Fragen über Fragen, aber genau das ist wichtig: sich Gedanken zu machen und nicht unüberlegt loszugehen. Ich nenne solche Fragen auch gerne meine "Lebensversicherung".
Gleich vorweg sollte man natürlich partout vermeiden, eine Lawine auszulösen. Im Fall, dass doch mal eine abgeht, egal ob man selbst oder jemand anders sie ausgelöst hat oder sie spontan abgegangen ist, kann man daraus aber einiges lernen. Am besten lässt man dabei das Ganze nochmals Revue passieren, von der Tourenplanung bis zur Entscheidungsfindung.
Um das zu veranschaulichen, schauen wir uns einen Lawinenabgang genauer an, der sich letzte Woche, am 1.12.2021, in den westlichen Tuxer Alpen ereignet hat.
Die Eckdaten zur Lawine
Schneebrettlawine der Größe 2: Klassische Skitourenlawine
Exposition Nord auf ca. 2450m
Die Schneebrettlawine wurde um die Mittagszeit von einem Skitourengeher, der sich in der Abfahrt befand, ausgelöst.
Lawinenproblem: Altschneeproblem gekoppelt mit einem Triebschneeproblem, gut im Schneeprofil erkennbar (ECTP2).
Die Lawinensituation:
Für den 1.12.2021 ist laut Lawinenreport die Gefahrenstufe 3, erheblich ausgegeben. Begründung dafür ist das stark verbreitete Altschneeproblem (genauere Beschreibung siehe Gestöber 2), dass vorwiegend in Schattenhängen (NW über N bis O) oberhalb der Waldgrenze vorherrscht. Zudem konnten sich mit Zunahme des Windes störanfällige Triebschneeansammlungen in allen Expositionen oberhalb der Waldgrenze bilden.
Im mittleren Teil der Schneedecke befinden sich kantige Kristalle (aufgrund der aufbauenden Umwandlung), die als Schwachschicht fungieren. Diese Schichten sind vor allem dort vorhanden und relevant, wo vor den Schneefällen Ende November bereits eine geschlossene Schneedecke vorherrschte. Die damalige Schneeoberfläche kühlte in den zwei Schönwetterphasen im November bei kalten Temperaturen, trockener Luft und klaren Nächte durch die Abstrahlung stark aus. Der dadurch entstandene, große Temperaturunterschied ließ die aufbauende Umwandlung voll werkeln und das teilweise in der ganzen Schneedecke!
Aufgrund des Schneemangels waren nur wenige Geländetouren sinnvoll machbar, deshalb kann man davon ausgehen, dass es keine bzw. wenige Hänge gibt, die so viel befahren wurden, dass die Schwachschicht zerstört worden wäre. Dort, wo die Schwachschicht vorhanden ist, ist sie also auch flächig und relativ gleichmäßig ausgeprägt, was wiederum die Bruchausbreitung fördert. Das geringmächtige Schneebrett oberhalb der Schwachschicht begünstigt zudem eine gute Bruchinitiierung: Es reicht das Gewicht einer einzelnen Person, um einen Bruch zu produzieren. Die Schneeoberfläche aus kantigen Kristallen wurde von den Schneefällen Ende November bis einschließlich 1.12. (Schneefall noch am Morgen) überlagert.
Der dabei auflebende und gebietsweise stürmische Wind hat zudem Alt- und Neuschnee intensiv verfrachtet. Die so entstandenen Triebschneepakete eignen sich bestens als das "Brett" einer Lawine. Bei dieser Mischung kann man mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass Lawinen leicht auslösbar sind. Defensiv unterwegs sein ist also die Devise.
Für den 1.12. ist schönes Wetter samt Temperaturanstieg und starkem bis stürmischen Wind prognostiziert. Wir gehen also davon aus, dass sich im Laufe des Tages noch weitere frische und störbare Triebschneepakete bilden. Bei guter Sicht und mit etwas Erfahrung kann man Triebschnee im Gelände aber meist gut erkennen.