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Schnee von morgen

Schnee von Morgen | Öffi-Skidurchquerung im Selbstversuch

Eine Durchquerung der Ötztaler Alpen mit den Öffis

von Irene Welebil (ÖAV) 22.01.2024
Meine Leidenschaft sind Skidurchquerungen. Stubaier Alpen, Zillertaler Alpen, Rätikon, Verwall, Silvretta, Hohe Tauern, Glarner, Urner, Berner Alpen. Skidurchquerungen gibt es viele, die haben es mir angetan, sind teilweise schon durchgeführt, teilweise noch in meinem Kopf. Das Beste daran ist, sie eignen sich perfekt dazu, mit öffentlichen Verkehrsmitteln und somit klimafreundlich anzureisen, da Start- und Endpunkt selten dieselben sind. Bei Durchquerungen kommt oft alles anders als geplant, und es kann passieren, dass man in einem anderen Tal herauskommt, als ursprünglich gedacht. Ist man mit Öffis unterwegs, wartet kein Auto darauf, nach Hause gebracht zu werden und der Endpunkt der Tour kann individuell abgeändert werden.

Wir wagen den Selbstversuch …

Eine Schönwetterphase steht vor der Tür. Die Schneegrenze ist bereits sehr hoch, aber darüber liegt immer noch viel Schnee. Skitouren benötigen bereits eine hohe Starthöhe, wenn man nicht auf Skitragen steht. Die Skitourendatenbank in meinem Kopf liefert für die aktuellen Bedingungen ein klares Ergebnis: Es sind perfekte Bedingungen für eine Durchquerung der Ötztaler Alpen mit hohem Start im Kaunertal auf 2.750 m, einem Abstecher ins hintere Ötztal und mit Ende am Pitztaler Gletscher, der Skiweg könnte noch bis weit ins Tal schneebedeckt sein und beide Täler sind öffentlich gut angebunden. Was für eine perfekte Skidurchquerung noch fehlt, sind Freunde, die Mitte Juni immer noch motiviert für Skiabenteuer sind und die sich nicht vor Öffis fürchten, aber daran fehlt es mir zum Glück selten. Teresa und Dani waren sofort von meiner Idee begeistert. Die grobe Route war schnell geplant, die Detailplanung wird auf die Anreise im Zug verlegt, da ist noch genügend Zeit dafür. Eines der Dinge, die ich an den Öffi-Touren mag: Man startet ganz entspannt ins Abenteuer. 

Los geht’s …

Als Team sind wir perfekt eingespielt, sodass die Packliste und die Aufteilung von Material und Verpflegung schnell organisiert sind. Unsere unterschiedlichen Anfahrtsrouten führen am Bahnhof Innsbruck zusammen. Als erfahrene Öffi-Fahrerinnen haben wir bereits unsere Stöcke mittels Stripe auf die Ski gespannt und Schuhe und Helm fest am Rucksack verstaut, um möglichst kompakt unterwegs zu sein. Bei Durchquerungen versucht man ohnehin, möglichst gewichtssparend zu packen. Das Argument des schweren Gepäcks ist somit entkräftet. Wir ernten überraschte Blicke, vermutlich wegen unserer Skiausrüstung bei den frühsommerlichen Temperaturen, dabei ist es doch jetzt am schönsten und die Chancen auf Einsamkeit am Berg sind hoch.

Während der Fahrt finalisieren wir noch die Tourenplanung und überlegen uns mögliche Varianten, falls sich die Lawinen- oder Schneelage vor Ort anders zeigen als erwartet. Essenziell ist die offline Speicherung der Busfahrpläne für alle Varianten, denn am Berg kann Internetempfang Mangelware sein. Ein Akkupack im Rucksack zu haben, ist bei mehrtägigen Touren ohnehin kein Fehler. Sorgen bereitet uns noch die Gewittermeldung für den Nachmittag, da sollten wir aber schon auf der Hütte sein.

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Mit Zug und Bus ins Kaunertal

In Landeck wechseln wir vom Zug in den Bus, müssen in Prutz noch einmal umsteigen und dann geht’s bis ganz hinten rein ins Kaunertal, zur geschlossenen Gletscherbahn. Nicht alle Zug- und Bus-Verbindungen sind so gut aufeinander abgestimmt wie diese heute. Will man Skitouren öffentlich unternehmen, lohnt es sich, Verbindungen zu den wichtigsten Ausgangs-/Endpunkten im Kopf zu haben. Nur weil ein Routenplaner am Sonntag keine Verbindung zum gewünschten Ausgangspunkt anzeigt, heißt das noch lange nicht, dass am Samstag kein Bus fährt. In manche Täler kommt man super in aller Früh rein, aber nicht mehr raus, fährt man im Nachbartal ab oder dreht die Tour um, ist das Problem vielleicht schon gelöst.

Der Parkplatz am Kaunertaler Gletscherskigebiet ist menschenleer. Die Stimmung erinnert an den letzten Lockdown, kein Mensch weit und breit, nur drei verrückte Mädls, die immer noch nicht genug vom Winter haben.

Wir starten unsere Tour auf der verlassenen Skipiste und steuern das Nörderschartl an. Von dort geht’s erst über einen Grat und dann über den Gletscher zur Weißseespitze. Wir kommen nur langsam voran, weil wir am Grat teilweise bis zum Bauch im Schnee versinken, es ist halt doch schon Juni. Zu unserer Überraschung ziehen bereits am Vormittag schwarze Wolken auf. Zum Glück geht's nach dem Grat schneller voran, auch wenn wir nun in dichtem Nebel stecken. Das Gipfelkreuz finden wir nur mittels GPS, man sieht nur wenige Meter weit. Bei der Abfahrt entscheiden wir uns aufgrund der schlechten Sicht, am Seil abzufahren, um nicht unverhofft in einer Gletscherspalte zu verschwinden. Die Situation im dichten Nebel erinnert mich an den Unfall auf der Haute Route 2018, bei dem sieben Menschen an ihren Erfrierungen starben, da sie die Schutzhütte nicht finden konnten. Es macht sich nun bezahlt, dass wir uns die erforderlichen GPS-Tracks auf dem Handy gespeichert haben. Ohne sie hätten wir unser heutiges Ziel, das Brandenburger Haus, nie gefunden. Der Winterraum ist sehr gemütlich und kurz darauf verteilt der Ofen bereits langsam eine angenehme Wärme und es steht auch schon ein herrlich duftendes Essen auf dem Tisch: Couscous Pfanne mit frischem Gemüse: Herrlich! Kurz vor Sonnenuntergang lichtet sich der Nebel und wir sehen unsere einsamen Spuren am Gletscher, die kreuz und quer und in mehreren Umwegen verlaufen. Es ist schon bedenklich, wie sehr die fehlende Sicht das Orientierungsvermögen einschränken kann. Das Panorama und die Abendstimmung sind unbeschreiblich. Das sind Momente, die lange in Erinnerung bleiben.   

Ob die Ruhe hier wohl noch länger bleibt?

Das Gebiet rund um die Hütte mit Gepatschferner und Kesselwandferner gehört zur größten zusammenhängenden Gletscherfläche Österreichs. Nach meinem Empfinden ist das eine der einzigen Eisflächen der Ostalpen, die an die großen Gletscherflächen der Westalpen erinnert. Kaum zu glauben, dass diese bisher unberührte Naturlandschaft bald von Pisten und Skiliften zerschnitten werden könnte. Die Kaunertaler Gletscherbahnen haben nämlich vor, dieses einsame Naturparadies mit neuen Bahnen zu erschließen. Benjamin Stern berichtet darüber in seinem Powder-Guide Artikel.

Gut geplant ist halb gewonnen, Öffis machen's möglich

Am nächsten Tag sind Fluchtkogel und Vernagtspitze geplant. Wetter und Schneeverhältnisse meinen es gut mit uns und wir werden mit Sonnenschein und perfektem Firn belohnt. Auf unserem Tagesziel, der Vernagthütte, angekommen, trauen wir unseren Augen nicht, als wir zwei weitere Skitourengeher sehen, die zu Fuß von Vent aufsteigen und mangels Schnees ihre Ski bereits drei Stunden getragen haben. Gut, dass unsere Tour am nächsten Tag erneut nach oben führt, denn der Schnee hört direkt vor der Hütte auf.

Hilfreiche Tipps

Auf den Skiern der beiden Tourengeher klebt ein Aufkleber von POW (Protect our Winters), einer Umwelt NGO, die sich für nachhaltigen Wintersport und Klimaschutz einsetzt. Ich frage mich oft, ob deren Mitgliedern, zu denen ich mich auch zählen darf, das Thema klimafreundliche Mobilität ein Anliegen ist und versuche das Gespräch zu suchen. Auf die Frage nach der Anreiseform ist „öffentlich“ selten die Antwort. Viele Ausgangspunkte zu diversen Touren seien nicht öffentlich erreichbar und die Anfahrt dauert zu lange, höre ich häufig. Das stimmt natürlich teilweise, oft gibt es jedoch Wandertaxis o.ä., die helfen, die letzte Meile zu überwinden. Die Angebote des sogenannten Mikro ÖVs ausfindig zu machen, ist nicht ganz so einfach. Einen österreichweiten Überblick der Angebote liefert z.B. die Seite bedarfsverkehr.at. Skibusse sind oft nicht in den Routenplanern hinterlegt, sind für Touren in Skigebietsnähe aber oft eine Alternative, da sie das Netz verdichten und die Taktung erhöhen.

Unsere Einstellung als Schlüsselfaktor

Die Öffi-Tourenplanung kann man sich mittels Öffi-Skitourenführer oder Tourenportalen erleichtern, die auf öffentliche Erreichbarkeit Wert legen, z. B. auf alpenvereinaktiv.com gibt es eine Filterfunktion für Touren mit Anreise mit Bus und Bahn. Die Suchmaschine zuugle.at verknüpft diverse Tourenportale mit Fahrplänen. Das Argument mit der langen Fahrzeit stimmt teilweise, lässt sich aber beispielsweise mit längerer Aufenthaltsdauer reduzieren bzw. entkräften. Zudem kann die Zeit in den Öffis bewusst genutzt werden, z.B. mit Tourenplanung, einem Frühstück oder After-Tour Getränk, einem kurzen Nickerchen oder dem Austauschen der Fotos, das würde zu Hause oder im Gasthaus ohnehin Zeit in Anspruch nehmen. „Lange“ ist relativ und definiert sich wie so vieles ausschließlich in unseren Köpfen: Wenn wir ehrlich zu uns sind, hängt alles nur von unserer Einstellung ab: Sobald wir von klimafreundlicher Mobilität überzeugt sind, wird plötzlich für jedes negative Argument ein positives gefunden, ein Umdenken beginnt als allererstes in unseren Köpfen und das gilt es zu steuern.

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Ein perfekter Abschluss

Bei uns bricht bereits Tag drei an, auf dem die Wildspitze auf dem Programm steht. Der Massenansturm auf den höchsten Berg Tirols bleibt heute aus und wir kommen allein am Gipfel an. Kurz nach uns kommen noch zwei SkitourengeherInnen nach, wer könnte es anderes sein als der Schnee- und Lawinenexperte Lukas Ruetz mit Begleitung. Für uns ist es wohl die letzte Tour des Jahres, für Lukas vermutlich noch lange nicht. Den beiden Bekanntschaften aus dem Winterraum vom Vorabend steht heute noch ein langer Abstieg bevor, sie müssen schließlich zurück zur Hütte und zu Fuß wieder nach Vent zum Auto. Wehmütig schauen sie uns nach, wie wir gut gelaunt Richtung Pitztal schwingen, über die erneut verlassenen Pisten hinunter zum Skiweg, der leider geräumt wurde. Eine Stunde Skitragen ist aber okay für diese Jahreszeit. Wir trauen unseren Augen kaum, als kurz vor Schluss ganz unerwartet eine bewirtschaftete Hütte auf uns wartet. Unser Durst war kaum zu stillen, und auf den Wechsel von Skihose und Skischuhen auf Shorts und Turnschuhe freuen wir uns schon lange. Nach ausgedehnter Rast kommen wir pünktlich bei der Bushaltestelle am Pitztaler Gletscherskigebiet an, wo wenige Minuten später auch schon der Bus einfährt. Diesmal ist wirklich alles perfekt aufgegangen. Auf der gemütlichen Heimreise nutzen wir die Zeit, um Fotos auszusortieren und zu teilen. Und da kommen auch sofort wieder neue Ideen für neue Abenteuer. Aber eins ist klar, die Ski kommen jetzt erst einmal für ein paar Monate in den Keller.

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