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Abenteuer & Reisen

Expedition Spitzbergen | Herausforderungen eines Grenzgangs - Teil I

Die Suche nach Kontrolle in einer kontrolllosen Umgebung: Filmemacher Moritz Krause über die persönlichen Hürden der 40-tägigen Expedition ‚End to End Svalbard‘

26.12.2025
Moritz Krause
Für sein Filmprojekt 'End to End Svalbard' war Moritz 40 Tage lang auf Expedition durch Spitzbergen. Hier wird er in den kommenden Monaten in einer vierteiligen Artikelreihe über seine persönlichen Erfahrungen und Erkenntnisse dieses Grenzgangs berichten und uns an seinem Gefühlsleben Teil haben lassen. Unter anderem auch deshalb, weil er damals kaum Berichte darüber gefunden hatte, die offen und ehrlich über Hindernisse informiert haben. Im ersten Teil geht es um die mentalen Herausforderungen, die solch eine Expedition mit sich bringt.

Am Anfang eine gewisse Idee

Einmal Spitzbergen der Länge nach durchqueren: 700 km, 40 Tage auf Ski, 40 Nächte im Zelt. Und: die Reise filmisch dokumentieren. Mit ‚End to End Svalbard‘ habe ich meinen ersten großen Expeditionsfilm gedreht. Natürlich habe ich mich in den Monaten vor der Expedition körperlich bestmöglich vorbereitet – das hätte ich mir sparen können. Schon am ersten Tag traf mich die mentale Überforderung mit voller Wucht, und die erfolgreiche Fertigstellung des Films fühlte sich für mich so weit entfernt an wie nie. Wie ich diese mentale Blockade erlebt und überstanden habe, erzähle ich hier.

Eine Reise ins Ungewisse

Es ist ein kalter Morgen in Longyearbyen. Blauer Himmel zeigt sich, es ist ruhig in diesem arktischen, fast unwirklichen Ort. In einem kleinen, verschneiten Gässchen nahe dem Ufer, zwischen typisch norwegisch bunten Holzhäuschen, warten zehn Schneemobile auf uns, bereit zur Abfahrt. Die Motoren brummen auf und wecken vermutlich den ein oder anderen Anwohner. Gemächlich geht es Richtung Ortsausgang.

Abgesehen davon, dass Schneemobilfahren – neben der brutalen Lautstärke und dem konstanten Geruch nach Abgasen – doch relativ viel Spaß macht, bin ich gedanklich woanders. Ich konzentriere mich weniger auf die fünfstündige Fahrt, die jetzt vor uns liegt, als vielmehr auf das, was die eineinhalb Monate danach kommt. Jetzt umzukehren—und das auch noch den Sponsoren erklären zu müssen – wäre schwieriger, als die nächsten sechs Wochen durchzustehen.

Wir sind auf Spitsbergen, der größten Insel der Inselgruppe Svalbard, ungefähr zwischen Norwegen und dem Nordpol. Auf diesen Morgen – oder besser gesagt: auf die kommenden 40 Tage – haben mein Freund Jonas, ich und fünf norwegische Freunde gut eineinhalb Jahre hingearbeitet. Unser Ziel: Wir wollen die komplette Insel von Süd nach Nord durchqueren, auf Ski.

Ich bin Filmemacher. Angefangen habe ich mit Musikvideos, dann Skifilmen und einer kleinen Webserie übers Skifahren, und schließlich bin ich bei Dokumentarfilmen gelandet – der Verbildlichung real passierter Ereignisse. Als Jonas mir vor zwei Jahren von seiner Idee erzählte, Spitsbergen einmal der Länge nach zu durchqueren, konnte ich gar nicht anders, als Ja zu sagen.

Und jetzt, knapp zwei Jahre später, sitze ich auf einem Schneemobil, das mich nach Doktorbreen bringt – einem Gletscher mitten im Nirgendwo und unser offizieller Startpunkt dieser 40-tägigen Traverse. Was geht da jemandem durch den Kopf, der noch nie in der Arktis war, noch nie auf Expeditionsskiern stand, noch nie wirklich im Winter gezeltet hat – geschweige denn 40 Nächte lang – und daraus auch noch einen Film machen soll?

Die ersten paar Tage meiner ersten Expedition

Eigentlich würde ich das ja jedem empfehlen – mit dem Schneemobil durch diese weite, unwirkliche Gletscherlandschaft zu jagen. Zumindest kommt mir dieses Gefühl immer als eines der ersten in den Kopf, wenn ich an diese Expedition denke. Aber was machen wir eigentlich dort?

Jonas, mit dem ich schon viele Filme gedreht hatte, schloss 2022 seine Ausbildung zum Arctic Nature Guide ab. Als eine Art Abschlussprojekt, ein Ritterschlag für sich selbst, wollte er die Insel einmal aus eigener Kraft der Länge nach durchqueren. Warum nicht gleich einen Film darüber drehen, dachte er sich – das macht die Finanzierung einfacher.

Ich, natürlich Jonas’ erste Wahl als Filmemacher, hatte zwar etwas Erfahrung mit Winterdrehs und unkontrollierbaren Umgebungen, aber nie länger als drei Tage am Stück. Jetzt stand ich hier, auf dem Doktorbreen, gut 120 Kilometer vom eigentlichen Südzipfel entfernt, zu dem wir zuerst laufen mussten, bevor die Traverse Richtung Norden beginnen konnte.

In zwei Wochen würden wir wieder an diesem Ort vorbeikommen, also: einen Teil der Verpflegung vergraben, Expeditionsski angeschnallt, los geht’s – erstmal nach Süden. Für mich kommen jetzt die ersten Schritte auf den dünnen, gerade mal 55 mm breiten Ski – normalerweise bin ich Powderlatten mit über 10 cm Mittelbreite gewohnt. Und in diesem Moment passierte etwas Ungewöhnliches.

In meinem Notizbuch zur Vorbereitung steht: „Start auf Doktorbreen. Möglichst viel filmen. WICHTIG!“ Was habe ich gemacht? Genau ein einziges Bild gefilmt: uns beim Loslaufen. Gott sei Dank, das war tatsächlich wichtig für den Film. Ansonsten schlich sich Überforderung ein – etwas, das ich von mir nicht kannte.

Es war alles neu: Landschaft, Fortbewegung, der 65-Kilo-Pulka hinter mir. Ich wollte viel drehen, aber es ging nicht. Dieses Gefühl sitzt tief.

Es braucht eine Routine

Das Gefühl vom ersten Abend werde ich nie vergessen.
Wir erreichten den Platz für unser Camp, es wurde dämmrig. Während die anderen Zelte aufbauten, tat ich – nichts. Ich wusste nicht, was zu tun war. Ich wusste, ich hatte viel zu tun: Zelt, Akkus, Daten, Schlafplatz, filmen. Aber ohne Routine fühlte sich alles überwältigend an. Ich stand da wie ein Statist.

Alle um mich herum hatten ihre Aufgaben, nur ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte. Schon an diesem ersten Abend schlich sich das Gefühl ein: „Wie soll ich das überhaupt alles durchstehen?“ Ein Gefühl der Angst, diesem Projekt doch nicht gewachsen zu sein; den Film zu ruinieren und die anderen womöglich zu enttäuschen. Ich fühlte mich nutzlos, und das macht etwas mit einem.

Man kann sich das so vorstellen in einer arktischen Umgebung: Die Temperatur ist fast durchgehend unter null Grad, der Körper verbringt also viel Zeit damit sich aufzuwärmen (Temperaturen über null Grad sind hier tatsächlich noch schlimmer, wie wir Tage später feststellen durften). Zusätzlich ist man den ganzen Tag aktiv, also körperlich pausenlos erschöpft und in einer Art Regenerationsphase.

Das Zelt aufbauen, Schnee schmelzen und Wasser kochen, Ausrüstung sortieren – diese Aufgaben klingen einfach, und zuhause sind sie es auch. In einer Extremsituation wie unserer Arktisexpedition bringen sie einen an den Rand menschlicher Willenskraft.

Als wäre das noch nicht genug kommt jetzt die Komponente: Film drehen. Nicht nur ein, zwei schöne Bilder. Genug Bilder, die den Film über eine Stunde lang tragen können; Eine Story finden, die unsere 40-tägige Reise bestmöglich wiedergibt. Das ist selbst zuhause in einer kontrollierten Umgebung eine schwierige Herausforderung. Und in der Arktis? Ich sag mal so: darauf vorbereitet war ich definitiv nicht.

40 Days of Skiing through the Arctic while filming a professional Documentary Movie

Vielleicht hat sich dieser mentale Ballast auf meinen Körper übertragen. Das würde zumindest den dritten Abend erklären: Ich lag vollkommen erschöpft und leer im Zelt, während Jonas Wasser kochte. Ich konnte mich nicht bewegen, noch nicht einmal Tee machen. Mir war kalt und heiß, phasenweise Schüttelfrost, ich hatte Kopfschmerzen und alles, an was ich denken konnte, war: warum filme ich nicht? Was, wenn draußen was spannendes passiert? Oder vielleicht im Zelt der anderen. Was, wenn das so die nächsten 37 Tage weitergeht?

Am nächsten Morgen war ich wie durch ein Wunder wieder topfit, zog die Kamera und konnte richtig gutes Material einfangen. Glück gehabt – zumindest fürs Erste.

Die nächsten zwei Wochen waren Ausprobieren: Pulk öffnen, Akkukoffer, Kabel, Festplatte, Daten, Matte, Schlafsack, Kocher. Musste ich an den ersten Tagen noch aktiv über jeden Schritt nachdenken, hatte ich nun jeden Handgriff verinnerlicht und automatisiert (ein Zeltpartner wie Jonas hilft natürlich ungemein!). Zwei Wochen hat die Erarbeitung einer Routine gedauert, und es hat sich gelohnt. Die Routine gab mir Kontrolle in einer kontrolllosen Umgebung, eine Art Sicherheitsgefühl. Ein riesiger mentaler Ballast fiel von mir ab.

Die Handgriffe saßen, der Kopf war endlich wieder klar. Doch wer glaubt, dass die Expedition damit zum Selbstläufer wurde, irrt gewaltig. Denn während ich meine innere Balance wiederfand, wartete draußen bereits die nächste Prüfung: der Weg zum Südzipfel. Warum ausgerechnet das schlechte Wetter mein Filmprojekt fast zum Scheitern brachte, wieso graue Tage in der Arktis gefährlicher für die Psyche sind als jeder Sturm und wie man seine mentale Stärke trainieren kann, erzähle ich im nächsten Teil.

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