorsportarten. Zur Messung werden LVS-Checkpoints der Firma Girsberger eingesetzt. Die Erfassung der Frequenzen mit Datum und Uhrzeit erfolgt mit dem integrierten LVS-Sensor, der vorbeigehende Skibergsteiger:innen erfasst, die ihr LVS-Gerät aktiviert haben (Skibergsteiger:innen, die ihr LVS-Gerät nicht aktiviert haben, werden mittels IR-Sensor gezählt. Dieses Signal wurde aber für die Fragestellung nicht ausgewertet). Insgesamt konnten die Daten von mittlerweile 33 Messstationen mit 337.453 Signalen ausgewertet werden. (Annahme: die Signale werden sowohl bei Aufstieg als auch bei Abfahrt der Skitouren detektiert. Die Grundgesamtheit der gegangenen Skitouren beläuft sich somit auf 168.727 (=337.453 / 2)).