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Schnee von morgen

Schnee von morgen | Nicht ablenken lassen

Der Schnee von gestern ist der Schnee von heute und morgen

von Lea Hartl • 22.11.2021
Heute beschäftigen wir uns bei Schnee von morgen nicht so sehr mit der Zukunft, sondern vor allem mit der Vergangenheit. Die französische Öl- und Gasfirma Total ist nach ExxonMobil, Chevron und Royal Dutch Shell der viertgrößte Player am Markt. Schon vor über 50 Jahren wusste das Total Management nachweislich von den negativen Auswirkungen der Verbrennung fossiler Brennstoffe auf das Klima.

In einer aktuellen umwelthistorischen Studie wird detailliert beleuchtet, wie Total seit den ersten, firmeninternen Untersuchungen zum Klimawandel gezielt mit Imagekampagnen und PR-Strategien die öffentliche Meinung und das Policymaking beeinflusst. (Bonneuil, Christophe, Pierre-Louis Choquet, and Benjamin Franta. "Early warnings and emerging accountability: Total’s responses to global warming, 1971–2021." Global Environmental Change (2021): 102386.) Diese Studie ist nicht die erste ihrer Art. Ähnliches zu Exxon, BP und Shell ist lange bekannt und die Erkenntnisse zu Total sind nicht überraschend, in der Detailtiefe aber doch mal wieder eindrücklich. 

Die 20 größten Öl- und Gasfirmen haben über ein Drittel der Treibhausgasemissionen der letzten 70 Jahre produziert. Schon in den Jahren nach 1945 war die Ölindustrie immer wieder mit Kritik bezüglich Umweltverschmutzung konfrontiert, vor allem hinsichtlich Luftverschmutzung und Ölunfällen. Als der Klimawandel in den 1960ern als policy-relevantes Thema aufzukommen begann, hatten die Firmen vielfach schon Übung darin, die öffentliche Wahrnehmung zu steuern.

Interessenvertretungen der Industrie, wie das American Petroleum Institute (API), die Global Climate Coalition (GCC) und die International Petroleum Industry Environmental Conservation Association (IPIECA) sind seit Jahrzehnten als Meinungsmachermaschinen bekannt. Die auf Archivrecherche und Primärquelleninterviews beruhende Studie von Bonneuil et al. befasst sich vor allem mit dem Informationsaustausch und der Strategieentwicklung im IPIECA Dunstkreis, dem die französischen Ölfirmen Total und Elf angehören.

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Konzeptionell bewegt sich die Studie im Bereich der Agnotologie, einem Forschungszweig, der sich mit den Mechanismen und der Verbreitung von Unwissen befasst. Die Wikipedia Definition präzisiert: “Ihr Erkenntnisgegenstand ist, wie Unwissen durch Manipulation, irreführende, falsche oder unterdrückte Informationen, Zensur oder andere Formen absichtlicher oder versehentlicher kulturpolitischer Selektivität geschaffen oder gesichert werden kann.”

Im Klimawandelkontext geht es in diesem Zusammenhang oft darum, dass durch gezielte Lobbying Kampagnen, sowie rhetorische und argumentative Framing Strategien versucht wird, vom Thema abzulenken und/oder die Klimawissenschaften zu diskreditieren. Neben diesen sehr aggressiven Formen der Fake News Produktion gibt es auch subtilere, banalere Effekte, die teils unabsichtlich geschehen, insbesondere “willful blindness”, also das mehr oder weniger bewusste Ignorieren des Problems. Mit anderen Worten: Laute Botschaften bezüglich Klimaschutz und vermeintlicher oder tatsächlicher Einsatz für klimafreundlichere Technologien lenken von der Haupteinnahmequelle und dem Hauptproblem ab: der Verbrennung fossiler Brennstoffe. Intern werden Augen und Ohren fest verschlossen, sofern nicht bewusst gelogen wird. 

Die Studie zeichnet am Beispiel von Total eine Chronologie der immer wieder wechselnden Firmenstrategien, von der direkten Klimawandelleugnung in den frühen 1990er Jahren bis zu den aktuellen Formen der strategischen Philanthropie und dem Bewerben peripherer “Lösungen”.

Greenwashing, Marketing und der persönliche Fußabdruck

Was hat das mit Schnee und Winter zu tun? Direkt nicht allzu viel, aber wir sind hier bei Schnee von morgen, wo viele Themen ineinander verschwimmen. Die in der Studie dargelegten Kommunikationstaktiken kommen immer noch in vielen Bereichen zum Einsatz, auch weit weg von der offensichtlich vorbelasteten Öl- und Gasindustrie. Insbesondere die Betonung vermeintlicher Lösungen, die das Hauptproblem nicht ansprechen, ist gegenwärtig populär. Darunter fällt einerseits typisches Greenwashing, wie wir es unter anderem aus der Wintersportindustrie kennen. Andererseits auch durchaus löbliche Bemühungen, die gut und richtig sind, aber nicht ausreichend, um das Problem zu lösen. 

BP investiert in Unicorn Start-Ups im Sustainability Bereich, etwa eine App, mit der man den eigenen CO2 Fußabdruck tracken kann. BP war auch maßgeblich daran beteiligt, den Begriff “carbon footprint” mittels Werbekampagnen im kollektiven Bewusstsein zu etablieren. Das Verschieben der Verantwortung weg von der Industrie und hin zu individuellen Entscheidungen ist ein bewusster Schachzug. Ist es gut, über den eigenen Lebensstil nachzudenken, weniger zu fliegen, zu recyclen und mit dem Bus ins Skigebiet zu fahren? Sicher. Aber vor allem müssen die fossilen Brennstoffe müssen im Boden bleiben. 

Bei der kürzlich zu Ende gegangenen COP 26 in Schottland haben 105 Länger beschlossen, die Methanemissionen bis 2030 um 30% zu senken. Das ist ein wichtiger Schritt in eine gute Richtung. Es ist auch einfach zu erreichen, kostet nicht viel und tut niemand weh. Methanemissionen entstehen unter anderem als Nebenprodukt der Förderung fossiler Brennstoffe. Wenn man die entsprechende Infrastruktur etwas auf Vordermann bringt, sind Methanlecks schnell behoben, ohne dass man auch nur ein bisschen weniger Öl und Gas fördern müsste. Die Methanvereinbarung ist durchaus wertvoll und eine signifikante Reduktion von Methanemissionen ist vor allem kurzfristig effektiv, um den Temperaturanstieg zu bremsen. Es besteht allerdings die Gefahr, dass der Eindruck entsteht, die Reduktion von Methanemissionen würde CO2 Emissionen irgendwie wett machen. Um das sehr optimistische 1.5°C Ziel einzuhalten, reicht es nicht, fossile Brennstoffe sauberer zu fördern. Sie müssen im Boden bleiben. 

Die Ölfirmen Total und Elf gaben bis Ende der 1980er Jahre einiges an Geld für Kunst- und Kulturförderung aus. Diese Programme wurden eingestellt. Seit 1991 gibt es "gemeinnütziges" Geld ausschließlich für Meeresschutzinitiativen, Biodiversitätsprojekte, Baumpflanzgruppen und ähnliches. Bäume sind toll, aber: Die fossilen Brennstoffe müssen im Boden bleiben. 

In diesem Sinne: Lassen wir uns nicht ablenken!

Auf der nächsten Seite gibt es eine kurze Zusammenfassung einiger Punkte aus der erwähnten Studie, die nachzeichnet, wie sich die Klimastrategie von Total seit den 1970ern entwickelt hat. --->

Zusammenfassung der Total-Timeline

1971 publizierte die Firmenzeitschrift von Total einen Artikel, der darlegte, dass sich die CO2 Konzentration in der Atmosphäre durch Nutzung fossiler Brennstoffe erhöht hat und weiter erhöhen wird. Dies würde, so der Artikel, massive Auswirkungen auf das Klima haben. Die “katastrophalen” Konsequenzen seien “leicht vorstellbar”.

Das war zu diesem Zeitpunkt keineswegs neu, sondern spiegelte den Stand der Forschung wieder. Die grundlegenden Zusammenhänge zwischen CO2 und Temperaturen waren seit ca. der Jahrhundertwende (18-1900, nicht 19-2000!) bekannt, aber der Erkenntnisstand wurde nach dem zweiten Weltkrieg wesentlich differenzierter. Das Problem war also hinlänglich bekannt, inklusive quantitativer Abschätzungen zukünftiger Erwärmung. Das Thema hatte damals schon Einfluss auf weitreichende politische Entscheidungen, so wurde etwa in Frankreich 1968 unter anderem aus Klimagründen beschlossen, die Kernkraft verstärkt auszubauen.

In der Auseinandersetzung mit Umweltschutzorganisationen zum Thema Luftverschmutzung verlegten sich die Ölfirmen zunehmend auf das Argument, dass neue Technologien gut für die Umwelt und die Lebensqualität der Menschen seien. Total und Elf gründeten interne Abteilungen, die mit Umweltthemen befasst waren. Laut in der Studie zitierten Interviews mit einem ehemaligen Total Mitarbeiter war der Zweck der Abteilungen, nach außen zu signalisieren, dass man das Thema ernst nehme. 

Intern kam es 1984 zu einem Wendepunkt im Bewusstsein. Die Studie zitiert den “Environmental Director” von Elf, der sich an ein internationales Meeting der Industrie erinnert, bei dem Exxon die eigenen Forschungen zum Klimawandel präsentierte:

“The moment I remember really being alerted to the seriousness of global warming was at an IPIECA meeting in Houston in 1984. There were representatives from most of the big companies in the world there, and the people from Exxon got us up to speed. […] They had remained very discreet about their own research [on global warming] […] Then in 1984, perhaps because the stakes seemed to have become too great and a collective response from the profession required, they shared their concerns with the other companies.” 

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1988 wurde nach einem IPIECA Meeting die “Working Group on Global Climate Change” gegründet, bestehend aus Vertretern der diversen großen Ölkonzerne. Innerhalb der Working Group herrschte Einigkeit, dass bestehende Unsicherheiten in der Klimaforschung betont werden müssten, um politische Entscheidungen zu verhindern, die der Industrie durch strengere Regulierungen das Leben schwer machen würden. In den 1990ern wurde gezielt Geld in Forschung investiert, die entweder die Limitationen von Klimamodellen genauer beleuchtete, oder den Klimawandel potentiell weniger bedrohlich erscheinen lassen würde (bspw. Forschung zu kühlenden Effekten von Aerosolen und Wolken und zur CO2 Speicherung in den Ozeanen). Elf, der französische Ölkonzern, platzierte junge Ingenieure über ein Freiwilligenprogramm in Forschungseinrichtungen (z.B. UCLA, MIT, NCAR), über deren Aktivitäten man genaueres wissen wollte.

Schon 1989 legte der Europäische Kommissar für Umwelt einen Plan für eine Art Öko-Steuer vor, der 1991 von der Europäischen Kommission diskutiert wurde. Die Französische Regierung setzte sich zunächst dafür ein, jedoch wurde die angedachte Ökosteuer ein Jahr später von Dominique Strauss-Kahn, dem neu ernannten Minister für Industrie, blockiert. Der damalige Kommissionspräsident betonte, dass die Blockade ein Ergebnis der Lobbying Arbeit der Ölindustrie war. 

Bei Elf und Total vollzog sich von Anfang bis Mitte der 1990er ein Stimmungswandel. Klimawandelleugnung wurde aufgrund der immer deutlicheren Ergebnisse der Wissenschaft und zunehmender gesellschaftlicher Skepsis gegenüber den Ölmultis langsam kontraproduktiv. Es begann endgültig auch im Öl- und Gassektor die Ära von “sustainable development” und “corporate responsibility”. 

Zunehmend wurden marktbasierte Instrumente beworben, beispielsweise Offset Trading und freiwillige “Verpflichtungen”. Durch dieses Framing wurde Stimmung gegen tatsächliche, verbindliche Regulierung gemacht. Während Elf und Total bis dato Kunst- und Kulturförderung als philanthropischen Firmenarm betrieben hatten, gab es ab 1991 nur noch Geld für Biodiversitätsprojekte, Meeresschutzinitiativen, usw.

Aus einem Zitat von einem führenden Shell Mitarbeiter geht hervor, dass man nicht die gleichen Fehler wie die Tabakindustrie machen wollte. Diese war zu dem Zeitpunkt bereits massiv über ihre gezielten Desinformationskampagnen gestolpert und sah sich mit Massenklagen wegen gesundheitlicher Schäden durch Rauchen konfrontiert.

Die Message war jetzt: Klimawandel existiert, ist aber nicht so schlimm. In internen und externen Berichten wurden etwa Klimawandel und Klimawandelfolgen sprachlich relativiert und der anthropogene Einfluss als unsicher dargestellt. 

Mitte der 00er Jahre vollzog sich ein erneuter Strategiewechsel. Die Wissenschaft wurde nun nicht mehr offen angegriffen, sondern sollte sich um die Theorie kümmern. Die Wirtschaft, bzw. im konkreten Beispielfall die Firma Total, um die praktischen Lösungen. Das öffentliche Image von Total wurde immer mehr auf Linie gebracht, etwa durch öffentliche, finanzielle Unterstützung von Forschung im Bereich Sustainable Development. 

Zwischen 2010 und 2014 investierte Total 127$ Milliarden in Erschließung und Förderung von Öl und Gas. In die firmeneigene Sparte zu erneuerbaren Energien flossen 3 Milliarden Dollar.

2015 schloss sich Total anderen Ölfirmen an, die gegenüber der UN eine internationale CO2 Bepreisung forderten. Total versichert, verstärkt in erneuerbare Energien zu investieren und liefert seit 2016 jährliche Berichte mit sehr technischen, komplexen Informationen diesbezüglich. Diese sind für Außenstehende schwer zu verstehen und zu interpretieren, so dass Total meist unwidersprochen bleibt, wenn sich die Firma als klimafreundlich präsentiert.

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