Der Gotthard ist Teil der Hauptwasserscheide Europas. Im Gotthardgebiet entspringen die bedeutenden Alpenströme Rhein, Rhone, Reuss und Ticino. Uns reizen jedoch eher die interessanten Ski- und Hochtourenziele der Region. Diesmal ging es als Eintagestour auf den kleinen Bruder des Pizzo Rotondo, den Pizzo Pesciora. Dieser ist mit 3122 m zwar 70 Meter niedriger, sein Gipfelanstieg wird aber als deutlich schwieriger eingestuft.
Die lange Schönwetterperiode im Februar ermöglichte es schon früh, leichte Hochtouren zu gehen, welche sonst erst am Ende des Winters möglich sind. Viele Tourengeher entscheiden sich gerade bei einer Winterbesteigung des Pizzo Pesciora (3122 m) für eine Zweitagestour von Norden her mit Übernachtung auf der Rotondohütte (2571 m). Von hier aus muss man bei Besteigung des Gipfels mit einer fünfstündigen Tour über den Witenwasserengletscher und den Witenwasserenpass (2819 m) rechnen.
Wir entschieden uns allerdings für eine Eintagestour von Süden mit Start in Ronco im Val Bedretto (1487 m). Im Skitourenführer "Zentralschweiz – Tessin" des Schweizer Alpen-Clubs wird diese Alternative (Route 444b) als 4,5 bis fünfstündige Skitour beschrieben, wobei folgendes Zitat bei der Zeitplanung nicht verschwiegen werden sollte: "Die Besteigung des Pizzo Pesciora von Ronco-Bedretto aus verlangt infolge der Länge und Steilheit des Anstieges grosse Ausdauer, belohnt den geübten Tourenskifahrer aber mit einer ausserordentlich rassigen Abfahrt."
Das wochenlange Schönwetter, frühlingshafte Temperaturen und die starke Sonneneinstrahlung
?auf die süd- und südostseitig verlaufende Route führten dazu, dass die ersten paar hundert Höhenmeter nur grünende Wiesen, aber keinen Schnee mehr zum Skitouren hergaben. Die Skitour verläuft normalerweise von Ronco in nördlicher Richtung auf einem steilen Kamm durch lichten Bergwald (38° bis 40°), welcher allerdings völlig von Schnee befreit vor uns lag.
Uns blieb nur die mühsame Option mit den Ski auf dem Rücken die ersten 300 Höhenmeter mit den Tourenschuhen zurückzulegen oder nach Alternativen zu suchen. So entschlossen wir uns im schattigen und schneebedeckten Tal des Ri di Ronco in nordwestlicher Richtung aufzusteigen. Den vielen Abfahrtsspuren nach, also eine beliebte Variantenabfahrt. Dies war für?s erste auch gar nicht schlecht und wir erstiegen schnell 200 Höhenmeter. Aber nach einer Biegung des Tals versperrte uns ein kleiner Wasserfall weitere Aufstiegsmöglichkeiten und wir mussten notgedrungen die Ski auf den Rücken packen und über ca. 45° steile Wiesen klettern. Die sommerlichen Temperaturen, es waren sogar schon Schmetterlinge unterwegs, und die mühsame Kletterei nötigten uns einiges ab. Für diese 100 Höhenmeter, bis wir wieder unsere Tourenski anschnallen konnten, brauchten wir geschlagene eineinhalb Stunden.
Der durch die Temperaturen mittlerweile vorherrschende Sulzschnee machte es auch nicht einfacher an Höhe, zum Alpe di Pesciora, zu gewinnen. In den nächsten beiden Stunden konnten wir dann allerdings anstrengende 1000 Höhenmeter, in nordwestlicher Richtung am Löite die Piani (2150 m) vorbei, zurück- und eine wohlverdiente Rast am Beginn des ehemaligen Pesciora-Gletschers (ca. 2700 m) einlegen. Wir waren dabei sehr froh über die verfestigten Spuren anderer Skitourengeher, da das Spuren im tiefen Sulzschnee trotz der Harscheisen wegen der Steilheit sehr mühsam war.
Die letzten knapp 300 Höhenmeter sind geprägt von der westlichen Umgehung eines halbrunden Felsriegels durch steiles Gelände und münden in einen sanften Anstieg zum Skidepot (ca. 3060 m). Dabei ist vor allem im oberen Stück auf Gletscherspalten zu achten und über eine Seilsicherung nachzudenken. Auf dem ausgesetzten Grat westlich des Gipfels genossen wir einige Zeit den schönen Ausblick bevor es mittels leichter Kletterei (einzelne Kletterstellen im dritten Grad, sonst zweiter Grad) über den SW-Grat zum Gipfel ging. Die Kletterei an großen Granitblöcken ist zwar nicht weiter schwierig allerdings ist das Gelände steil und sehr ausgesetzt. Spät am Nachmittag standen wir dann endlich auf dem Gipfel.
Wir wählten die herkömmliche Abfahrt, nur im unteren Abschnitt "bogen" wir früher Richtung Westen ab, um direkt entlang unserer Aufstiegslinie abzufahren. Wie erwartet gestaltete sich die Abfahrt eher anstrengend als genussvoll. Die Sonne war größtenteils aus den Hängen verschwunden und durch die beginnende Kälte mussten wir uns im kompletten oberen Abschnitt mit einem Harschdeckel abkämpfen. Nur im unteren Teil herrschten noch sulzige Verhältnisse vor. Nach der kleinen Kletterstelle (siehe Aufstieg) erreichten wir geschafft, aber rechtzeitig vor Sonnenuntergang, Ronco.
Fazit: Absolut empfehlenswerte Tour.
Jedoch sollte man, zumindest bei diesen Temperaturen, rechtzeitig los, um möglichst lange auf einem tragenden Harschdeckel vorwärts zu kommen und um die Abfahrt im Sulzschnee genießen zu können. Für den Gipfelanstieg sind Schwindelfreiheit und gewisses Kletterkönnen Voraussetzung; eine Seilsicherung ist zu empfehlen. Bei anderen Schneeverhältnissen ist die Mitnahme von Steigeisen für den Gipfelanstieg essentiell. Als Eintagestour verlangt es eine gute Grundkondition.