Gute Biker gibt es viele. Und dann gibt es Champions, – Lichtgestalten unter den Mountainbikern. Mit einer Gruppe guter oder sehr guter Biker gemeinsam unterwegs zu sein, ist das eine. Mit einem Supersportler, wie es der französische Enduro-Star und mehrfache Gewinner des Megavalanches Jerome Clementz ist, mountainbiken zu gehen, ist etwas anderes. Bei ihm wird Mountainbiken zur Kunst: Harmonie von Mensch, Bike und Natur. Auf fast schon künstlerisch beeindruckende Weise düst Jerome seine Home-Trails in den Vogesen hinab. Hier kommt er her, hier wurde er groß: er kennt nahezu jeden Stein, jede Kurve und jeden Sprung.Jerome weiß was er kann; er muss weder uns noch sich etwas beweisen. Viel lieber teilt er seine Begeisterung für seine heimatlichen Trails mit uns. Und die Freude, die er während der Touren, die wir mit ihm unternehmen ausstrahlt, steckt an. Ist das der Grund dafür, dass es mir überraschend gut gelingt, den Abstand zwischen Jeromes Hinterrad und meinem Vorderrad nicht allzu groß werden zu lassen. Oder ist der Grund, dass Jerome so ein netter, höflicher Mensch ist? Oder fahre ich heute etwa eine Klasse besser als sonst?! Nur zu gerne haben wir Jeromes Einladung eingenommen, als er vorschlug, uns die besten Trails seiner Heimat zu zeigen. Für ein paar Tage sind wir nun mit Jerome und seiner Freundin Pauline unterwegs, die ebenfalls exzellente Bikerin ist. Spontan stoßen noch deren Freunde, die Vogesen-Locals Thierry und Matthieu dazu. Das Wetter passt auch; perfekte Voraussetzungen also für ein paar tolle Mountainbike-Tage.
Nach einer kurzweiligen, aber vergleichsweise gemütlichen Einrolltour vom idyllischen Winzerdörfchen Andlau aus, steht heute ein konditionell und landschaftlicher Kracher auf dem Programm: Die knapp 60 km lange Rundtour über 2300 Höhenmeter vom pittoresken Weindorf Kaysersberg über die bekannten Seen Lac Blanc und Lac Noir und von dort über die Kriegsschauplätzen des ersten Weltkriegs zum Wallfahrtsort Trois Epis und nach Ammerschwihr in die Rheinebene hinab.
Frühmorgens treffen wir uns mit Jerome und seinen Mountainbike-Freunden Matthieu, Robin und Thierry in Kaysersberg, das am Fuß der Vogesen liegt: Altstadt, Schloss, Weinberge und im Hintergrund die Berge, – Vogesen-Romantik pur. Noch sind unsere Augen und Bäuche etwas schwer vom Vorabend. Denn unsere Elsässer Freunde haben es sich nicht nehmen lassen, uns die besten Seiten ihrer Heimat zu zeigen, auch abseits der Trails. Spontan haben sie uns in einen der weit bekannten elsässischen, sterneverdächtigen Fresstempel nach Obernai entführt. Entsprechend langsam ist unser Start, doch zum Glück ist das erste Teilstück ziemlich flach. Gemütlich radeln wir durch die Gassen des rausgeputzten Winzerstädtchens. Die lange 900-Höhenmeter-Auffahrt, die überwiegend durch schattenspendende Wälder verläuft, bringen wir dank breiter Pisten ohne allzu viel Schweiß zügig hinter uns. Zur Belohnung folgt eine erste feine Abfahrt nach Bonhomme, die durch wunderschöne Landschaften wie aus einem (Vogesen-)Bildband führt: Kühe grasen auf Blumenwiesen und exzellente Trails schmiegen sich förmlich in die sanft geneigten Wiesenhänge. Kehre reihe sich an Kehre. Schnell ist uns klar, warum die Vogesen für Jerome der perfekte Trainingsplatz sind, denn sie bieten alles, was man sich als Mountainbikers wünschen kann: Steilanstiege, Abfahrten im besten Enduro-Style, Freeride-Strecken und sogar Bike-Parks. Und alle diese Wünsche werden im Verlauf der folgenden 40 Streckenkilometer erfüllt. Doch dafür muss man schon recht kräftig – und vor allem ausdauernd – in die Pedalen treten. Aber das tun wir dank perfektem Guiding, kurzweiligen Anekdoten von Jerome und seinen Freunden nur zu gerne. Und selbst der harte Aufstieg in der Mittagssonne von Bonhomme zum Lac Blanc vergeht einigermaßen zügig. Während Jerome Geschichten von seiner abenteuerlichen Siegen und Teilnahmen am legendären Downhill-Rennen Megavalanche erzählt, verrinnt Höhenmeter um Höhenmeter. Und schon ist auch dieser Anstieg vorbei, auch wenn die Geschichten nicht verhindern konnten, dass dieses Mal die Schweißtropfen in großen Mengen geflossen sind.
Am Lac Blanc treffen wir das erste Mal auf den Massentourismus à la Vosgienne: die vielen Freeride-Boliden, die der überregional bekannte Bike Park des gleichnamigen Skigebiets anzieht und die zahlreichen Wanderer sowie Motorrad- und Auto-Touristen, die die Hochstraße Route de Crete bevölkern, lassen an diesem Pfingstsonntag keine beschauliche Einkehr zu. Und so verweilen wir nur kurz und biegen dankend in den rassigen Singletrail zu den Seen Lac Blanc und Lac Noir ein.
Neben der traumhaften Landschaft und den exzellenten Trails bieten die Vogesen ein weiteres, ganz großes Plus für kulinarisch interessierte Biker (und das ist man nach dieser langen Tour zwangsläufig): das herausragende Niveau der lokalen Gastronomie. Egal ob rustikal und einfach in einer der vielen Ferme Auberges, die überwiegend selbst produzierte Speisen verkaufen oder Sterne-Restaurants. Unter anhaltenden Hungergefühlen sollte man hier nie leiden, sondern stets die nächste Auberge ansteuern. Ein weiterer Vorteil der Erkundung per Bike ist, dass man viel öfter einkehren kann als normalerweise: Flammkuchen und Munster-Kas können es in ihrer Funktionalität vielleicht nicht ganz mit den diversen Energie-Regeln aufnehmen, geschmacklich sind sie aber eindeutig überlegen. Doch heute haben auch am Lac Noir die Ausflugsfahrer klar die Oberhand und so kehren wir dort nur für eine kleine Stärkung ein und machen uns auf den weiteren Weg, wo uns die Trails selbst an diesem Tag in der Hochsaison fast alleine gehören. Noch liegen knapp 25 km und fast 1500 Höhenmeter Abfahrten vor uns. Durch zauberhafte Landschaften über blühende Hochweiden, dunkle Wälder und rassige Trails nähern wir uns der rheinischen Tiefebene, in die unser letzter, langer Downhill dieses Tages führen wird.
Von der wechselvollen und manchmal traurigen Geschichte des Elsass und der Vogesen als machtpolitischer Zankapfel zwischen dem Deutschen und dem Französischen Reich zeugt die Bilingualität vieler Elsässer: insbesondere die Älteren sprechen neben Französisch auch Elsässisch, das eine Art französisch geprägter deutscher Dialekt ist. Auch unser Trail, der über den Col du Wettstein und die Linge verläuft, wo die Front zwischen Frankreich und Deutschland im ersten Weltkrieg zum Stellungskrieg erstarrte, konfrontiert uns mit der Geschichte: Mehrmals säumen riesige Soldatenfriedhöfe aus dem ersten Weltkrieg unseren Weg. Und wenige Minuten, nachdem wir am Friedhof für die französischen Gefallenen vorbei gefahren sind, passieren wir bereits den Friedhof für die deutschen Toten. Die riesigen Gräberreihen sind heute zu Mahnmalen der Aussöhnung und Freundschaft zwischen den ehemaligen Feinden geworden. Und so erscheint es uns nicht pietätlos, dass unsere bunte französisch-deutsche Bike-Gruppe die Wege hinabsaust, die von den ehemals verfeindeten Völkern während des ersten Weltkriegs angelegt worden sind (gleiches gilt für die heutige Touristenstraße Route de Crete). Alle düsteren Gedanken werden vom immer heftiger werdenden Fahrtwind weggeblasen, denn der Dowhill-Trail in Richtung des Wallfahrtsorts Trois Epis ist so gut, dass er alle allzu traurigen Gedanken vertreibt.
Trois Epis ist ein bizarrer Ort: Eine Ansammlung von Kapellen und wenig hübschen Kirchlein sowie ein überdimensioniertes Krankenhaus und die Nippes-Läden strahlen ein eigenartiges Flair aus: eine Mischung zwischen Wunderheilungs-Business à la Lourdes und Schwarzwald-Kitsch à la Titisee. Nichts wie weg hier. Und das geht dank des Sonderklasse-Trails, der von Trois Epis nach Ammerschwihr führt ganz hervorragend.
Mit einem ultra-breiten, zufriedenen Grinsen im Gesicht rollen wir durch die Weinberge nach Kaysersberg zurück. Und dort warten Flammkuchen und Münsterkäse. Und dazu gibt es nach dem Ausdauerritt – nicht schon wieder – einen der sehr empfehlenswerten Rieslingweine, sondern eines der genauso guten lokalen Biere des Elsass. Denn auch das haben wir gelernt: Die Elsässer können nicht nur hervorragend Mountainbiken, sondern sie brauen auch richtig gutes Biere, auf die sogar mancher Bajuware stolz wäre (auch wenn diese Fähigkeit den Franzosen von deutscher Seite im Allgemeinen abgesprochen). Und eines ist heute unzweifelhaft klar: nach dieser Super-Runde fühlt sich jeder wie ein Enduro-Champion. Zumindest ein bisschen…
PS: Danke an Jerome, Pauline und die Elass-Biker vom Team Thannenwald für die coolen Tage und die noch cooleren Trails! PPS: Danke an Stefan für die coolen Fotos!