Die Tauernautobahn markiert das östliche Ende der Alpen. So denken zumindest viele Freerider aus Deutschland, Schweiz oder gar aus Skandinavien. Nur die ganz Verwegenen wagen sich von dort noch einige Kilometer weiter östlich um an den Hängen von Salzbergwerken ihre Sucht zu befriedigen. Aber dahinter beginnt dann wirklich der weite, wilde Osten. Manche glauben sogar, dass die Bergketten dieser weitgehend unbekannten Gegend bereits zum Balkan gehören. Aber wie sieht es wirklich hinter dieser ominösen "Grenze" aus? Als Eingeborener dieser Gegend (die vor langer Zeit das Kernland eines Landes namens Kakanien bildete, ein Umstand den die Region bis heute nicht ganz verheimlichen kann) möchte ich im Folgenden ein wenig zur Aufklärung über dieses skigeographische Niemandsland beitragen und deren Eigenschaften aus freeridepraktischer Sicht in Form einer kleinen Fotoreportage würdigen.
Mehr vom Alpenostrand unter: viennaskiing.com – Skiing at the Eastern End of the Alps.
Natürlich ist Wien alles andere als der Nabel der österreichischen Freeridewelt, aber wenn man die Augen ganz fest zudrückt und ganz angestrengt an Schnee denkt, kann es manchmal passieren, dass – wie von Zauberhand – eine Verwandlung vor sich geht und die Millionenstadt sich in eine pulsierende Freeride-Metropole verwandelt:
Beginnen wir unseren Traum am Strand: direkt vom Ufer des Donaumeeres erheben sich dann links bereits die ersten Gipfel der Alpen. Freeridetechnisch bieten sich hier allerdings noch keine interessanten Ziele. Die ursprünglich klassischen Skiziele dieser Gegend ("Norwegerwiese" etc.) fielen der gestiegenen Mobilität (wer fährt heute schon – außer vielleicht in Innsbruck - mit der städtischen Straßenbahn zum Freeriden?), dem verbesserten Skikönnen samt gestiegenen Anspruch an das Gelände sowie dem Klimawandel (oder warteten unsere Vorfahren einfach viel geduldiger auf den Schnee?) zum Opfer.
Ab einer Anfahrtszeit von ca. einer Stunde wird es dann aber langsam interessant. Zwar bieten die Berge auf den ersten Blick kaum Interessantes: aufgrund der niedrigen Höhe ragen die wenigsten Gipfel über die Waldgrenze (die hier bei etwas 1500m liegt) und zudem sorgten großflächige kirchliche und adelige Besitztümer für eine Bevorzugung der Jagd gegenüber der Landwirtschaft, so dass innerhalb des Waldes der Anteil von Wiesen und Almen sehr gering ist.
Zum Freeriden gehört hier also eine gewisse Portion Intuition zum Auffinden der doch noch einigermaßen genussvoll fahrbaren Waldschläge- und vor allem Gräben sowie ein Mindestmaß an Masochismus in Form der Akzeptanz von Combat-Skiing durch dichtes Buschwerk und Wald.
Was findet also der Alpeno-Strand-Freerider so an Zielen vor?
Beginnen wir zunächst mal mit dem Stuhleck (1782 m) auf der steirischen Seite des Semmering (985 m), seines Zeichen immerhin einer der ersten mit Skiern bestiegenen Gipfel Österreichs durch den Mürzzuschlagener Hotelier Toni Schruf und Freunde im Februar 1892. An dessen Nordflanke zieht sich von Spital am Semmering (780m) ein an sich unspektakuläres, oft überfülltes Skigebiet mittlerweile bis direkt zum Gipfel. Daneben bevölkern auch Massen an Skitourengehern den Berg und genießen v.a. die Südabfahrt nach Rettenegg, die einen kulinarischen Höhepunkt aufzuweisen hat: Forellen im dortigen Gasthof. Das besonders lohnende Gelände für den an sich ja menschenscheuen Freerider liegt hierbei meist im Wald.
Niederalpl
Wem es am Stuhleck zu voll ist, der sollte weiter nach Mürzzuschlag fahren und dort ins oberste Mürztal abbiegen. Alsbald erreicht man eine Gegend, die selbst in der ohnehin bereits verschlafen wirkenden Region noch mal einen Grad hinterwäldlerischer wirkt. Nach einigen Kilometern Autofahrt durch finstere Täler und kleine Ortschaften erreicht man dann das Niederalpl (1220m), eine Passhöhe an der Nordseite der Hohen Veitsch (1980m). Hier findet sich ein kleines Skigebiet, das vor allem mit seinem geringen Andrang selbst zu Hochsaisonzeiten glänzt. Eine Sesselbahn und drei Schlepplifte erschließen einen kleinen Skizirkus zwischen 1100 und 1500m. Direkt nach Neuschneefällen (die in dieser Gegend dank Nord und Nordweststaulage öfters auch mal üppig ausfallen) finden sich zum Aufwärmen gleich neben den Pisten einige kürzere Tiefschneemöglichkeiten.
Daneben finden sich dort auch einige feine, wenn auch kleine Runs, die mit nur kurzen Anstiegen (notfalls auch ohne Felle) erreicht werden können. Die Abfahrten führen in Waldschlägen und bieten dank nördlicher Lage oft guten Pulver.
Für aufstiegsorientierte Freerider interessant sind die Nordhänge des Sohlenkogels (1474 m) gleich südlich des Passes. Direkt vom Parkplatz am Pass geht es – fast immer – gespurt hinauf und über schöne, steile Waldschläge erreicht man dann den sehr flachen unteren Schlepplift entlang der Passstrasse. Besonders Eifrige können den Aufstieg natürlich auch fortsetzen bis zum Gipfelbereich des Kleinen Wildkamms (1757m) und eine der zahlreichen steilen Nordrinnen auch durchaus alpines Gelände befahren.
Brunnalm/Veitsch
Auch die sonnige Südseite der Hohen Veitsch (1981 m) hat einiges zu bieten. Die Lifte des kleinen Skigebiets Brunnalm (1200-1400 m) verkürzen den Anstieg zum gastlichen Graf-Meran-Haus (1836 m) bzw. zum Gipfel deutlich. Von dort bieten sich neben der Standardabfahrt über die Schallerrinnen auch noch einige deutlich steilere Rinnen an, wie sie für diese Kalkstöcke hier üblich sind: Hundsschopfrinne, Hundsschopfloch, Breitriegel oder Predigtstuhlrinne etc. Doch Vorsicht, die vergleichsweise geringe Höhe darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hier um alpines, felsdurchsetztes Steilgelände mit den damit verbundenen Gefahren handelt! (Vielfrequentierte) Standardabfahrten auf der Südseite sind jedoch die Schallerrinnen.
Lahnsattel/ Göller
Etwas nördlicher findet sich der Lahnsattel (1015 m) und die gleichnamige, idyllisch einsame Ortschaft, die aufgrund mehrerer Lawinenkatastrophen traurige lokale/regionale Berühmtheit aufzuweisen hat.
Vom Lahnsattel erreicht man einen (durchaus alpin anmutenden) Paradeskiberg Niederösterreichs, nämlich den Göller (1766m). Diesen erreicht man entweder mit Fellen direkt vom Lahnsattel oder – kürzer, aber logistisch schwieriger aufgrund der unterschiedlichen Ausgangs- und Zielpunkte – von der Bergstation des Gscheidlifts (ca. 1380 m) an dessen Nordwestseite. Der Göller bietet – wie alle "großen" Skiberge der Gegend – mehrere lohnende Abfahrten in verschiedene Himmelsrichtungen. Nach Norden führen z.B. der Andre-Graben mit der bekannten Variante Hühnerkralle und der Lahngraben (dessen Ausgangspunkt – der Grat zwischen Terzer Göller und eigentlichem Gipfel – gut vom Göllerlift am Gscheid erreichbar ist). Die begehrteste Abfahrt nach Süden ist die Eisgrube, ein breiter, steiler hindernisloser Hang der unten in einen enger werdenden Graben (Lahngraben) zum Lahnsattel führt. Die Namensgebung sagt wohl bereits alles über die potentielle Lawinengefahr dieses Geländes aus. Am sichersten bei Firn! (dank der Südlage manchmal bereits im Hochwinter gute Firnverhältnisse).
Wenn am Göller die Lawinenverhältnisse zu heikel sind, kann man vom gleichen Ausgangspunkt immerhin noch die gemütliche Kurztour auf den Kamm der Wildalpe unternehmen, die mit erstaunlich geringem Waldanteil (dank breiter Schläge und schöner Almwiesen) bestiegen bzw. befahren werden kann.