Die Vertrautheit des Geländes „Da kenn' ich mich aus." (Familiarity)
Erfahrene, gut ausgebildete und kompetente Skifahrer und Bergführer sind auf ihrem Hausberg in der Lawine gestorben. Das ist kein Klischee sondern Tatsache. Oft werden untypische Gefahrenquellen, zum Beispiel eine unübliche Windrichtung, die normal sichere Hänge giftig macht, ignoriert, weil man diesen Hang schon zu jeder Tages- und Nachtzeit blind gefahren ist und nicht einmal daran denkt, dass der abgehen könnte. (Mir passiert.) Dieser Faktor ist insofern doppelt gefährlich, als er vor allem dann zu tragen kommt, wenn man allein unterwegs ist und so erst recht auf vertrauten Pfaden bleibt.
In McCammons Studie stellte sich heraus, dass 69% der untersuchten Unfälle in Gelände passierten, dass den Betroffenen laut eigener Aussage sehr gut bekannt war. Besonders gut ausgebildete Personen sind laut McCammon's anfällig für den Faktor „Vertrautheit".
Resignation durch Gruppendruck „Die anderen fahren ja auch." (Acceptance)
Resignation bedeutet, dass man sein vielleicht unsicheres Gefühl dem oft unabsichtlichen Druck der Gruppe "weiterzugehen", "einzufahren" oder "das Cliff zu droppen" resignierend hingibt und gegen das Bauchgefühl handelt. Bekannt, gefährlich, wird aber mit den Jahren besser.
In McCammons Statistik spielt die 'social proof' Falle eine wichtige Rolle. Neben dem klassischen Gruppendruck werden hier auch Faktoren wie „sind überhaupt andere Leute da", oder „gibt es schon Spuren" behandelt. Wieder sind gut ausgebildete Personen hier tendenziell anfälliger, siehe auch die FACETS 'scarcity', 'experts' und 'tracks'.
Entschlossenheit „So eine Chance krieg' ich so schnell nicht wieder." (Consistency/Commitments)
Hier können einige ungünstige Umstände eine Rolle spielen. Freeriden kostet Geld und Aufwand, zudem hat man nicht immer an genau jenen seltenen freien Tagen jene epischen Verhältnisse, die laut Medien eigentlich jeden Tag herrschen. Passt dann einmal alles zusammen, ist man ungern gewillt, wegen dem bisschen Lawinengefahr kurz unterm Gipfel umzudrehen oder nicht in das gnadenlos schöne Colouir zu droppen. Also geht man oft wider besseren Wissens unnötiges Risiko ein. Geht alles gut, ist man ein harter Hund. Geht es nicht gut, ist man ein toter Hund. Es gibt zu diesem Punkt ein nicht unpassendes Sprichwort in unseren Kreisen, das so oder so betrachtet wahr ist: Ein Berg ist kein Frosch. Er wird dir nicht davonlaufen.
Dieser Faktor betrifft laut McCammon alle Gruppengrößen und Ausbildungslevels gleichermaßen.
Die Experten „Der weiß schon was er tut." (Experts)
Hier spreche ich nicht von geführten Freeride Trips, wo man zu Recht dafür bezahlt, dass man einen Großteil der Verantwortung abgeben kann, um entspannt den besten Powder zu genießen. Dafür sind Freeride Center und gut ausgebildete Leute ja da. Bei unserem Beispiel geht es darum, dass sich in fast jeder Kleingruppe, die am Berg selbständig unterwegs ist, eine Führungspersönlichkeit herauskristallisiert. Das muss nicht absichtlich passieren, und es kann jeden treffen. Vielleicht ist es die lauteste Person, oder der Local, oder diejenige, die vor zwei Jahren eine Lawinenschulung beim Alpenverein gemacht hat und gerade eine neuen Lawinenairbag gekauft hat. In heiklen Situationen, die rasche Entscheidungen fordern, kann das alle Beteiligten in eine ungute Position bringen. Hier gilt es, vorab oder auch unterwegs offen zu diskutieren, wer – wenn überhaupt – welche Kompetenzen mitbringt und auch einsetzen kann. Ein wichtiger Punkt.
Bestätigung „Zwei Spuren im Schnee führ'n herab aus steiler Höh' also ist alles sicher." (Tracks)
Ein Klassiker. "Da sind Spuren, da kann ich fahren." Zum Einen sollte sich inzwischen herumgesprochen haben, dass frische Spuren kein Indikator für die Sicherheit des Hanges sind. Sicherer wird ein Hang erst, wenn er regelmäßig den ganzen Winter über befahren wird und so das Bilden von Gleitschichten verhindert wird. Zweitens und häufiger werden Spuren gerne von Geländeunkundigen als Wegweiser hergenommen. Und das kann leider dumm enden, denn niemand weiß, ob die ursprünglichen Spuren ins Nirvana oder ins Nirgendwo führen. Sehr oft passiert das an einem der berüchtigtsten Berge der Freireiterei, dem Krippenstein. Hier werden an guten Tagen verirrte Freerider im Stundentakt vom Helikopter aus Felswänden geholt, weil sie einer unbekannten Spur nachgefahren sind. (Eventuell steht dann der erste verwirrte Freerider sogar noch da, und man wartet zu zweit auf das teure Lufttaxi. Billiger und weniger blöd wird es dadurch aber auch nicht.)