Aaron Rice (Instagram: @airandrice) aus Utah hat im laufenden Jahr den Weltrekord für mit Tourenski aufgestiegene Höhenmeter gebrochen und ist am besten Weg sein Ziel von 2,5 Millionen Höhenfuß (= 762.000 Höhenmeter) zu erreichen. Was für den abfahrtsorientierten Tourengeher unglaublich klingt, ist für den aufstiegsorientieren ebenfalls kaum greifbar. Darum stellt sich die Frage: Wer ist der verrückte Typ und wie viele Höhenmeter kann man theoretisch in einem Kalenderjahr abspulen?
2.090 Höhenmeter jeden Tag – 365 mal
Aarons Projekt 762.000 Höhenmeter vom 1. Jänner bis zum 31. Dezember 2016 aus eigener Kraft mit Tourenski an den Füßen aufzusteigen, fasziniert die Tourengeherszene – vor allem jenseits des Atlantiks. Der Schneestöberer hatte im Südhemisphärenwinter die Ehre, mit dem sympathischen Herren aus den USA über sein Vorhaben zu sprechen und kann euch eines versichern: Aaron hat Ahnung von dem was er macht und einen gesunden Blick zur Realität. Als wir ihn in Argentinien hinter dem Refugio Frey beim Auffellen trafen, konnte man sofort erkennen, dass er das Material öfter in der Hand hat – allein aufgrund seiner hoch effizienten Vorgehensweise bei eigentlich unspektakulären Handgriffen.
Im Schnitt muss er für sein Vorhaben pro Tag über 2.000 Meter absolvieren. Ob dies theoretisch machbar ist, lässt sich Pi mal Daumen ausrechnen: Wenn man an 365 Tagen in Folge auf Ski steht und dabei täglich zehn Stunden investiert – den Rest für Schlafen und sonstige überlebenswichtige Tätigkeiten verwendet - wie Schneegestöber, WetterBlog und PowderAlarm checken - kann man 3.650 Stunden pro Jahr zum Skitourengehen investieren. Auf einer gleichmäßig steilen Piste bei angenehmen Wetterbedingungen schafft man als durchtrainierter Ausdauersportler mit Abfahrts- und Auffellzeiten sowie Trink- und Essenspausen etwa 500 bis 600hm die Stunde. Das ergäbe über zwei Millionen Höhenmeter im Jahr. Soviel zur Theorie.
Wechseln wir zur Praxis: Der bisherige Rekordhalter Greg Hill stieg 2010 zwei Millionen Fuß mit Ski auf. Klingt schon nach verdammt viel. Ist auch verdammt viel. Wieviel ist jedoch wirklich möglich? Dies lässt sich naturgemäß nicht so einfach beantworten und hängt von einigen Faktoren ab. In erster Linie vom Stil: Wie mache ich meine Höhenmeter? Mit welchem Material? Auf eigene Faust oder mit Betreuern? In welchem Gelände?
Sollte man praktisch einen Wert festsetzen, gilt der naturgemäß nur so lange, bis jemand das Gegenteil beweist. Im austrainierten Zustand sind über 3.000 Höhenmeter Tag für Tag machbar: Im alpinen Gelände, mit normaler Ausrüstung und selbstständiger Versorgung. Natürlich nur sofern gesundheitlich nichts dazwischen kommt und es die Wetter- und Schneeverhältnisse zulassen.
By fair means
Kilian Jornet, einer der weltbesten Ausdauersportler, spult jährlich zwischen 600.000 und 700.000 Höhenmeter ab. Aber nur mit dem aller leichtesten Zeug: Ski, Bindung und Schuhe wiegen nicht mal die Hälfte von Aarons Material. Vor allem geht es hier um die Beweglichkeit: Der Fellwiderstand von Rennski mit 65mm Mittelbreite in einer Länge von 160cm bewegt sich in einer Grenzwertfunktion gegen Null. Schuhe mit nahezu unbegrenzter, widerstandsloser Schaftrotation verlängern jeden Schritt um dutzende Zentimeter. Aaron hingegen verwendet für sein Projekt Dynafit Vulcan Schuhe, Ski mit Mittelbreiten um 100mm und eine übliche Pinbindung. Dazu hält er sich kaum in Skigebieten bzw. auf Pisten auf und ist immer möglichst im Gelände unterwegs: Inklusive Spuren und Skitragen. Aaron ist überzeugt von seinem Stil und hat die Tourenstiefel des Schneestöberers aus der „1kg-Speedtouring" Kategorie in freundlicher, grinsender Manier als „That's cheating." abgestempelt. Außerdem versorgt sich Rice großteils selbst: Kochen, Waschen, Einkaufen. Schläft überwiegend in seinem Auto, schätzt die Lawinensituation selbst ein und hat sogar Anfang Feber mit zwei gebrochenen Fingern sein Projekt fortgesetzt. Dazu genießt er seinen Social Media Fotos nach zu urteilen seine Abfahrten. Das ist Skibergsteigen by fair means - für die meisten Höhenmeterfetischisten aus den Alpen unvorstellbar.
Locations
Für sein Projekt ist Aaron Anfang Juli von Alta (Utah) nach Argentinien und Chile gereist. Dort hat er die Gegend um Bariloche, Las Leñas und einige Vulkane unsicher gemacht. Ende Oktober ist er in die USA zurückgeflogen und bestreitet seitdem Meter für Meter auf Vulkanen an der Kaskadenkette.
Alles Rindviecher
Der Schneestöberer vergleicht Menschen oft mit Kühen. Einfach, weil er mit beidem tagtäglich konfrontiert ist und es dort erstaunlich viele Parallelen gibt – nicht nur die Dauer der Trächtigkeit. Hochleistungstiere der Rasse Holstein geben 10.000 bis 15.000kg Milch pro Jahr. Unter mehr oder weniger laborähnlichen Stallbedingungen lässt sich das auf über 30.000kg erweitern. Andere, ebenfalls auf Milchleistung gezüchtete, Rassen kommen bei guten Rahmenbedingungen auf vielleicht 8.000kg jährlich. Eine durchschnittliche Bergbauernkuh in Tirol kommt auf etwas über 6.000kg. Der Vergleich: Aaron steigt mit normalem Material bei allen Schnee- und Wetterbedingungen auf richtige Berge - bringt aber eine höhere, messbare Leistung in diesem Jahr als wettkampforientierte Sportler unter „Laborbedingungen" (= „Höhenmeterfressen auf gesicherten Pisten mit Rennausrüstung"). Dafür gebührt großer Respekt. Viel Erfolg beim letzten Abschnitt deines Projektes, Aaron!
Merke: Eine Kuh macht Muh – viele Kühe machen Mühe.