Zum Inhalt springen

Cookies 🍪

Diese Website verwendet Cookies, die Ihre Zustimmung brauchen.

Details finden Sie in unserer Datenschutzerklärung

Diese Seite ist auch verfügbar auf English.

Zur Powderguide-Startseite Zur Powderguide-Startseite
Abenteuer & Reisen

Georgien: Wo die Straße endet

Ein Abenteuer fernab des Mainstreams

09.10.2025
Franz Thomas Balmer PowderGuide
Hohe 5000er, UNESCO-Weltkulturerbe und einsame Skitouren- und Freeridemöglichkeiten: Die georgische Region Swanetien im wilden Kaukasus vereint mit Catskiing und Skitouren zwei Skiwelten.

Wer häufig in den Alpen freeridet, kennt dieses Szenario: Nachts schneit es, man steht extra früh auf – und nach zwei, drei Tiefschneeabfahrten ist leider schon wieder alles zerfahren. Freeriden kann ganz schön stressig sein. Stress, den eigentlich niemand will. Einer, der genauso denkt, ist der österreichische Bergführer Sven Pulver (* 1975). Er hat sich deshalb schon länger auf die Suche nach Alternativen zu den bekannten Freeride-Gebieten wie dem Arlberg, Chamonix oder Engelberg gemacht. Das Ziel: weg von den Massen. Hin zum Abenteuer mit perfektem Terrain und Pulverschnee. Fündig geworden ist er in Swanetien in Georgien, mitten im wilden Kaukasus. Er beschränkt sich dabei auf das Wesentliche: „Kein Luxus. Kein Wellness. Nur der Berg und du”, schmunzelt Sven. Kein Wunder, denn das ist eine Gegend wie aus einer anderen Zeit. Umringt von mächtigen 5.000ern liegen kleine Bergdörfer, die im Winter nur sehr mühsam zu erreichen sind. Aber vermutlich gerade deshalb hat die wilde und raue Bergwelt hier ihre Ursprünglichkeit bewahrt. Es ist, als ob die Zeit stehen geblieben wäre. Sobald man diese Bergwelt mit eigenen Augen sieht, weiß man, dass sich die Strapazen der Anreise gelohnt haben. Aber der Reihe nach.

 «Kein Luxus. Kein Wellness. Nur der Berg und du.»

Ich bin Svens Ruf gefolgt und sitze in Memmingen im Flieger. Es geht in einem Direktflug nach Kutaisi in Georgien, die Flugzeit beträgt rund vier Stunden. Der Name Kutaisi setzt sich übrigens aus drei Wörtern zusammen: Kva (Stein), Mta (Berg) und Isi (es), was übersetzt so viel heißt wie „die Stadt zwischen einem Stein und einem Berg”. Eine erste Überraschung erwartet mich bei der Ankunft: T-Shirt-Wetter. Mit dem ganzen Skigepäck ist das irgendwie ein komisches Gefühl. Aufgrund der Zeitverschiebung von drei Stunden ist es bereits 3 Uhr morgens, als ich beim Hotel ankomme. Während der Fahrt rasen immer wieder Polizeiautos mit Blaulicht vorbei. Wo bin ich hier nur gelandet? Der Fahrer beruhigt mich und sagt, das sei hier ganz normal. Die Polizei schalte immer das Blaulicht ein. Am nächsten Morgen geht es weiter nach Mestia. Die rund 200 Kilometer lange Fahrt dauert je nach Schneeverhältnissen auf der sehr schmalen Straße etwa sechs Stunden. Schneeräumung? Fehlanzeige! Am Autofenster zieht der Enguri-Staudamm vorbei, der mit 271 Metern zu den zehn höchsten Staudämmen der Welt zählt. Eindrücklich! Das Wasserkraftwerk liefert rund 40 Prozent des gesamten Stroms für Georgien. Die Straße schlängelt sich mit Kurven und Kehren am Fluss Enguri entlang. Vereinzelt stehen ein paar einsame Häuser und ab und zu ein kleines Restaurant am Straßenrand. Ansonsten sehe ich nur Wald und steile Berge. Die Strecke ist landschaftlich äußerst reizvoll. Mit gutem Grund: Sie führt von nahezu Meereshöhe hinauf in die Berge, bis wir Mestia auf rund 1500 m ü. M. erreichen.

Die Pistenkatze erleichtert den Aufstieg

Hier sind die Wetterprognosen fürs Catskiing am nächsten Tag. Catskiing? Dafür kommen modifizierte Pistenraupen mit beheizter Kabine zum Einsatz. Diese bringen Freerider schnell auf den Berg. In Kanada, den USA und Japan ist Catskiing bereits sehr beliebt. Kein Wunder, denn das ist entspannter als ein Heli-Tag. Die Geräuschkulisse ist wesentlich angenehmer und es ist wetterunabhängig. Was gibt es Besseres, als den gerade gefahrenen Run bei der nächsten Auffahrt mit Gleichgesinnten zu besprechen? Seit 2023 hat Sven einen neuen Catskiing-Spot im Angebot. Und zwar am Mount Tednuldi. Wir starten bei der Talstation des Skigebiets, bevor dieses um zehn Uhr öffnet. Allerdings ist auch hier die Anfahrt abenteuerlich. Denn auf den letzten paar Kilometern hinauf gibt es keine richtige Straße. Auch das Kreuzen gestaltet sich schwierig. Zum Glück kommt uns so früh am Morgen noch niemand entgegen. Für die erste Auffahrt nutzen wir die Skipiste. Danach verbringen wir den ganzen Tag im unverspurten Gelände zwischen 2260 und 3100 Metern mit verschiedenen Expositionen. Was für ein Auftakt zum Freeriden in Georgien: Kaiserwetter, Pulverschnee und ein toller Ausblick auf die umliegenden Berge – im Hintergrund funkelt der vergletscherte Tetnuldi mit seinen 4858 Metern Höhe in der Sonne. Außer uns ist niemand da. Ein ganzer Berg nur für uns. Ein wahrgewordener Freerider-Traum! Das lassen wir uns nicht zweimal sagen. „First Lines” den ganzen Tag. Wir zählen dabei keine Höhenmeter, sondern genießen einfach den Moment. Freeriden vom Feinsten. Zwölfmal transportiert uns die Pistenraupe wieder hinauf auf den Berg. Jedes Mal wählen wir einen neuen Hang aus. Pulver gut, alles gut.

 «‹First Lines› den ganzen Tag – eine nach der anderen.»

Das Beste kommt allerdings erst noch: eine lange Genussabfahrt als Tagesabschluss bis runter ins Tal zum 2040 Meter hoch gelegenen Dorf Adishi. Der Schnee ist so gut, dass wir die gesamte Strecke in einem Zug durchfahren. Eine Abfahrt wie ein Rausch! Im Dorf angekommen, machen wir eine Pause. Es gibt frisches Fladenbrot, Käse und georgisches Bier. Natürlich darf auch ein Glas „Chacha” nicht fehlen. Dieser traditionelle kachetische Tresterbranntwein verwöhnt meinen Gaumen mit einem ausgeprägten Weintraubenaroma. Après-Ski auf georgische Art – ganz ohne Halligalli, wie man es sonst aus den Alpen kennt. Nach einem weiteren Glas geht es zurück nach Mestia.

Die Wetterprognosen für die nächsten Tage sehen vielversprechend aus. Somit passt auch der Plan für die abenteuerliche Reise ins abgelegene Bergdorf Ushguli am nächsten Morgen. Aufgrund der exponierten Lage auf über 2200 Metern gibt es dort nur wenig Wald und somit keine Alternativen bei schlechtem Wetter. Dass nur wenige Skitourengeher dorthin kommen, liegt daran, dass der Ort im Winter nur schwer zu erreichen ist. Die Straße dorthin ist schmal, kurvenreich und steil.

Ushguli gilt als die höchstgelegene dauerhaft bewohnte Siedlung Europas und ist UNESCO-Weltkulturerbe. Mit seinen über 500 Jahre alten Wehrtürmen und engen Gassen, in denen Kühe, Pferde und Hunde frei herumlaufen, bietet es eine sehenswerte Kulisse für Skitouren. Damit nicht genug: Das Bergdorf liegt am Fuße des Schchara, dem höchsten Berg Georgiens. Allerdings ist die Reise dorthin und wieder zurück ein größeres Abenteuer, als ich mir in meinen kühnsten Träumen vorgestellt hatte. Bam! Der Fahrer unseres Mitsubishi Delica mit Allradantrieb steigt voll in die Eisen. Neben uns der Abgrund. Direkt vor uns ist eine Lawine auf die schmale Bergstraße gerutscht.

Da es hier länger dauert, bis so etwas geräumt wird, steigen wir aus und packen unsere Lawinenschaufeln aus. Ein erstes Warm-up sozusagen. Mit viel Schwung schafft unser Fahrer es, die frisch gebaute Rampe aus Schnee zu überqueren und die Schneemassen zu überwinden. Was für ein Ritt! Er beherrscht sein Auto scheinbar in jeder Situation, ohne dass ihm die Angstschweißperlen auf die Stirn treten. Einsteigen und weiter geht's. Alltag in Georgien. Kein Wunder, denn Ushguli ist da, wo die Straße endet! Die teilweise stark verfallene Siedlung ist im Winter ein einzigartiges Erlebnis. Es gibt endlose Skitourenmöglichkeiten und ein unglaubliches Panorama. Der Elbrus, der Ushba, der Tetnuldi und natürlich der Schchara sind zum Greifen nah. Es gibt traumhafte, praktisch immer unverspurte Hänge, auch noch Tage nach den letzten Schneefällen, in einer der wildesten und unberührtesten Gegenden Eurasiens.

Wir starten unsere Tour direkt hinauf auf den Gvibari – ein absolutes Muss, wenn man in Swanetien ist. Die Tour führt anfangs mitten durch die Wehrtürme und Gemäuer des Dorfes. Danach geht es einen augenscheinlich sicheren Bergrücken hinauf zum Gipfelgrat. Dort erwartet uns ein unvergesslicher Ausblick auf den Schchara (5201 m), den höchsten Berg Georgiens. Als Belohnung für den steilen Aufstieg erwarten uns weite Abfahrtshänge mit viel Platz und Pulverschnee. Auch die zweite Tour am nächsten Tag hinauf auf den Hausberg Lamaria ist großartig – einsam und abgeschieden. Schöner könnte eine Skitour nicht sein. Ebenso überzeugt der Abend zurück in unserer einfachen, aber sauberen und warmen Unterkunft. Zwei einheimische Frauen zaubern uns eine georgische Tafel mit Badridschani, Schaschlik, Tschachochbili, Chatschapuri und Khinkali auf den Tisch. Wir sind nun auch im kulinarischen Himmel Georgiens angekommen. Kurz: ein wahr gewordenes Wintermärchen fernab der Massen.
Vermutlich so, wie sich Skifahren vor 100 Jahren in den Alpen angefühlt haben muss. Luxus gibt es hier nicht, dafür jede Menge Gastfreundschaft, gutes Essen und ein fantastisches Tourengelände. Georgien, ich komme wieder – versprochen!

«Die Bergstrasse nach Ushguli ist ein Abenteuer. Wo die Straße endet ...»

Fotogalerie

Ähnliche Artikel

Kommentare