Das Beste kommt allerdings erst noch: eine lange Genussabfahrt als Tagesabschluss bis runter ins Tal zum 2040 Meter hoch gelegenen Dorf Adishi. Der Schnee ist so gut, dass wir die gesamte Strecke in einem Zug durchfahren. Eine Abfahrt wie ein Rausch! Im Dorf angekommen, machen wir eine Pause. Es gibt frisches Fladenbrot, Käse und georgisches Bier. Natürlich darf auch ein Glas „Chacha” nicht fehlen. Dieser traditionelle kachetische Tresterbranntwein verwöhnt meinen Gaumen mit einem ausgeprägten Weintraubenaroma. Après-Ski auf georgische Art – ganz ohne Halligalli, wie man es sonst aus den Alpen kennt. Nach einem weiteren Glas geht es zurück nach Mestia.
Die Wetterprognosen für die nächsten Tage sehen vielversprechend aus. Somit passt auch der Plan für die abenteuerliche Reise ins abgelegene Bergdorf Ushguli am nächsten Morgen. Aufgrund der exponierten Lage auf über 2200 Metern gibt es dort nur wenig Wald und somit keine Alternativen bei schlechtem Wetter. Dass nur wenige Skitourengeher dorthin kommen, liegt daran, dass der Ort im Winter nur schwer zu erreichen ist. Die Straße dorthin ist schmal, kurvenreich und steil.
Ushguli gilt als die höchstgelegene dauerhaft bewohnte Siedlung Europas und ist UNESCO-Weltkulturerbe. Mit seinen über 500 Jahre alten Wehrtürmen und engen Gassen, in denen Kühe, Pferde und Hunde frei herumlaufen, bietet es eine sehenswerte Kulisse für Skitouren. Damit nicht genug: Das Bergdorf liegt am Fuße des Schchara, dem höchsten Berg Georgiens. Allerdings ist die Reise dorthin und wieder zurück ein größeres Abenteuer, als ich mir in meinen kühnsten Träumen vorgestellt hatte. Bam! Der Fahrer unseres Mitsubishi Delica mit Allradantrieb steigt voll in die Eisen. Neben uns der Abgrund. Direkt vor uns ist eine Lawine auf die schmale Bergstraße gerutscht.
Da es hier länger dauert, bis so etwas geräumt wird, steigen wir aus und packen unsere Lawinenschaufeln aus. Ein erstes Warm-up sozusagen. Mit viel Schwung schafft unser Fahrer es, die frisch gebaute Rampe aus Schnee zu überqueren und die Schneemassen zu überwinden. Was für ein Ritt! Er beherrscht sein Auto scheinbar in jeder Situation, ohne dass ihm die Angstschweißperlen auf die Stirn treten. Einsteigen und weiter geht's. Alltag in Georgien. Kein Wunder, denn Ushguli ist da, wo die Straße endet! Die teilweise stark verfallene Siedlung ist im Winter ein einzigartiges Erlebnis. Es gibt endlose Skitourenmöglichkeiten und ein unglaubliches Panorama. Der Elbrus, der Ushba, der Tetnuldi und natürlich der Schchara sind zum Greifen nah. Es gibt traumhafte, praktisch immer unverspurte Hänge, auch noch Tage nach den letzten Schneefällen, in einer der wildesten und unberührtesten Gegenden Eurasiens.
Wir starten unsere Tour direkt hinauf auf den Gvibari – ein absolutes Muss, wenn man in Swanetien ist. Die Tour führt anfangs mitten durch die Wehrtürme und Gemäuer des Dorfes. Danach geht es einen augenscheinlich sicheren Bergrücken hinauf zum Gipfelgrat. Dort erwartet uns ein unvergesslicher Ausblick auf den Schchara (5201 m), den höchsten Berg Georgiens. Als Belohnung für den steilen Aufstieg erwarten uns weite Abfahrtshänge mit viel Platz und Pulverschnee. Auch die zweite Tour am nächsten Tag hinauf auf den Hausberg Lamaria ist großartig – einsam und abgeschieden. Schöner könnte eine Skitour nicht sein. Ebenso überzeugt der Abend zurück in unserer einfachen, aber sauberen und warmen Unterkunft. Zwei einheimische Frauen zaubern uns eine georgische Tafel mit Badridschani, Schaschlik, Tschachochbili, Chatschapuri und Khinkali auf den Tisch. Wir sind nun auch im kulinarischen Himmel Georgiens angekommen. Kurz: ein wahr gewordenes Wintermärchen fernab der Massen.
Vermutlich so, wie sich Skifahren vor 100 Jahren in den Alpen angefühlt haben muss. Luxus gibt es hier nicht, dafür jede Menge Gastfreundschaft, gutes Essen und ein fantastisches Tourengelände. Georgien, ich komme wieder – versprochen!
«Die Bergstrasse nach Ushguli ist ein Abenteuer. Wo die Straße endet ...»