PG: Ist La Grave dein Homespot?
Stefan: Ich bin sehr viel in La Grave unterwegs, aber ich schaue auch immer, was in der Umgebung passiert. Es gab einmal einen Winter in La Grave mit ausschließlich kalter, windiger und trockener Luft. Das war der Moment, in dem ich verstand, dass es im Alpeninnenbogen richtig schneite. Somit ging ich auf die Suche nach Gebieten, die von Genua- oder Mittelmeertiefs profitieren. Inzwischen biete ich meine Camps dort an, wo man von Genuatiefs, Süd- und Weststaulagen und Nordlagen profitiert. Das Geheimnis ist, sich genau in der Mitte der unterschiedlichen schneebringenden Wetterlagen und ihrer Stauzonen eine Basis zu schaffen. Manche Gebiete haben keine großen Namen und sind weit über die Südalpen verteilt, sodass man sie auch nicht als Freeridemekka wie La Grave oder Alagna kommunizieren kann. Aber diese vielen kleinen, unbekannten Locations, zusammen mit Gebieten wie La Grave, machen es sehr wahrscheinlich, guten Schnee zu erwischen.
PG: Du bist gelernter Versicherungskaufmann. Wie wurdest du dann Bergführer?
Stefan:(Lacht). Man muss doch was Ordentliches lernen, oder? Nee, im Ernst: Ich war eigentlich schon immer auf die Berge fixiert. Meine Eltern hatten früher eine Alm gepachtet, sodass ich schon von Kindesbeinen an mit Klettern, Skitouren und Wandern in Berührung gekommen bin. Mir kam aber nicht die Idee, daraus einen Beruf zu machen. Also habe ich erst was Bodenständiges gelernt und mich danach auf Irrwege durch deutsche Unis begeben. Während dieser Zeit war ich immer viel in den Bergen unterwegs und habe eigentlich mehr an meiner Ausbildung zum staatlichen Bergführer gebastelt, statt mir die Inhalte der Massenvorlesungen reinzuziehen. Die Studienphase möchte ich aber nicht missen. Seit 1993 bin ich nun staatlich geprüfter Bergführer, war Ausbilder für DAV-Fachübungsleiter und für den Verband Deutscher Berg- und Skiführer im Bereich Canyoning. Wissen aus dem Studium - wie zum Beispiel Kommunikationspsychologie - kann ich sogar einsetzen, um Menschen in schwierigen Situationen am Berg besser zu verstehen.
PG: Was für Touren hast du bisher gemacht?
Stefan: Ein besonderes Highlight war sicherlich die Erstbegehung am Nordpfeiler der Freispitze, zusammen mit Herrman Reisach, Alpinhistoriker und Bergführer. Die eingeplante Bohrmaschine haben wir spontan unten gelassen und die Tour mit minimalen Mitteln bewältigt. Entscheidend war für mich dabei die Harmonie in der Seilschaft. Hier stand auch nicht eine mögliche Veröffentlichung im Vordergrund, sondern die Line selbst. Ich habe nie einen festen Seilpartner, das wechselt je nach Tour. Viele Erstbegehungen habe ich „by fair means“ gemacht - also keine Bohrhaken gesetzt, nur Keile, Friends und Normalhaken. Nachteil daran ist, dass die Routen dann keiner wiederholt. Später habe ich mir schon eine Bohrmaschine zugelegt. Inzwischen gehe ich aber viel weniger klettern und bergsteigen. Stattdessen fröne ich meiner Liebe, dem alpinen Endurobiken. Ich betreibe es ein bisschen wie Skitourengehen und Freeriden - immer auf der Suche nach einer feinen Abfahrt.
PG: Wenn du ständig draußen unterwegs bist, hattest du dann schon Vorfälle mit Lawinen?
Stefan: Als 16-Jähriger habe ich ein Schneebrett an der Nordflanke des Heidenkopfs ausgelöst. Auf knapp 500 Metern Breite ist damals der ganze Hang mit einer Abrisskante von etwa einem Meter abgegangen. Ich konnte mich zum Glück noch in der Altschneedecke festkrallen. Mit welcher Gewalt die Schneemassen in den Wald gedonnert sind, wurde für mich eine Schlüsselerfahrung, das abstrakte Risiko greifbar. Schnee sieht so weiß und unschuldig aus und riecht überhaupt nicht nach Gefahr. Man hat eine Menge Spaß und plötzlich kracht es. Durch so eine persönliche Erfahrung versteht man, welche Kräfte da wirken. Aber dann ist es oft auch schon zu spät.
PG: Wie gehst du nun als Bergführer mit der Gefahr um?
Stefan: Bereits im Vorwinter bin ich viel auf Touren. Dadurch kriege ich die nötige Fitness und die Sinne werden für den Winter geschärft. Das spielt für mich neben den rationalen Methoden des Risikomanagements eine große Rolle. Dann mache ich erst die einfacheren Touren, um wieder richtig reinzukommen, beobachte die Umstände und wie sich die Schneedecke entwickelt. Mein großer Vorteil ist auch, dass ich fast die ganze Zeit über direkt vor Ort bin und dadurch die „Historie“ des Winters direkt miterlebe. Ich versuche also, mir ein eigenes Bild zu machen und die Eigenheiten der Spots zu erkennen. Meine Beobachtungen vergleiche ich dann mit dem Lagebericht. Wenn ich in Gebirgen unterwegs bin, wo es keinen LLB gibt, ist die Devise immer: Zeit lassen, Eindrücke verdauen. Das hat bisher immer gut geklappt.