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Schnee von morgen

Schnee von Morgen | Der Bergwald: Fundament im Wandel

Wieso der Bergwald für Wintersport unverzichtbar ist.

21.10.2025
Benjamin Klauber
Wer an einem Wintermorgen mit Fellen an den Skiern durch den Wald aufsteigt, spürt sie sofort: diese besondere Stimmung, die gedämpften Schritte, den Atem, der sich in kleinen Wolken auflöst und zwischen den Zweigen verdampft. Der Bergwald ist mehr als nur eine Kulisse, er lebt und ist Teil der Szenerie. Er rahmt unsere Spur, schützt unser Leben und schafft die Bedingungen, unter denen Wintersport überhaupt erst möglich ist. Und trotz dieser wichtigen Funktionen steht er heute unter Druck wie nie zuvor.

Der Bergwald ist mehr als eine zufällige Ansammlung von Bäumen im Gebirge, sondern ein fein austariertes System, das sich von den schneeärmeren Tallagen bis zur Waldgrenze zieht. Jenseits dieser Linie, in der sogenannten Krummholzzone, übernehmen Latschen und Zwergsträucher, bevor anschließend die alpine Kargheit beginnt. Wechselnde Hangneigung, kurze Vegetationsperioden, Schnee und Lawinenbahnen prägen diesen Lebensraum, in dem jeder Höhenmeter zwischen Stabilität und Zerstörung balanciert.

Je nach Exposition und Höhe dominieren hier Fichte, Tanne, Lärche, Buche, Bergahorn oder Zirbe – eine Vielfalt, die sich über Jahrtausende an Wind, Kälte und Steilheit angepasst hat. Rupert Seidl, einer der renommiertesten Forstwissenschaftler von der Technischen Universität München, bezeichnet den Bergwald als ein dynamisches System, das sich seit jeher wandelt. Er betont jedoch, dass der Wandel heute rasanter geschieht als je zuvor. Dies ist wichtig zu betonen, denn die Bedeutung dessen geht weit über das hinaus, was unser bloßes Auge heute sieht.

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Der Bergwald ist multifunktional: Er ist Erholungsraum, Sauerstoffspender, Trinkwasserfilter und Schutzschild in einem. Seine Bäume reinigen die Luft, indem sie Feinstaub und Schadstoffe abfangen. Damit tragen sie messbar zur Gesundheit von Menschen und Tieren bei – ein Effekt, der bereits länger bekannt ist und bereits mehrfach nachgewiesen wurde. Seine Böden wirken wie Schwämme: Sie nehmen Niederschläge auf, speichern sie und geben sie gereinigt und verzögert wieder ab. Das dämpft Abflussspitzen, schützt Dörfer und Straßen vor Überflutung und bewahrt das, worauf Skigebiete in den Alpen unbedingt angewiesen sind: stabile Hänge und gesicherte Wasserressourcen. In der Sprache der Forstverwaltungen könnte man den Bergwald daher als die „günstigste und nachhaltigste Schutzinfrastruktur des Alpenraums“ bezeichnen. Darüber hinaus ist der Wald ein wichtiger Klimapartner, denn er bindet Kohlenstoff, speichert ihn im Holz und im Humus und wirkt damit wie ein natürlicher Puffer im globalen Kohlenstoffkreislauf. Forschungen der Klimawissenschaftlerin Julia Pongratz von der LMU München zeigen jedoch, dass die Art der Bewirtschaftung entscheidend ist: Naturnahe, durchmischte Wälder mit stabilem Bodenleben können zugleich CO₂-Senke und Schutzsystem sein. Sie erhalten Hänge, bremsen Lawinen und helfen, die Balance zwischen Nutzung und Erhaltung zu bewahren. Ohne sie wären viele Täler im Winter wohl kaum bewohnbar.

Hitzestress und Schweiß

Ein Blick auf die Temperaturkurven und Klimadiagramme zeigt jedoch, dass all diese Funktionen fragiler werden. Die Alpen erwärmen sich im Zuge der Klimaerwärmung in etwa doppelt so stark wie der globale Durchschnitt. In der Fachliteratur wird dieser Effekt als „alpine amplification“ beschrieben – eine höhenabhängige Erwärmung, die mit steigender Meereshöhe zunimmt. Laut Forschungen des Oxford Research Encyclopedia of Climate Science steigt in den Alpen die Nullgradgrenze und damit auch die Schneegrenze seit Jahrzehnten deutlich an. Die Dauer geschlossener Schneedecken nimmt im Gegenzug dazu ab und die Energieflüsse an der Oberfläche verändern sich. Ein zentraler Mechanismus dabei ist die sogenannte Albedo-Rückkopplung, denn verschwindet die helle Schneedecke, absorbieren dunklere Böden und Felsen mehr Sonnenstrahlung, die Umgebung erwärmt sich dadurch noch schneller, und der Schnee schmilzt früher.

Studien der Europäischen Umweltagentur belegen, dass sich die Zahl der Schneetage in den mittleren Alpenlagen seit 1971 um bis zu einem Drittel verringert hat. Besonders betroffen davon sind ausgerechnet jene Höhenlagen, durch die unsere Zustiege führen und in denen die Schutzwälder stehen. Parallel dazu verliert der Berg buchstäblich seinen Halt. Wenn der Permafrost taut, verschwindet der „Kitt“, der die Felswände zusammenhält. Das Schweizer Bundesamt für Umwelt dokumentiert seit Jahren zunehmende Felsstürze, Muren und Bergstürze infolge auftauender Böden. In der Praxis zeigt sich das in gesperrten Steigen, abgerissenen Moränen, aufwendigen Sicherungsarbeiten und in Extremfällen, wie im Mai diesen Jahres in Blatten im Schweizer Kanton Wallis, als ein ganzes Dorf von abstürzenden Massen verschüttet wurde. Für die Forstwirtschaft bedeutet das unter anderem, dass Hänge durch Material in höheren Lagen gefährdet sind, sich die Vegetationszonen verschieben und sich die Baumartengrenzen verändern.

Auch die Atmosphäre spielt eine Rolle bei den Auswirkungen des Klimawandels auf die Alpen, denn der Alpenbogen liegt in Zentraleuropa und ist somit von atlantischen Tiefdrucksystemen, Mittelmeerzyklogenesen und Föhneinfluss umgeben. Wärmere Luftmassen aus dem Mittelmeerraum enthalten mehr Wasserdampf, der sich an den Alpensüdhängen abregnet. Dadurch steigt dort das Potenzial für Starkniederschläge. Diese Spitzenbelastungen treffen Schutzwälder härter als alle Durchschnittswerte. In diesen Momenten zählt jeder Baum und jeder Kubikmeter Waldboden, denn der Wald muss dann in Sekunden das leisten, wofür er Jahrzehnte gewachsen ist. Leider wächst der Druck nicht nur durch das sich verändernde Klima: Auch der Tourismus und der Wintersport wirken sich direkt auf den Wald aus. Künstliche Beschneiung, Pistenpflege, der Bau von Forststraßen und andere touristische Nutzungen verändern das Mikroklima des Waldes, seine Böden und den Wasserhaushalt zusätzlich. Studien der Alpenkonvention weisen darauf hin, dass diese Einflüsse Lebensräume zerschneiden und den Anpassungsdruck weiter erhöhen. Eine nachhaltigere Infrastruktur ist daher längst keine Option mehr, sondern eine Überlebensvoraussetzung für viele alpine Ökosysteme.

Was bedeuten die nun aufgezählten Veränderungen konkret für den Bergwald und welche Konsequenzen bringen sie mit sich?

Wie angesprochen, wandern die Vegetationszonen. Laubbäume wie Buchen und Ahorn wandern die Hänge hinauf, während Fichten unter Druck geraten, da sie durch Trockenheit und Hitze geschwächt werden. Die Jahre 2018 bis 2020 gelten in der Forstforschung als Warnsignal: Lang anhaltende Dürre und hohe Temperaturen führten zu großflächigem Borkenkäferbefall. Selbst Lagen, die zuvor als zu kühl galten, sind nun betroffen.

Nach Daten der APA Science wurden ganze Hanglagen zerstört, und auch der Bergwald blieb davon nicht verschont. Schäden treten heute in Kaskaden auf: Nach Extremwetterereignissen wie Stürmen oder Schneebruch bleibt Bruchholz liegen, das Käfern und Primärschädlingen ideale Bedingungen bietet. Folgen Pilze und Sekundärschädlinge, kippen ganze Waldbestände. Dieser Prozess kann schneller ablaufen als bisher angenommen. Das Bayerische Landesamt für Wald und Forstwirtschaft bezeichnet diese Störungsketten als eine der größten Bedrohungen für Schutzwälder. Gleichzeitig gehen durch den angesprochenen Verlust des Permafrosts, sowie durch Starkregen alte Schutzstrukturen verloren und die Erosion wird vorangetrieben. Jungwälder brauchen anschließend Jahrzehnte, um dieselbe Schutzwirkung zu entfalten – Jahrzehnte, die wir in einem sich beschleunigenden Klima kaum haben.

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Kaum irgendwo wird diese Verletzlichkeit so sichtbar wie in Osttirol. Das Sturmtief Vaia riss 2018 zehntausende Bäume aus den Hängen, gefolgt von Schneebruch und Dürre. Der Bericht „Der Wald in Osttirol 2020“ spricht von einer historischen Dimension: massive Schäden, enorme Käferpopulationen, Schutzwälder mit eingeschränkter Funktion. In Kals am Großglockner musste ein Lawinenablenkbauwerk errichtet werden, weil der Wald die Hänge nicht mehr halten konnte. Das Land Tirol reagierte mit dem Programm „Klimafitter Bergwald“, das auf Mischungsanreicherung, Bodenschutz und Jungwaldpflege setzt. Laut dem zuständigen Landesrat Josef Geisler hat „die Schutzwirkung des Waldes oberste Priorität“.

Projekte im Rahmen der europäischen Climate-Adapt-Initiative zeigen, dass resiliente Schutzwälder eine der kosteneffizientesten Maßnahmen der Klimaanpassung sind – sie verhindern Naturgefahren, kühlen das Mikroklima und stabilisieren ganze Täler.

Spuren im Schnee, Spuren im Bewusstsein

Wie betont ist der Klimawandel ist nicht der einzige Stressfaktor für den Bergwald. Neben dem menschengemachten Klimaveränderungen erhöhen wir auch den direkten Druck auf den Wald und dies oft ohne es zu wollen. Unachtsamer Wintersport wie beispielsweise Freeriden im Wald kann Böden verdichten, junge Bäume verletzen und schützende Schneeschichten zerstören. Besonders gefährdet ist der Jungwald, dar dessen Setzlinge unter der Schneedecke kaum sichtbar sind. Wo Stahlkanten von Ski und Snowboard Terminaltriebe abtrennen, verkümmert der Nachwuchs, und die sogenannte Naturverjüngung kommt zum Erliegen. Das schadet langfristig auch der Schutzfunktion des Waldes, die gerade in Zeiten klimatischer Instabilität so entscheidend ist.

Noch gravierender sind die Folgen für die Tierwelt. Im Winter leben viele alpine Arten am Energieminimum. Gams-, Stein- und Rotwild senken ihren Stoffwechsel, verringern Herzschlag und Körpertemperatur, um Kalorien zu sparen. Untersuchungen des Nationalparks Hohe Tauern zeigen, dass Störungen in dieser Zeit lebensbedrohlich sein können. Ein aufgescheuchtes Tier verbraucht in wenigen Minuten so viel Energie, wie es sonst an einem ganzen Tag spart. Ähnliches gilt für die Raufußhühner – Schnee-, Birk- oder Auerhuhn –, die in selbstgegrabenen Schneehöhlen überwintern. Wird ihre Ruhe gestört, verlieren sie Energie, die sie im harten Winter nicht ersetzen können. Deshalb appellieren Initiativen wie „Respect Wildlife“ oder „Bergwelt Tirol – Miteinander erleben“ an uns alle, rücksichtsvoll unterwegs zu sein. Wer Wildruhezonen respektiert, Dämmerungszeiten meidet, Hunde anleint und bekannte Routen wählt, schützt nicht nur Tiere, sondern auch die Stabilität des gesamten Systems.

Denn ein gestörter, geschwächter Wald verliert seine Schutzwirkung, und zwar für Bergdörfer genauso wie für die Infrastruktur, die wir wie selbstverständlich nutzen. Straßen, Parkplätze, Lifttrassen und Pisten sind Nutznießer des Bergwaldes, ohne der erklärten Schutzfunktion des Waldes würde die Bodenerosion vielen Bauwerken im wahrsten Sinne des Wortes den Boden unter den Füßen wegziehen. Wichtig ist daher zu verstehen, dass der Bergwald weit mehr ist als eine Kulisse für unser Vergnügen. Er dämpft Wind, hält Schnee, filtert Wasser, stabilisiert Hänge und kühlt das Mikroklima. Er sorgt dafür, dass unsere Touren sicher sind und zu guter Letzt auch, dass Schnee in schneearmen Wintern in Waldnahen Schattenlagen etwas länger liegenbleibt. In Zeiten steigender Nullgradgrenzen ist gerade das ein Wert auf den sich nicht verzichten lässt. Ohne gesunde Wälder gibt es keine stabilen Schneefelder, keine sicheren Zustiege, kein verlässliches Powderglück.

Leider sind weniger Schneetage, instabilere Hänge und häufigere Extremereignisse bereits Realität. Für Regionen, die am Wintertourismus hängen, wird Anpassung daher zur Überlebensfrage. Künstliche Beschneiung mag kurzfristig helfen, doch sie verschiebt Wasser- und Energiebilanzen. Langfristig tragen zu einem funktionalen Schutz und Wassermanagement nur Wälder bei, die stark und vielfältig sind. Und so bleibt eine unangenehme Lehre festzuhalten: Der Klimawandel bedroht den Bergwald – und damit auch den Wintersport. Wir können nur so frei im Schnee unterwegs sein, wie wir es schaffen den Wald fair zu behandeln. Verantwortung für den Wald ist dabei kein Widerspruch zur Leidenschaft des Skifahrens du Tourengehens, sondern ihre Bedingung. Sie zeigt sich in kleinen Entscheidungen – im Respekt vor Wildruhezonen, im bewussten Reisen und Fortbewegen, im Verzicht auf unnötige Spuren. Forscherinnen wie Julia Pongratz oder Rupert Seidl zeigen, dass Anpassung möglich ist, wenn wir sie ernst nehmen und Projekte wie der „Klimafitte Bergwald Osttirol“ beweisen, dass Engagement auf lokaler Ebene wirkt. Der Schnee von morgen hängt am Wald von heute. Und der bleibt nur stark, wenn wir ihn als das sehen, was er ist: unser stiller, unersetzlicher Partner.

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