Es wird kanadisch – und zwar richtig. So viele Schichten passen kaum unter die Jacke, aber genau das macht den Charme aus. Unsere Empfehlung: Golden definitiv über Revelstoke und den Rogers Pass anfahren – besonders im Nachmittagslicht, wenn die Stadt ihrem Namen alle Ehre macht.
„Filmlines sind einfacher und spaßiger auszusuchen – die Freeride World Tour ist nochmal eine andere Nummer.“ – Parkin Costain bringt es auf den Punkt. Wer in Kicking Horse in Golden, BC an den Start geht, hat keine zweite Chance, keinen Rewind-Button und keinen perfekt geshapten Kicker. Hier zählt nur die Realität: Big Mountain Freeride in seiner rohesten Form. Und genau das hat der FWT-Stop in Kanada eindrucksvoll bewiesen.
Der Schauplatz – Golden, BC
Die Stadt hat ihren Namen zurecht verdient, besonders wenn die letzten Sonnenstrahlen des Tages die schneebedeckten Gipfel in ein warmes, goldenes Licht tauchen. Typisch kanadisch, mit breiten Straßen und einem entspannten Charme, der sofort willkommen heißt. Von hier aus geht’s nur eine kurze, kurvige Passstraße hoch nach Kicking Horse, in gerade mal 15 Minuten bist du an der langen Gondel zum Gipfel. Die Kanadier selbst sind ein unglaublich offenes Volk. Schon in den Gondeln kommt man sofort ins Gespräch – sie haben einfach eine freundliche Art, die es einem leicht macht, sich mit ihnen zu verbinden. Und selbst das Trampen zum Lift ist hier kein Problem. Beide Male hielt sofort das erste Auto an, als ich an der Straße stand. Diese Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft sind hier einfach Teil des Lebens, und man merkt sofort, dass die Menschen in Golden genauso herzlich sind wie ihre beeindruckende Natur.
Die Freeride World Tour Familie
Es war spannend, beim Abendessen zur Eröffnung dabei zu sein, besonders bevor am Abend die Fans, hauptsächlich Kinder aus der Umgebung, schließlich Zutritt erhielten. Die Atmosphäre war entspannt, fast familiär. Am Tisch saßen mit uns Valentin, Lena, Timmi und Ari, aber was mich wirklich überraschte, war, dass auch Abel und Tenra am deutschsprachigen Tisch Platz genommen hatten.
Tenra erwies sich als unglaublich sympathisch und lud uns direkt ein, unbedingt mal nach Niseko, Japan zu kommen, wo er aufgewachsen ist. Er zeigte begeistert die Prognosen, die für die kommenden Tage zu viel Neuschnee versprachen. Schwer zu fahren oder schwer zu widerstehen? Tenra genießt die Tour in vollen Zügen und hat auch spannende Pläne in Kanada – dazu später mehr.
Die Gespräche waren locker und es gab Pasta-Variationen und Salat, ein weiteres Aufladen vor der bevorstehenden Competition. Ein interessantes Detail: Die Rider müssen auch an den Zeremonien teilnehmen, da sonst ein Strafgeld von der Leitung droht – was bislang aber noch nie durchgezogen wurde.
An einem anderen Tisch saßen die Schweizer und Franzosen zusammen und teilten ihre eigenen Geschichten. Dann gab es einen bunt gemischten Tisch mit den Ridern , Media, Planung und viel Vermischung. Man spürte eine große, gut vernetzte Familie, die sich immer wieder austauschte. Wenn sie nicht gerade vor ihren Handys saßen und sich intensiv über Lines den Kopf zerbrachen, machten sich die AthletInnen auf, um sich mit anderen auszutauschen – und dabei war immer Platz für ein Lächeln.
Exkurs: Line Scoping mit Valentin Rainer
Am Donnerstag standen wir alle auf der Ridge und schauten uns das Face an. Drei Vorläufer gaben erste Eindrücke zu den Bedingungen, und es gab auch Drohnenaufnahmen, um die Perspektiven noch klarer zu machen. Jeder geht das Scoping auf seine eigene Weise an, sagt Valentin. Manche Rider fokussieren sich allein, während andere mit Witz untereinander spekulieren. Dann gibt es ein paar Laps, und schließlich geht es noch zum Hochhiken am Face, diesmal ohne Skier, um das Gelände aus allen Perspektiven zu betrachten – am Ende natürlich auch aus der Zielperspektive.
Ich war erstaunt, wie unterschiedlich die Klippen aus den verschiedenen Perspektiven wirkten. Von der Ridge aus dachte man sich: „Easy, die sind gar nicht so groß.“ Aber von oben kam dann der Schock: „Oh Gott, ist das blind – wie finden die sich da zurecht?“ Und von unten sah das Face schließlich einfach kurz, steil und gruselig aus.
Valentins Methode ist, flexibel zu bleiben. „Am Ende weiß man, was die anderen wollen und orientiert sich daran. Aber tatsächlich sieht man es erst in der Competition und kann dann noch umschwenken, je nachdem, wie es bei den anderen lief.“
Beim Losfahren im Start muss die Line sitzen, und wie es scheint, war Valle sich beim Abendessen noch nicht ganz sicher. Doch nach der Competition meinte er, die Entscheidung sei ihm im Traum gekommen – das Pyramid Gap wurde gegen ein anderes Feature ausgetauscht. Das ist Teil seiner Strategie, mit mehreren Hits statt eines „One Hit Wonders“ im Hot Seat zu bleiben und dadurch das Risiko besser zu managen.
Die Fahrer und Fahrerinnen – Helden und Überraschungen
Wildcard-FahrerInnen haben es oft schwer, sich gegen die gesetzten Tour-Rider zu behaupten – es sei denn, sie heißen Parkin Costain. Der Mann, der eigentlich aus dem Film-Game kommt, hat sich bei der FWT in Kicking Horse direkt mit der „Line of the Comp“ verewigt. Kein Wunder, denn er ist kein Unbekannter im Big-Mountain-Freeride: Kings & Queens of Corbet’s gewonnen, Filmprojekte mit TGR, aktuell an einem eigenen Projekt dran – und jetzt eine Wildcard für Kicking Horse.
Nach seinem Run stand ich in der Ziel-Area und hörte ein Gespräch zwischen einem Judge und Parkin, in dem klar wurde: Er kann in die Tour einsteigen, wann immer er will. Eine seltene Einladung, die zeigt, dass er sich in der Competition-Welt definitiv Respekt verschafft hat.
„Filmlines sind einfacher und spaßiger auszusuchen – die Freeride World Tour ist nochmal eine andere Nummer“, meint er beim Scopen seiner Line. Aber hat er jetzt Blut geleckt?
„Ich überlege es mir für nächstes Jahr. Könnte Spaß machen“, sagt er mit einem Grinsen. Und wenn, dann hoffentlich wieder in voller Pink-Montur – sein Markenzeichen, mit dem ihn viele als das Gesicht der neuen Scott Freeride-Modelle kennen.
Fun Fact: Sein Klamottensponsor Backcountry hatte die Farbe nach einem Markenverkauf gestrichen, aber nächstes Jahr soll sie als sein eigenes Pro-Model zurückkommen. „Vielleicht dann in Weinrot“, spoilert er in der Schlange zum Abendessen.
Judging & Scores – Fair oder kontrovers?
Judge in einer Sportart, bei der Individualismus und Style im Vordergrund stehen – das ist eine unmögliche Aufgabe, also Hut ab! Dabei gibt es fünf Judges und einen Video-Judge, der auf Nachfrage spezielle Momente zeigt, da die Judges das Geschehen mit Ferngläsern von der Ridge aus beobachten. Bei selbst -24 Grad über vier Stunden hinweg – das bringt sie sehr nahe an die Gefühlslage der Rider.
Neu dabei ist Jaqueline Pollard, die selbst mit ihrem Bruder Andrew Pollard schon bei der Tour dabei war und sich dadurch perfekt in die Fahrer und Fahrerinnen hineinversetzen kann. Besser geht es nicht, wĂĽrde ich behaupten.
In einem Gespräch mit Timm Schröder fragte ich ihn, was er von einem Rider-Judged-Event wie dem Nandaz Backcountry Invitational oder der Jib League hält. Er meint, dass es für mehr freestyle-orientierte Events durchaus Sinn machen würde, aber für die Freeride World Tour käme das für ihn nicht in Frage. „Ich könnte mich nicht entscheiden“, sagt er „Und ich bin froh, dass wir die Judges haben.“ Timm fügt hinzu, dass er, wenn man wirklich darüber nachdenkt oder die Judges danach fragt, immer sieht, dass ihre Entscheidungen gut begründet sind. Eine klare Aussage – also alles fair!