Zu Beginn meiner Südamerikareise ist die Lage trist. Der Norden vertrocknet und der Süden versinkt im Schlamm. Immerhin ist die Basis in Bariloche brauchbar und es ist nicht das erste Mal, dass ich hier schlechtes Wetter aussitze. Abwarten und Teetrinken kann ich gut und ansonsten braucht es nur ein wenig Gottvertrauen, dass es irgendwann die nötigen paar Grad kälter wird und eines Tages wacht man auf und es liegt ein Meter Schnee vor der Tür.
So kommt es dann auch und dieses Mal und wir werden für den Regen mit einer perfekten Woche entschädigt: Wolkenlos, Windstille, kalter, stabiler Schnee. Matt und Chris, zwei neue Freunde, leisten mir einige Tage Gesellschaft und wir schlagen uns gemeinsam durch steile Bachläufe, dichtes Bambusgestrüpp und überwucherte Wanderpfade in Richtung Powder.
Am Cerro Lopez entdeckt Chris am Ende des Tages eine kleine Spine-Line, die er unbedingt noch fahren will. Kaum mehr als 100 Höhenmeter, freier Auslauf und an die 60 Grad. Chris lacht, weil ich unelegant mit meinem Sluff kämpfe. Ich solle doch mal nach Alaska kommen zum Üben. Da gäbe es so was öfter und es stünde nicht so viel im Weg wie hier...
Nach einem mühsamen Aufstieg durch ein Bachbett finden wir am nächsten Tag ähnlich verspieltes Gelände und spektakuläre Tiefblicke auf die Seenlandschaft am Cerro Padre Laguna. Leider haben wir nur Zeit für einen Run auf der mehr als einladenden Backside, bevor wir durch den Bach zurück zum Auto müssen.
Direkt gegenüber dem Skigebiet liegt der Cerro Bella Vista, ein Berg voll ästhetischer Spines und Couloirs und ideale Projektionsfläche für Freeriderfantasien. In den Alpen würde ich vermutlich nicht mal auf die Idee kommen, ein solches Face im Hochwinter zu fahren, aber hier, gelobt sei das maritimere Klima, bewegt sich bei unseren Schneedeckentests rein gar nichts. Die perfekte Abfahrt lässt einen auch mehr oder weniger über das anschließende heikle Abklettern kleinerer Wasserfälle im Bambusdschungel hinwegsehen.
Jeder Powdertraum ist mal zu Ende und das Argentinische Wetter-Auf-und-Ab beginnt von neuem: Ein Ausflug zum Refugio Italia wird zum Kartenspielmarathon nachdem in der ersten Nacht leichter, aber leider sehr anhaltender Regen einsetzt. Die Hütte ist relativ abgelegen und im Winter nicht bewirtschaftet, wäre bei guten Bedingungen aber ein reizvoller Stützpunkt. Durch Lücken in den Wolken lassen sich in der näheren Umgebung immer wieder schöne, alpine Lines erahnen.
Alternativprogramm Patagonien
Die Abwesenheit fahrbaren Schnees lädt zu einem Roadtrip ein. Ich wollte schon immer mal weiter in den Süden und Jeff, ein schweigsamer Heli Guide aus Alaska, meint er hätte auch Lust auf ein Adventure. Nach Zwischenstopps mit mäßigem Schnee in El Bolson und Esquel fahren wir zwei Tage später etwa 500 km durch die Pampa und über die Grenze nach Coihaique.
Mir wurde schon mehrfach erklärt, dass „La verdadera Patagonia“ – das echte Patagonien – südlich von Esquel anfängt. In den gut 10 Stunden, die wir für die Fahrt brauchen, treffen wir etwa 10 andere Autos. Die wenigen Ortschaften scheinen deplaziert im Nichts der Steppe. Wir fragen uns warum hier Leute wohnen, was sie machen und wovon sie leben. Die Städtchen könnten genauso gut Kulissen für moderne Gaucho Romanzen sein, oder für blutigen Splatter-Horror, in dem die Schreie der Opfer ungehört in staubigen Straßen verhallen. So schön die Natur, die blassen Farben, die Flamingos und Ñandús auch sind, in den Bergen fühlen wir uns wohler.
Coihaique ist die verschlafene Hauptstadt der Region Aisén. Mit circa 40.000 Einwohnern ballt sich hier nicht ganz die Hälfte der Bevölkerung Aiséns, einer Region die etwa so groß ist wie Bayern und Baden-Württemberg zusammen.