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Schnee von morgen

Schnee von morgen | Nachtskitouren

Wildtiere brauchen auch Ruhe!

von Birgit Kantner (ÖAV) • 13.02.2023
Mondscheintouren, Vollmondwanderungen, Nachtskitouren, Nachtrodeln sowie Sonnenaufgangs- und Dämmerungstouren, die Bandbreite der Veranstaltungen zu nächtlicher Stunde ist groß. Der Tag scheint für viele nicht lang genug zu sein, so macht man sich die Nacht einfach sprichwörtlich zum Tag. Was für Wintersportler:innen ein besonderes Erlebnis sein mag, beeinträchtigt leider viele Wildtiere.

Dunkel war's, der Mond schien helle, Schnee lag auf der grünen Flur. Als ein Tourengeher blitzeschnelle […] um die […] Ecke fuhr. 

Mit einer guten Stirnlampe schlägt man dem späten Sonnenaufgang und frühen Sonnenuntergang im Winter ein Schnippchen und taucht den sonst finsteren Weg oder die unbeleuchtete Piste in ein kleines Flutlicht. Ziel des kleinen Utensils auf dem Kopf ist, das Gelände perfekt zu erhellen, damit man alle Hindernisse und Unwegsamkeiten frühzeitig erkennen kann und auch den weiteren Wegverlauf im Auge behält. Um allen Ansprüchen gerecht zu werden, haben sich die Sportartikelhersteller:innen so einiges einfallen lassen: Minimalgewicht, Hochleistungsakkus mit einer Leuchtdauer von 800 Stunden, Leuchtweiten bis 300 m und Leuchtstärken von bis zu 3.000 Lumen (1). "Betty" nennt sich die weltweit hellste Stirnlampe (schenkt man dem Hersteller Glauben). Sie strahlt mit gigantischen 5.400 Lumen, leuchtet eine Reichweite von 360 m aus und weist eine maximale Helligkeit von 320 Lux (1) auf. Vom Hersteller wird sie als das absolute Maximum der Technik angepriesen, dass genug Leistung aufweist, ganze Täler mit Licht zu fluten.

Zum Vergleich:

Eine normale Kerze bzw. ein Teelicht strahlt mit 10 Lumen, ein Beamer mit 800-2.000 Lumen und beim Auto strahlen Halogenscheinwerfer mit 55 Watt, das entspricht ungefähr 1.200-1.500 Lumen. Xenonscheinwerfer schaffen 35 Watt, das entspricht 3.000 Lumen. In Wohnräumen allgemein misst die Beleuchtung zwischen 200 und 300 Lux.

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Je heller die Lampe, desto größer die Störung

In einem Tourenportal stand zu lesen: "Beachtet, dass alpine Touren bei Nacht höhere Anforderungen an den Bergsteiger stellen als Touren bei Tageslicht." Es folgte die Empfehlung einer leistungsstarken Stirnlampe mit Ersatzbatterien. Damit steigen aber auch die Anforderungen an die heimische Tierwelt. Hochleistungsstirnlampen leuchten einen sehr weiten Bereich sehr hell aus und sorgen somit weit über den genutzten Bereich hinaus für Störung. Es wird nicht nur die unmittelbare Spur, der unmittelbare Weg oder die Piste ausgeleuchtet, sondern auch die Bereiche daneben. Wie z.B. das sichere Unterholz oder schutzbringende Baumgruppen.

Viele Wildtiere verweilen tagsüber in ihren Einständen und wagen sich nur bei Dämmerung und Dunkelheit auf die offenen Flächen. Das zeigt zum Beispiel eine Studie mit besendertem Rotwild im Schwarzwald (Coppes et al., 2017.  Human recreation affects spatio-temporal habitat use patterns in red deer (Cervus elaphus)). Untertags verharrt das Rotwild im Wald, sucht Schutz im dichten Baumbestand und kommt erst in der Dunkelheit auf die Flächen, die tagsüber von Erholungssuchenden stark genützt werden.

Viele unserer heimischen Wildtiere wie Füchse, Rot- und Rehwild oder Wildschweine wären grundsätzlich tagaktive Tiere, aber da tagsüber viele Menschen unterwegs sind, haben sie ihren Lebensrhythmus entsprechend geändert und ihre Aktivitäten, etwa Nahrungsaufnahme und Partnersuche, auf die Nacht verlegt. Sie weichen uns Menschen sozusagen nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich aus. "Wildtiere lernen, dass Erholungsnutzung überwiegend tagsüber stattfindet, und meiden demzufolge tagsüber Gebiete in der Nähe von Wegen, aber nicht nachts (Gaynor et al. 2018, Lesmerises et al. 2017, Westekemper et al. 2018). Variiert das Risiko hingegen zeitlich auf unvorhersehbare Weise, etwa wenn Erholungsnutzung gelegentlich auch spätabends nach Sonnenuntergang oder frühmorgens vor Sonnenaufgang stattfindet, wird diese zeitlich kaum vorhersehbare, plötzlich auftretende und somit schwer einschätzbare Störung potenziell als größeres Risiko wahrgenommen, woraus sich eine deutlichere Reaktion ergibt (Cromsigt et al. 2013, Gaynor et al. 2019, Lima & Bednekoff 1999)." (Peters et al., 2023, Welche Auswirkungen haben Erholungs-aktivitäten auf Verhalten, Physiologie und Demografie von Wildtieren? Ergebnisse einer vergleichenden Literaturstudie.)

Dringen wir nun mit unseren Spezialausrüstungen in diese Randzeiten ein, kommen die Tiere wahrlich in Bedrängnis. In den Dämmerungszeiten finden die Tiere die notwendige Ruhe, um Nahrung aufzunehmen, die sie vor allem in der winterlichen Notzeit so dringend für ihr Überleben brauchen. Der helle und weite Lichtkegel der Hightech-Stirnlampen verursacht einen großen Störungsradius und zwingt die Tiere, in der Deckung zu bleiben oder gar tiefer in den schützenden Wald zu flüchten. Dadurch fehlen ihnen wichtige Phasen für die Nahrungsaufnahme und für die Energiegewinnung. Schlimmer noch: die Energie wird durch eine anstrengende Flucht im Schnee aufgebraucht.

Realitätscheck: Skitouren in Tirol im freien Gelände

Das Angebot an nächtlichen Aktivitäten ist groß, doch wie schaut´s tatsächlich mit Skitouren im freien Gelände in Tirol aus?

Seit dem Winter 2014/15 betreibt das Land Tirol im Rahmen des Programms "Bergwelt Tirol – Miteinander Erleben" ein Messnetz zum Monitoring von Outdoorsportarten. Zur Messung werden LVS-Checkpoints der Firma Girsberger eingesetzt. Die Erfassung der Frequenzen mit Datum und Uhrzeit erfolgt mit dem integrierten LVS-Sensor, der vorbeigehende Skibergsteiger:innen erfasst, die ihr LVS-Gerät aktiviert haben (Skibergsteiger:innen, die ihr LVS-Gerät nicht aktiviert haben, werden mittels IR-Sensor gezählt. Dieses Signal wurde aber für die Fragestellung nicht ausgewertet). Insgesamt konnten die Daten von mittlerweile 33 Messstationen mit 337.453 Signalen ausgewertet werden. (Annahme: die Signale werden sowohl bei Aufstieg als auch bei Abfahrt der Skitouren detektiert. Die Grundgesamtheit der gegangenen Skitouren beläuft sich somit auf 168.727 (=337.453 / 2)).

Für die Statistik wird die "Sonnenaufgangsstunde" (30 min vor und 30 min nach Sonnenaufgang) als Stunde 0 gezählt. Bis zur Stunde 0 liegt der Anteil der empfangenen Signale bei 19.105. Das heißt, es wurden 19.105 Touren bis zur Stunde 0 gestartet. Dabei wird davon ausgegangen, dass bei Dunkelheit aufgestiegen und bei Tageslicht abgefahren wird. Die Zählungen vor Sonnenaufgang werden deshalb nicht halbiert (wie die Grundgesamtheit der Touren), weil es sich um 1 Funksignal vor Sonnenaufgang pro Tourengeher handelt. Das zweite Funksignal bei der Abfahrt kommt erst später und ist für den beobachteten Zeitraum somit nicht relevant.

Ab der Sonnenuntergangsstunde (30 min vor und 30 min nach Sonnenuntergang) liegt der Anteil an empfangenen Signalen (= Touren) bei 5.932. Bei Sonnenaufgang wurde somit ca. dreimal so häufig gegangen/gefahren wie bei Sonnenuntergang.

Abbildung 3 unten in der Bildergalerie zeigt, dass insgesamt 7,42 % der Skitouren in der Früh oder am Abend in die Dämmerungszeit hineinreichen. Der Schwerpunkt liegt eindeutig in den Morgenstunden. Der zeitige Aufbruch bei Frühjahrsskitouren ist aus Sicherheitsgründen und auf Grund der besseren Schneequalität am Vormittag nachvollziehbar, überschneidet sich aber dennoch mit der frühmorgendlichen Aktivität von Wildtieren.

Die fast 2 %, die in der abendlichen Dämmerung am Weg sind und in die Nacht geraten, sind jedoch sowohl aus Sicherheitsgründen als auch vom ökologischen Gesichtspunkt her bedenklich. Je nach Schneelage, Witterung und Fitness der Tiere können diese wenigen Störungen sich schon gravierend auf das (Über-)Leben des Einzelindividuums auswirken.

Die Natur, insbesondere die Tiere, benötigen räumliche und zeitliche Nischen, in die sie sich störungsfrei zurückziehen können. Wer mithelfen will, Wildtiere im Winter nicht zu sehr zu beunruhigen, sollte Touren in der Dämmerung und in der Nacht im freien Gelände vermeiden. Wer sich outdoor fit halten will und guten Gewissens bei Dunkelheit losziehen möchte, dem sei zu den extra dafür freigegebenen Pistentouren im nahen Skigebiet geraten.

1) Lumen (lat. Licht) ist die abgestrahlte Leistung und damit wird, vereinfacht gesagt, die Helligkeit der Stirnlampe bezeichnet. Die Leuchtweite gibt die Distanz an, die eine Lampe maximal ausleuchten kann.

2) Lux (lat.) beschreibt wie viel Licht auf eine Fläche fällt. 1 Lux bedeutet, dass eine Fläche von 1m² gleichmäßig mit 1 Lumen beleuchtet wird.

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